miércoles, 25 de junio de 2008

Wellness-Pastoral

Oder: peruanische Strategien gegen den Mitgliederschwund in der katholischen Kirche


(Foto: Martin Steffen)

Paula Bermúdez ist eine kräftige Frau. Wenn sie an meinen Füssen herumdruckt, möchte ich manchmal am liebsten losschreien. Das seien meine verspannten Meridiane, antwortet sie mir fröhlich. Und während sie sanft, oder auch weniger sanft, meine blockierten Energiezonen wieder öffnet, erzählt sie mir aus ihrem Leben. 48 Jahre alt ist sie, Mutter eines erwachsenen Sohnes, der eben seine Ausbildung als Hebamme abgeschlossen hat. Paula wohnt in einer der grossen Armensiedlungen Limas und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit Fussreflexzonentherapie. Genauso geschickt, wie sie meine Füsse massiert, bringt sie das Gespräch auf mich: was ich mache, wie mein Privatleben sei, ob ich glücklich sei. Ob ich an Gott glaube. Schnell sind wir beim Thema Kirche und Theologie und Paula hält mir einen langen Vortrag über die Bedeutung der Marienverehrung in der Alten Kirche. Paula ist Laienmissionarin, katholisch, wie sie betont. Das muss man in Peru inzwischen dazusagen. In den letzten 40 Jahren erlebt die katholische Kirche in Lateinamerika einen steten Mitgliederschwund. Vor kurzem galt Peru noch als gut katholisches Stammland, das manche Bischöfe als ihren Feudalbesitz ansahen. Heute geht selbst die peruanische Bischofskonferenz nur von 80% Katholiken in Peru aus. Es ist aber keineswegs so, dass die restlichen 20% nun vom Gottglauben abgefallen sind. Die meisten der abtrünnigen Katholiken finden in evangelikalen Kirchen eine neue Heimat. "Asamblea de Dios", "Alianza Misionera", oder "Kirche Jerusalems", heissen die kleinen bis grösseren evangelischen Kirchen. Ihnen gemein ist, dass sie mit ihren engagierten Laienmissionaren bis ins hinterste Armenviertel gelangen und dass man gegen ihre Bibelargumentation gemeinhin als Katholik nicht ankommt.



( Foto: Martin Steffen)

Das hat auch Sebastián Abanto am eigenen Leib gespürt. Der 54-jährige Schreiner und Familienvater ist ebenso wie Paula Bermúdez Mitglied der Gruppierung "Servicio bíblico Católico", einer katholischen Bibelgruppe in der Diözese Chosica im Osten Limas.
"Meine Frau stammt aus einer evangelikalen Familie, und ich habe nicht weniger als 4 evangelische Pastoren in der Familie. Jede Woche beten sie dafür, dass ich mich auch bekehre", erzählt Walter. Aber Walter Abanto ist sturköpfig. Von seinem katholischen Glauben will er nicht ablassen. Damit er der Wucht der evangelikalen Bibelüberzeugung etwas entgegensetzen kann, ist er Mitglied der "Servicio Bíblico Católico" geworden. 120 Mitglieder hat die Gruppe, sie treffen sich wöchentlich in einem bescheidenen Backsteinraum im Viertel Zárate, und finanzieren ihre Bibelaktivitäten mit Fussreflexzonenmassage. Vor allem aber gehen sie bei der evangelikalen Konkurrenz in die Lehre und kopieren deren Strategien: " Die Evangelikalen haben deswegen so viel Erfolg, weil sie zu den Leuten gehen und weil sie die Menschen von sich erzählen lassen", erklärt Paula. "Die Versammlungen der Evangelikalen sind sehr herzlich und sie geben Dir das Gefühl, dass sie Dir zuhören". Genau dieses herzliche Miteinander und Sich-gegenseitig-Kümmern würden sie in ihrer Gruppe auch leben.

(Foto: Martin Steffen)

Paula, Walter und die anderen Gruppenmitglieder haben sich also in Theologie und Bibelkunde gebildet - unter anderem mit Hilfe der Theologiekurse der Diözese Chosica - und gehen nun selbst als Strassenmissionare von Haus zu Haus. Als katholische Missionare wie sie betonen. Woran es denn liege, dass die katholische Kirche an Attraktivität verliere ? Walter und Paula haben einige Antworten parat: die katholischen Priester seien vielmals mehr mit der Verwaltung ihrer Sozialwerke beschäftigt und hätten keine Zeit, sich wirklich um die Menschen zu kümmern; oder Priester, die alles selbst machen wollen und nichts an Laien (also Nicht-Priester) delegieren. Oder, dass manche Priester und Bischöfe sich als was besseres fühlen würden, und nicht wollten, dass sich die "einfachen" Katholiken ebenfalls weiterbilden und Aufgaben übernehmen.

Nach 20 Minuten unter Paulas Händen, sind meine Reflexzonen gelockert und ich empfinde mich fast als neu bekehrte Katholikin. Auch wenn ich einige Ratschläge Paulas zu meinem liberal-katholischen Lebenswandel denn doch zu eng finde, so empfinde ich doch grossen Respekt vor ihrem Engagement und ihrem katholischen guten Menschenverstand.

In diesen Tagen diskutieren die lateinamerikanischen Bischöfe in Rom, was sie gegen den Mitgliederschwund ihrer Kirche unternehmen können. Vielleicht sollten sie sich einfach mal die Schuhe ausziehen und sich von Paula ihre Meridiane öffnen lassen.....

lunes, 2 de junio de 2008

Volksgericht II








Die Fotos sprechen für sich. Sie zeigen ein echtes - kein symbolisches - Dorfgericht in einem Andendorf, rund 10 Busstunden von Cusco entfernt. Der junge Mann wurde beim Stehlen erwischt. Zur Strafe muss er im Watschelgang, halbnackt und mit einem Schild bedeckt "Ich bin ein Dieb aus dem Dorf Vista Alegre" mehrmals die Runde machen, an den Dorfbewohnern vorbei, die einen Kreis gebildet haben. Der "Gerichtspräsident" fragt, ob jemand etwas zu Gunsten des Angeklagten vorbringen könne. Ein Cousin des jungen Burschen spricht darauf hin. Anschliessend berät ein Ältestengremium. Am wahrscheinlichsten sei, so erklärte mir mein lokaler Begleiter, dass der Junge ausgepeitscht werde zur Strafe.
Selbstjustiz oder auch indigene Justiz ist ein wichtiges Thema in Peru. Da die Justizbehörden nicht in allen Dörfern erreichbar sind, oder aber der Korruption bezichtigt werden, greifen viele Menschen in den Anden zur Selbstjustiz. Dabei kann es auch zu Morden kommen - wie es in der Kleinstadt Ilave vor 5 Jahren der Fall war. Für die Menschenrechtsgruppen ist die Selbstjustiz ein schwieriges Thema, vor allem wenn die kulturelle Komponente im Spiel ist: das Recht auf kulturelle Eigenständigkeit trifft auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

sábado, 17 de mayo de 2008

Volksgericht l



An Tauccamarca erinnere ich mich, als ob es gestern geschehen wäre. Am 22. Oktober 1999 ereignete sich im Andendorf Tauccamarca eine Tragödie. 44 Schulkinder hatten aus Versehen mit ihrer Schulmilch ein hochgiftiges Pflanzenschutzmittel eingenommen. 24 der Kinder starben, die anderen leiden bis heute an den Spätfolgen. Der Tathergang war schnell rekonstruiert: es war eine tragische Verwechslung von Milch- und Pestizidtüte. Der Inhalt der Tüte dagegen war brisant. Es handelte sich um das hochgiftige Paration. Und dieses Produkt wurde in Peru von der deutschen Firma Bayer vertrieben. Der Vertrieb und Verkauf waren nach der peruanischen Gesetzgebung legal - aber die Handhabung des Vertriebs wies einige Nachlässigkeiten auf. Die Paration-Tüten wurden auch in den Quechua-sprachigen Gebieten Perus nur in spanisch ausgezeichnet. Viele der Bauern in Dörfern wie Tauccamarca können ausserdem nicht lesen und schreiben. Das Paration wurde so locker vertrieben und verkauft, als ob es sich um Milchpulver handelte.
Die Opfer der Tragödie verklagten damals die Firma Bayer auf Schadenersatz. Die Klage wurde vom peruanischen Gericht aus formalen Gründen abgelehnt und Bayer hat nie eine Mitverantwortung an der Tragödie eingestanden. Die Eltern der toten Kinder warten bis heute auf eine Wiedergutmachung, sowohl vom peruanischen Staat wie von der Firma Bayer.

Ihr Fall ist einer von 20 Fällen, die vor das Tribunal der Völker gebracht wurde, das während des Alternativgipfels tagte. 20 multinationale Unternehmen europäischer Herkunft wurden wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Bayer befindet sich in guter Gesellschaft. Angeklagt sind u.a. die Schweizer Syngenta wegen ihres Umgangs mit Demonstranten in Brasilien; das norwegische Agroexportunternehmen Camposol wegen gewerkschaftsfeindlicher Politik in Peru; die spanische Erdölfirma Repsol wegen ihres Vorgehens gegen indigene Gemeinschaften in Argentinien, Ecuador und Brasilien.

Das Tribunal der Völker ist eine Initiative der italienischen Linken aus dem Jahre 1976, die damit die Tradition der Russell-Tribunale gegen den Vietnam-Krieg wieder aufgriff. Seitdem hat dieses inoffizielle Gericht vielmals getagt und moralische Urteile ausgesprochen, zuletzt in Bogotá zum Thema der Rechte der indigenen Völker in Kolumbien.
Zusammengesetzt ist das Gericht aus 5 europäischen Politikern und Aktivisten, sowie 7 Vertretern der lateinamerikanischen sozialen Bewegungen oder linker Parteien.
Vorsitzender des Gerichtes in Lima ist der belgische katholische Priester und emeritierte Soziologie-Professor Francois Houtart. "Sowohl der Alternativgipfel wie auch das Tribunal der Völker geben jenen eine Stimme, die auf dem Gipfel der Präsidenten nicht anwesend sind", meinte er auf unsere Fragen. Das Tribunal der Völker sei ein Meinungstribunal und erlasse moralische Urteile, die von der öffentlichen Meinung aufgenommen werden.
Was damit geändert werden könne ? "Natürlich können und sollen die Unternehmen ihre Praktiken ändern, aber im Grunde genommen geht es um die Logik des Systems, das die Natur und die Arbeit zerstört".
Besonders beeindruckt hat Francois Houtart der Fall der spanischen Erdölfirma Repsol. Sie ist in vielen lateinamerikanischen Ländern aktiv und hinterlasse überall die selben Probleme: Verschmutzung der Umwelt und Vertreibung indigener Gemeinschaften.

Das Gericht verurteilte denn auch das Verhalten der Unternehmen, welches von den Staaten und den internationalen Institutionen gedultet würde. Insofern fordert es die Staaten der Europäischen Union auf, verbindliche Verhaltensregeln von ihren privaten Unternehmen einzufordern.
Als konkrete Massnahme fordert das Gericht ausserdem, dass die UNO einen Sonderberichtserstatter zu Verletzungen gegen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einsetze.

Victoriano Huarayo aus Tauccamarca hat zwei seiner Kinder durch den Unfall verloren. Tapfer hält er am Eingang der Technischen Universität sein Schild hoch, auf dem er die Firma Bayer dazu auffordert, ihre Verantwortung einzugestehen. Das Urteil des Tribunals der Völker ist ein kleiner Schritt hin dazu, dass sein Schicksal nicht vergessen wird.

viernes, 16 de mayo de 2008

Clima Latino

Manchmal könnte man meinen, der Präsidentengipfel und der Volksgipfel unterscheiden sich nur in Form und Farbe, aber nicht unbedingt in seinen Anliegen. Vom Klima zumindest wurde überall geredet.

Am Donnerstag morgen fand auf dem Gegengipfel das Forum "Für eine neue Umweltagenda" statt, eine von über 50 selbstorganisierten Veranstaltungen. Eingeladen dazu hatten dazu das bergbaukritische peruanische Netzwerk Red Muqui und das peruanische Umweltnetzwerk.
Unabhängige Experten und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen machten Vorschläge zum Schutz der Umwelt. So sprach der Agrar-Ingenieur Jaime Llosa über den Klimawande,l und wie Peru sich darauf einstellen kann. Da die Tropengletscher in Peru aufgrund der Erderwärmung abschmelzen, wird sich der Wasserhaushalt grundlegend ändern. Welche Flusstäler werden zuerst viel Wasser - nämlich das Schmelzwasser der Gletscher - haben und danach austrocknen ? Wie wird sich die Wüstenmetropole Lima in Zukunft mit Wasser versorgen ? Jaime Llosa hatte sehr konkrete Vorschläge: die Inka und andere vor-koloniale Völker kannten ein ausgeklügeltes Wasser-Speichersystem. Wenn viel Regen fällt, wird dieser so lange als möglich gespeichert für die Trockentage. Über 40 alte Staudämme und Wasserspeicher seien heute inoperativ. Mit dem jetzigen Klimawandel wiürde dieses alte Wissen aktueller denn je. Wer dafür bezahlen solle ? "Wer den Schaden verursacht, muss ihn auch beheben", meinte Jaime Llosa dazu. Die Verursacher sind in diesem Fall die hochindustrialisierten Länder des Nordens mit ihrem hohen Energieverbrauch.

Das war auch Konsens bei einer ganz anderen Veranstaltung. Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der peruanische Umweltbehörde und die staatliche peruanische Entwicklungsagentur APCI hatten zum Forum "Konsequenzen des Klimawandels für Lateinamerika und die Karibik" ins elegante Swissotel eingeladen. Nur geladene Gäste konnten die Polizeisperren passieren, im Swissotel war der rote Teppich ausgerollt. Nicht für uns, sondern für Angela Merkel, die auch hier abgestiegen war und die zu diesem sog. "side-event" des Gipfels angekündigt war (letztendlich aber nicht kam). Die Jeans hatten alle hier zu Hause gelassen. Bei diesen Veranstaltungen treten die Männer klassisch einförmig in Anzug und Krawatte auf - und die waren, zumindest auf dem Podium, hier unter sich. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum Alternativgipfel: fast alle Gäste des Swissotels sahen europäisch - also weisshäutig - aus, während beim Alternativgipfel die indigenen Vertreter eine grosse Gruppe bildeten.
Abgesehen von diesen Unterschieden, war das Anliegen das gleiche wie an der Technischen Universität. Niemand stellt den Klimawandel in Frage und auch nicht, wer dafür in erster Linie verantwortlich ist: die hochindustrialisierten Länder. Der deutsche CSU-Abgeordnete Christian Ruck hatte vor allem ein Anliegen: den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes, eine der grossen Lungen der Welt. Darein sollte ein grosser Anteil der Erlöse aus dem CO2-Handel fliessen.
Die anderen Referenten von der lateinamerikanischen Wirtschaftskommission CEPAL stimmten in ihrer Diagnose überein. Sie stellten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Volkswirtschaften und vor allem auf die Ärmsten des Kontinents in den Vordergrund. José Luis Machinea, Generalsekretär der Wirtschaftkommission, brachte seine Erwartungen an die Europäische Union auf den Punkt: die Länder der EU sollten die selben umweltschonenden Technologien in Lateinamerika anwenden, wie sie dies bei sich zu Hause tun. Und sie sollten die Länder nicht mittels Auflagen zu mehr Umweltschutz zwingen, sondern vermehrte Anreize dafür schaffen. Die zugrunde liegende Spannung wurde nicht ausgesprochen: die Armen Lateinamerikas wollen auch an den Segnungen der Entwicklung teilhaben. Wenn die EU dagegen möchte, dass die lateinamerikanischen Länder ihre Natur erhalten, müssen sie Wege aufzeigen und Mittel bereitstellen, die Menschen aus der Armut zu führen, ohne die Umwelt weiter zu schädigen. Wie dazu ein Freihandelsvertrag zwischen EU und Lateinamerika beitragen kann - diese Frage blieben die Referenten schuldig.

Gegen-Gipfel





Während die Regierenden im abgeriegelten Nationalmuseum tagen, trifft sich das Volk auf dem Gelände der Technischen Hochschule in Lima. So zumindest steht es im Programm: Cumbre Social des los Pueblos - Sozialgipfel der Völker. Halt, die Gleichung geht nicht ganz auf. Sind doch die Staatsoberhäupter, die sich treffen, schon längst keine bösen Diktatoren mehr, sondern rechtmässig vom Volk gewählte Demokraten. Wer also ist dieses Volk, das sich da an der Technischen Uni ein Stelldichein gibt ? Es seien die Verlierer, sagte heute der peruanische Premier Jorge del Castillo im Fernsehen. Er meinte damit die Verlierer der letzten Präsidentschaftswahlen in Peru, vor allem der kleinen linken Parteien.Dabei liegt del Castillo nicht ganz falsch. An der Technischen Hochschule treffen sich diejenigen, die sich als Verlierer sehen bzw. den Anspruch erheben, deren Interessen zu vertreten. Allerdings nicht als Verlierer der letzten Wahlen, sondern als Verlierer des herrschenden Wirtschafts-Modells: Verlierer der Globalisierung, Verlierer des Freihandels, die Verlierer einer monokulturellen Modernisierungsstrategie. Die Verlierer, die es eigentlich in den Augen der peruanischen Regierung nicht geben dürfte. Die meint nämlich, dass dank des Freihandels und der grosszügigen Förderung von Auslandsinvestitionen Entwicklung und Wohlstand für alle eintrete.

Wer ist das nun konkret, die damit nicht einverstanden sind: Indianervölker aus ganz Peru; Dorfgemeinschaften aus Orten, an denen Gold abgebaut wird oder Erdöl gebohrt wird; globalisierungskritische Studierende aus Lateinamerika und Europa; Angehörige aller möglichen linker Splittergruppen; Frauenorganisationen; lokale und regionale Umweltschutzinitiativen; Frauen, die ihre selbst hergestellten Handarbeiten vertreiben; Gewerkschafter; Journalisten alternativer Medien; peruanische Nicht-Regierungsorganisationen und Vertreter europäischer Hilfswerke und Basisgruppen wie attac. Alles in allem ein recht buntes und mit 4000 eingeschriebenen Teilnehmern auch zahlreiches Volk. Bunt schon allein deswegen, weil die Vertreter der indigenen Völker in ihren Trachten erschienen sind. Bunt auch wegen der Fahnen, die allenthalben herumgetragen werden. Sei es die Wiphala, die alte Inka-Fahne, sei es eine Fahne mit der Ikone "Che" oder mit Sprüchen wie "Nieder mit dem Imperialismus". Besonders auffallend an diesem Gegen-Gipfel: die grosse Präsenz indigener Gruppierungen, von lokalen Initiativen, die die Wiederaufwertung ihrer indianischen Kultur fordern.

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die Geschicke ihrer Länder nicht einfach ihren gewählten Vertretern überlassen wollen. Neu ist das nicht. Die sogenannten Gegen-Gipfel oder Alternativgipfel haben bereits Tradition. Kein Treffen von Regierungschefs, ohne Alternativgipfel und Demonstrationen. Pikant wird das ganze dann, wenn es Grenzgänger unter den Präsidenten gibt. Das ist in Lateinamerika der Fall: der bolivianische Präsident Evo Morales und sein venezolanischer Kollege Hugo Chávez pendeln regelmässig zwischen offiziellem und alternativem Gipfe hin und her. So auch beim Alternativ-Gipfel in Lima.
Während der linke Europa-Abgeordnete Helmut Markov auf einem Podium unter freiem Himmel die Lateinamerikaner dazu aufruft, ja kein Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnen sollen, wächst und wächst hinter ihm eine Menschenschlange. Männer, Frauen, Junge, Alte, ob es da was zu essen gibt ? Beileibe nein. "Wir stehen für das Fussballspiel an", erzählt Juan, der mit seinem Sohn gekommen ist. Um 6 Uhr ist nämlich ein besonderes Match angesagt: der bolivianische Präsident Evo Morales höchstpersönlich wird gegen die Altherren-Nationalelf Perus kicken. "Vor allem möchte ich ein gutes Match sehen", sagt Juan. Das Gerücht besagt, dass auch Maradona und vielleicht sogar Hugo Chávez mitspielen würden. Der spielt zwar nur Baseball, wird aber dennoch feste verteidigt: "Deine Kanzlerin Angela Merkel hätte ihn halt nicht angreifen sollen, sie hat sich nicht als Staatdame gezeigt", meint Juan zu den Ausfällen von Hugo Chávez gegen Angela Merkel.

Maradona kam übrigens nicht zum Match, Hugo Chávez auch nicht. Dennoch war Hochstimmung und Evo Morales brachte sogar einen Elfmeter ins Tor, bevor er wieder seine offizielle Inka-Leder-Jacke anzug und zum Präsidentengipfel fuhr, um seine Amtskollegen standesgemäss zu begrüssen.

jueves, 15 de mayo de 2008

Gipfelschwindel

Lima hüllt sich in sein frühwinterliches Grau. Kein Sonnenstrahl ist zu sehen, man blickt nur auf den Bauch eines Esels, wie der berühmte peruanische Dichter César Vallejo den bleischweren Himmel von Lima beschrieben hat. Gerade das richtige Gipfelwetter. Heute beginnt in Lima der alle zwei Jahre stattfindende EU-Lateinamerika-Gipfel. Grosser Aufmarsch am Flughafen Jorge Chávez in Lima. Gestern kam schon der polnische Premier und der EU-Kommissionspräsident an. Heute dann José Luis Zapatero aus Spanien, Evo Morales aus Bolivien, Cristina Fernández Kirchner aus Argentinien und noch sehr viel mehr Staatsoberhäupter aus Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union. Ungekrönter Star ist Angela Merkel. Zum einen weil sie Zielscheibe eines medienwirksamen medialen Ausfalles des venezolanischen Präsidenten wurde. Und zum anderen, weil die Konkurrenz wegbleibt: weder Nicolás Sarkozy (und damit auch nicht seine Frau Carla Bruni), noch Gordon Brown aus Grossbritannien noch der frisch wiedergewählte Italiener Silvio Berlusconi kommen zum EU-Lateinamerikagipfel nach Lima. Angela Merkel ist mit ihrer 24-Stippvisite also der Star unter den EU-Staatsoberhäuptern.
Um über den Klimawandel, die Umwelt und die Bekämpfung der Armut zu sprechen, kommen sie nach Lima. Nur die Bewohner von Lima kriegen davon wenig mit. Sie wurden nämlich in Ferien geschickt, in ein verlängertes Wochenende, um das Treffen der Staatsoberhäupter nicht zu stören. "Ja, die Präsidenten kommen, um Peru kennenzulernen, unser tolles Land", erzählt mir mein Zeitungsverkäufer. Die junge Dame in der Internetkabine dagegen ist fest davon überzeugt, dass die Präsidenten diese Woche zum APEC-Gipfel kommen, also zum Gipfel der Pazifk-Anrainerstaaten. Der findet auch statt, allerdings erst 5 Monate später, im Oktober. " Ich schaue es rasch im Internet nach", sagt Katia vom Internet auf meinen Zweifel hin. " Ganz sicher, das ist der APEC-Gipfel", meint sie nach ihrer Google-Forschung danach im Ton einer Oberlehrerin. Ich belasse sie im Irrtum. Schliesslich hängt vor meiner Wohnung seit Monaten eine grosses Strassenbanner mit der Aufschrift "Willkommen APEC in Pueblo Libre". Kein Wunder, dass meine Nachbarn nicht wissen, was die Europäische Union hier will.
Letztlich sagt der Lapsus meiner Nachbarn, ebenso wie das fehlende Interesse der europäischen Medien an diesem Gipfel, sehr viel mehr als noch so wohlklingende Worte aus politischem Munde. Lateinamerika ist nämlich weder handelsmässig noch politisch für die Europäische Union eine Priorität; und auch für Lateinamerika ist in den letzten Jahrzehnten die USA und nun zunehmend China der wichtigste und dynamische Handelspartner. Mag dazukommen, dass die peruanische Regierung wenig öffentliche Werbung für den EU-Gipfel betrieben hat. Vielleicht weil der peruanische Präsident Alan García verstimmt ist, weil die EU seinem Wunsch nach einem bilateralen Freihandelsvertrag zwischen Peru und der EU bisher nicht nachgibt. Die EU verhandelt nur "en bloc". Im Fall Lateinamerika sind diese "Blöcke" allerdings widerspenstig oder eher Zwangsgemeinschaften. Der Mercosur, der die grossen Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und seit neuestem Venezuela umfasst, weigert sich, einen Freihandelsvertrag zu unterzeichen, solange die EU nicht ihre Agrarsubventionen senkt. Und der andere, viel kleinere Block, die Gemeinschaft der Andenstaaten, ist in erster Linie eine Nicht-Gemeinschaft. Die linken Regierungen von Bolivien und von Ecuador sind sich in ihren Ansichten über die Segnungen des Freihandels für ihre Völker spinnefeind mit den Regierungen von Kolumbien und eben des Gastgeberlandes Peru.

Die wirklichen Interessen Europas an Lateinamerika zeigen sich denn auch in diesen Tagen: das Klima macht´s. Lateinamerika besitzt einen grossen Regenwald, unterlässlich für den nicht zu rasanten Verfall des Weltklimas. Und Lateinamerika ist mit seinem hohen Wirtschaftswachstum inzwischen interessant für Auslandsinvestitionen. Da sind die Europäer, namentlich die Spanier, bisher gut vertreten. Wer ein Telefon in Peru in die Hand nimmt, ein Bankkonto eröffnet oder in Lima den Lichtschalter betätigt, weiss wovon ich spreche. Alles fest in spanischer Hand.

Klima und Geschäfte: das sind die Prioritäten des Gipfels und dort sind auch die neuen Interessen Europas am ansonsten so weit entfernten Lateinamerika zu finden.

Was der Alternativ-Gipfel "Sozialgipfel der Völker" dazu meint, das in meinem nächsten Blog-Eintrag.

sábado, 19 de abril de 2008

Bad guys (part II)

Als ich ihn das erste Mal traf, war er noch ein freier Zeitungsverleger. Etwas anrüchig zwar und politischer Absichten verdächtig - aber welcher Zeitungsverleger ist das nicht ? Seine Zeitung, ein Revolverblättchen, jedenfalls ging weg wie warme Semmeln. Vor allem unter den Armen und den Bauern in abgelegenen Andendörfern. Denn Antauro Humala, so unser Verleger, hatte ein raffiniertes Vertriebssystem eingeführt. Von der peruanischen Armee ausgemusterte einfache Soldaten ohne Ausbildung und Job, warfen sich in ihre alte Uniform und verkauften das Blatt auf Strassen und Plätzen überall in Peru. Zugleich wurden die Reservisten vom ehemaligen Major Antauro Humala und seinem Vater Isaac in der dazugehörigen Ideologie geschult, dem sogenannten "Etnocacerismus": einer Misch-Ideologie aus Anti-Amerikanismus, Anti-Kapitalismus, Indigenismus und einer gehörigen Prise Rechtsfaschismus und Militarismus. Das alles wäre im Kuriositätenkabinett lateinamerikanischer Ideologien verschwunden, hätten Antauro Humala und sein Bruder Ollanta nicht im Oktober 2000 eine Handvoll Soldaten in das Hinterland der Anden geführt und den Aufstand gegen die peruanische Regierung erklärt. Die kämpfte damals bereits ums Überleben. Der der Korruption überführte Präsidentenberater Montesinos war gerade an dem Tag aus dem Land geflohen, und Präsident Fujimori sah sich landesweiten Protesten gegenüber. Tatsächlich erklärte Fujimori wenige Tage später seinen Rücktritt mit einem Fax aus Japan- Die Gebrüder Humala aber wurden zu Helden der Freiheit: junge, mutige Peruaner, die sich gegen den Diktator stellten - genau das brauchte das Land. Ziemlich rasch wurden die beiden Umstürzler von der Folgeregierung begnadigt und begannen an ihrer politischen Karriere zu arbeiten. Ollanta tat dies von Attache-Posten im Ausland, und Antauro als Zeitungsverleger eines Blättchens, das den Namen seines Bruders trug, Ollanta.

Antauro jedoch beliess es nicht beim Zeitungsverlegen. Landauf , landab hielt er seine Rede von der Unterdrückung der braunen Rasse, den alten Werten der Inka und warum die Yankees das Land ausbeuten. Die Rede schlug ein. Mehr als ein junger , aus der Armee entlassener Rekrut fühlte sich angesprochen. Arbeit hatte er sowieso nicht, und da konnte er als Zeitungsausträger etwas verdienen und dazu noch ein neues Ideal finden. Als ich Antauro Humala das erste Mal gegenübersass, nahm ich einen redseligen, nervösen Mann wahr, der manche wahre mit allerlei wirren Ideen mischte. Dass der Rassismus in Peru ein ernsthaftes problem ist, das geben immer mehr Leute zu. Aber muss man aus Rache gegen die Kultur der Yankees auch ein eigenes peruanisches Windows - Computerprogramm schaffen ? In dieser Zeit war Antauro der Statt- und Steigbügelhalter für seinen Bruder Ollanta, der zu der Zeit in Frankreich und Korea das peruanische Militär repräsentierte. Das änderte sich schlagartig am 1. Januar 2005. Artauro Humala und seine Reservisten hatten das Polizeikommisariat im Andenstädtchen Andahuaylas eingenommen. Bei der folgenden Schiesserei kamen vier Polizisten und drei Etnocaceristen ums Leben. Antauro Humala und seine Gefolgsleute wurden umgehend in Haft gesetzt - und Bruder Ollanta distanzierte sich von Antauro, gerade rechtzeitig zur Präsidentschaftskampagne, bei der er nur knapp dem aktuellen Präsidenten Alan Garcia unterlag.

Antauro Humala, der "Major", wie ihn seine Etnocaceristas nennen war im neu erbauten Gefängnis Piedras Gordas ausserhalb Limas untergebracht. Dieses Gefängnis wurde mit den Geldern erbaut, die Fujimoris Präsidentenberater Montesinos für sich auf sein Schweizer Konto abzwackte, und das von den Schweizer Behörden in die peruanische Staatskasse rückgeführt wurde. Die grossen Bosse der Korruption aus Politik und Militär sollten hier ihre Haftstrafe absitzen. Als ich im Mai 2005 die Versammlungen der Etnocaceristas besuchte und herauszufinden wollte, ob die Gruppen weiterhin existieren, wurde ich zuerst recht freundlich aufgenommen. Die Jungs ( es waren kaum Mädels darunter) trafen sich in einem alten, unbewohnten Hochhaus in der Altstadt Limas. Der Strom war zeitweise abgestellt, die Hinterkammer, in der sie sich trafen, war nur über einen dunklen Zugang durch mehrere leere Räume zu erreichen. Im Raum selbst hingen die Wiphala - die bunte Fahne der Indigenas - und jede Menge Militaria. Besonders beeindruckte mich ein Foto, das einen jungen Mann in Uniform zeigte, der aus seinem Mund blutend über eine Mauer sich wuchten wollte. Der junge Mann war in Andahuaylas tödlich getroffen worden, seine Finger zeichneten auf dem Foto ein "V" für Victoria, sieg, nach. Deswegen hatten die Etnocaceristas das mir so grausam erscheinende Foto aufgehängt. Wegen des "V" des sterbenden Jungen. Auch ansonsten fehlte es nicht an Militaria und rechtsextremen Schriftentum im Raum - für die Etnocaceristas kein Widerspruch zum gleichzeitig vorhandenen Anti-Imperialismus aus der linken Ecke.
Sobald ich etwas mehr über ihre Organisation wissen wollte, wurde Efrain, einer der jungen Anführer, still, ging in eine Ecke und rief jemanden mit seinem Handy an. Schliesslich wurde er meiner Fragen überflüssig, hielt mir das Handy hin und sagte, "sprich selbst mit dem Mayor". Am Telefon war Antauro Humala, Major ausser Dienst der peruanischen Armee, und zu dem Zeitpunkt Insasse des neuen Hochsicherheitsgefängnisses Piedras Gordas. Ich solle ihn doch besuchen kommen, meinte Antauro zu mir, nachdem ich ihn an unsere erste Begegnung erinnerte. Morgen sei Besuchstag für Frauen, ich solle aber nicht seinen Namen angeben, sondern den von Oscar Benitez Linares. Damit käme ich sofort rein ins Gefängnis.
Am nächsten Nachmittag machte ich mich auf den Weg nach Piedras Gordas, am äussersten Nordrand Limas, mitten in der Wüste. Der neue, graue Festungsbau auf einem Hügel war von weitem zu erkennen. Rund 30 weitere Frauen warteten darauf, ihre Angehörigen zu besuchen. Ich zeigte meine peruanische ID, sagte, dass ich zu Oscar Benitez wollte, und schon wurde ich reingelassen. Die Sicherheitskontrollen waren eher lasch, zumindest fanden sie weder meine Schlüssel noch mein Handy - beides in perunaischen Gefängnissen absolut verbotene Dinge. Im Gegensatz zu den überfüllten Gefängnissen Perus, war das neue Piedras Gordas eine Flucht leerer Betonkorridore, hinter glasscheiben sassen Beamte, die auf einen Knopt drückten, ein Gitter öffneten und dich einen neuen menschenleeren Gang entlang schickten. Peruanische Gefängnisse sind ansonsten alles, was man sich vorstellen kann. Aber ganz sicher nicht menschenleer. Schliesslich führte ein Gang zu einer Art Korridor mit 4 offenstehenden Doppelstahltüren, hinter denen normalerweise extrem wertvolle oder extrem gefährliche Dinge zu lagern pflegen. In dem Fall waren es wohl die extrem gefährlichen Männer, die hier verwahrt erwden sollten. Einer von ihnen kam mir entgegen, mit einem breiten Lächeln stellte er sich mir vor: "Gestatten , Oscar Benitez, ich bin Kronzeuge gegen Zevallos". Zevallos war der grösste Drogengeldwäscher ganz Amerikas, Besitzer der damals grössten Airline Perus und vor ein paar Monaten auf Betreiben der USA in Haft genommen worden. Der mich freundlich anlächelnde Mann sollte also gegen Zevallos aussagen. Nicht umsonst natürlich, wie er zugab. Er selbst habe auch kräftig verdient im Drogenhandel, und eine Hafterleichterung bekäme er mit seiner Aussage. Aber erst mal wollte er mir heute Antauro Humala vorstellen. Oscar führte mich zu einem rund 100Quadratmeter grossen, gemauerten Hinterhof. Menschenleer. Bis auf Antauro Humala. In einer Ecke, unter einem selbstgebastelten Sonnendacht, und hinter einem Tisch, hält er Hof. Zwei Handys liegen auf dem Tisch, daneben die neuesten Ausgaben seines Blättches und einen Stapel Papiere , und ein sonnengebräunter, gut gelaunter Ex-Major, Umstürzler und des Mordes Angeklagter. Gut ginge es ihm hier im Gefängnis, "das Gefängnis hat sogar pädagogischen Charakter", meinte er und dass er nun Zeit habe, sein Buch zu schreiben. Inzwischen kommt seine Anwältin und bringt ihm die neuesten Druckfahnen seines Blättchens zur Korrektur. "Antauro" heisst dieses nun, denn nachdem sich Bruder Ollanta vom "Andahuaylazo" distanziert hatte, benannte Antauro sein Blättchen in Antauro um. Von seiner etnocaceristischen Ideologie sei er mehr denn je überzeugt. Seine Augen glitzern, wenn er seine militaristische und anti-imperialistische Ideologie vorbringt. Gewalt ?Die sei notwendig, ein Mittel unter anderen, am Ende nur eine Fussnote der etnocaceristischen Weltgeschichte. Antauro Humala hat grosses vor, daran lässt er keinen zweifel. Hier im Gefängnis habe er auch schon verwandte Geister gefunden. Die hier einsitzenden Kader des Leuchtenden Pfades, einer extrem gewalttätigen maoistischen Terrorgruppe, die für über die Hälfte der todesopfer des peruanischen Bürgerkrieges verantwortlich zeichnet, würde langsam einsehen, dass das ethnische Element wichtig sei.
Ob ich ein Foto wolle ?, fragt mich Oscar Benitez, der zum Presseagenten Antauros avancierte Drogenhändler. Er bietet mir an, mit dem Handy ein Foto zu schiessen und mir das Foto dann zu mailen. Anders ginge es leider nicht, es sei halt doch ein Gefängnis hier.
Der redselige Antauro sagt zum Schluss des Interviews: "schreib das nicht, aber ich habe hier j aalles, was ich brauche: Zugang zum Internet, Telefon, Fernseher".

Zwei Stunden mit Antauro und seiner indigenistisch-nationalistisch-faschistischen Rede sind genug. Ich verabschiede mich und gehe die leeren Betongänge zurück zum Ausgang. Niemand behelligt mich, niemand will wissen, wo ich war und was ich mit herausnehme.

Draussen vor dem Gefängnis blicke ich auf die Wüste und die Armenviertel, die sich ein paar Hundert Meter hinter dem Gefängnis ausbreiten. Steige in meinen Combi, den kleinbus, der mich nach Lima zurückbringt und trete wieder in die "normale" Welt Limas ein, die chaotische, die überfüllte, die ungerechte, die dynamische. Und frage mich, welche Welt nun surrealer war: diejenige im hochsicherheitsgefängnis, oder diejenige draussen.

PS: wenige Wochen nach meinem Besuch im Piedras Gordas flog der Skandal auf. Nicht wegen Antauro, sondern wegen eines mächtigen Mafiabosses, der im gleichen Gefängnis einsass. Er hatte den Gefängnisdirektor bestochen, damit er alle Handy- und Telefonfanggeräte abschaltete und ungefiltert frauen- und Männerbesuch ins Hochsicherheitsgefängnis liess. Kurz darauf beantragte Antauro Humala seine Verlegung in ein anderes Gefängnis.

PSS 2008: Der Chef der peruanischen Gefängnisverwaltung, Leonardo Caparrós, erzählt, dass die Häftlinge in Piedras Gordas inzwischen unzufrieden seien und meutern würden. "Das ist ein zeichen dafür, dass sie mit Korruption nichts mehr erreichen".
Antauro Humala und seinen Anhängern wird, endlich, der Prozess gemacht. Antauro tritt im Gerichtssaal so flegelhaft auf, dass er vom Richter des Saales verwiesen wird. Die Staatsanwaltschaft verhandelt derweil, ob auch Bruder Ollanta in die Anklage aufgenommen wird, weil er angeblich den gewaltsamen Aufstand von Andahuaylas gutgeheissen habe.

PSSS: Das Hochsicherheitsgefängnis Piedras Gordas wurde mit ausserplanmässigen Geldern gebaut, welche der Schweizer Staat auf den Schweizer Konten des früheren Präsidentenberaters Vladimiro Montesinos einfrieren liess und die er nachher an den rechtmässigen Eigentümer, den peruanischen Staat, zurückführte.

jueves, 27 de marzo de 2008

Bad Guys (part I)

Die schlimmen Jungs sind bekanntlicherweise viel aufregender als die braven Streber. Vor mir steht einer, dem auf den ersten Blick nicht anzusehen ist, welcher Kategorie er angehört. Gut 1,80 gross, überschlank, mit weissen Stoppeln auf dem Kopf und im noch nicht ganz verlebten Gesicht, aus dem ein Paar blitzblauer Augen funkeln. Das moderne Karohemd hängt lässig über seiner beigen Leinenhose, über der Brust des Mitfünfzigers baumelt eine Lesebrille. In der rechten Hand ein zerlesenes Paperback, "El Hombre", den Roman des amerikanischen Bestsellerautors über einen fiktiven schwarzen Präsidentschafskandidaten. "Bufalo", so heisst mein Bekannter, könnte ohne weiteres an einer Strandbar stehen und auf ein weibliches Opfer warten, das sich von seinen Abenteuern beeindrucken lässt. Tut er aber nicht. Ich treffe Buffalo im Gefängnis von San Juan de Lurigancho, dem grössten und berüchtigsten Männergefängnis Perus. Bufalo ist der Sous-Chef eines Faites, also eines Bandenchefs, der über seinen Gefängnistrakt mit mehreren hundert Männern gebietet. Mit anderen Worten: hier im grössten Männerwohnheim Perus mit über 10 000 Insassen, ist Bufalo eine Respektsperson.
Dies merken wir spätestens, als wir mit einem Fotografen über den "Boulevard" gehen - über den ca. 400 Meter langen Gang, der die einzelnen Trakte voneinander trennt. Hier gibt es alles und alle zu kaufen: Waschmittel, Seife, Ersatzteillager für alles mögliche, Drogen und Menschen. Auf dem Boden total zugedröhnte Jungs, die sogar zum Dealen zu bekifft sind und nur noch sich selbst anbieten können, um an Drogen zu kommen; daneben die Dealer aller Abstufungen und Männer, die selbst hergestellte Keramikarbeiten anbieten, und damit den Anschein aufrecht erhalten, dass auch im Gefängnis ein "ehrliches" Leben möglich ist. Ist es aber nicht: 80% der Bewohner dieses Gefängnisses nimmt Drogen; wenn sie es nicht getan haben, bevor sie eingelocht wurden, so tun sie es spätestens, wenn sie rauskommen. Die Polizei schaut zu oder hilft sogar noch mit bei der Beschaffung der Drogen. Warum sollten sie auch nicht: bei 400 Polizisten gegen 10 000 Häftlinge, ist doch jegliche Liebesmühe vergeblich. Da kann man die Häftlinge genausogut mit Waffen und Drogen versorgen. In gewisser Weise hebt sich deren Wirkung gegenseitig auf: "Die Drogen machen uns zahm, so dass wir nicht ausbrechen, denn die Waffen dazu haben mir".
Bufalo macht da keine Ausnahme: "Natürlich nehme ich auch Drogen, sonst hält man das nicht aus". Seit 24 Jahren führt Bufalo ein Leben zwischen Gefängnis und Nicht-Gefängnis. Mehr Zeit hat er inzwischen drinnen verbracht. Drogenhandel, Überfälle und Betrügereien - alles hat er schon gemacht und versucht. Unschuld versucht er gar nicht erst vorzutäuschen. Reue über ein verpfuschtes Leben ? Dazu hat er zuviel Haltung und Selbstachtung. "Wie hält man das Gefängnis hier aus, ohne verrückt zu werden ?" frage ich ihn. " Du musst alle Gefühle abschalten, sonst geht es nicht.", meint Bufalo. Er möchte deswegen keinen Besuch mehr von seinen Familienangehörigen, das bringe nur Probleme und Sorgen. Ohne Besuch und Familie lebe er ruhiger. Trotz aller Abgebrühtheit ist die Traurigkeit in seiner Stimme abgrundtief.

Wasser - Agua


Mehr verschlafen als interessiert hörte ich heute früh im Bett die Nachrichten: ein toter Häftling, eine versuchte Vergewaltigung, ein Verkehrsunfall und als Sensation ein schwangerer Mann. Das übliche Gemisch aus Horror, Crime und Sex, das hier als berichtenswert gilt. Ich merke erst auf, als ich auf einmal das Wort "corte de agua" höre. Das Wasser wird abgestellt. In mehreren Stadtteilen Limas würde heute von 9.30 am bis um 2.30 früh das Wasser wegen Reparaturarbeiten abgestellt. Mein Wohnviertel ist auch darunter. Ein Blick auf die Uhr: 7.30 ; nichts wie raus aus dem Bett und Wasser horten. Alle leeren Plastikflaschen, die ich finden kann, werden mit Wasser gefüllt. Dann schnell alles Geschirr vom Vortag spülen. Der Wasserreserveeimer auf der Dachterrasse ist leer - und aus dem Wasserhahn tröpfelt immer weniger Wasser. Der "Corte", die Wasserabstellung hat schon begonnen. Immerhin schaffe ich es noch unter die Dusche, solange ein paar Tropfen herauskommen. Um 8.15 ist die Leitung trocken - eine der wenigen Dinge, die hier vor der angekündigten Uhrzeit passieren können. Meine zwei Freundinnen, die sich für 11 Uhr morgen angekündigt haben, werden halt nicht duschen können - soviel Wasser konnte ich nicht mehr horten.

Dass Wasser kein selbstverständliches Gut ist, spürt man erst, wenn es mal fehlt. Dass es in der Grosstadt Lima nicht öfters daran fehlt, grenzt eigentlich an ein Wunder. Denn Limas 8 Millionen Einwohner leben sprichtwörtlich in der Wüste. In geographischer Hinsicht sind sich Kairo und Lima verdammt ähnlich. Das wird jedem Ausländer sofort klar, wenn er die kargen Sandhügel rund um die Stadt betrachtet oder die staubigen Pflanzen und traurigen Palmen ansieht, die trotz ausgiebigen Giessens nie richtig saftig grün ausssehen. Deshalb ist es verwunderlich, dass sich die Bewohner Limas bisher kaum Sorgen um ihre zukünftige Wasserversorgung machen. Selbst in den Armenvierteln, die nur unzulänglich mit Wasser versorgt sind, und in denen man kaum ein grünes Blatt erblickt, wird das Problem darauf reduziert, dass man Leitungen legen soll oder das Wasserunternehmen korrupt ist. Was aber, wenn einmal kein Wasser mehr aus der Leitung kommt, weil es keines mehr gibt ?

Lima speist sich mit Wasser der Flüsse Rimac und Chillón. Auf dem Pass Ticlio, auf 4800 Meter Höhe, entspringen die Bächlein, die nach und nach den Fluss Rimac bilden. "Noch vor ein paar Jahren habe ich beim Überqueren des Passes Schnee gesehen", erzählt Erzbischof Pedro Barreto. Heute muss man schon eine Brille aufsetzen, um ein paar Schneefelder in der Ferne noch zu erkennen. Die Tropengletscher sind in den letzten 5 Jahren um 22% geschmolzen - der peruanische Ticlio macht da keine Ausnahme.
Kurz unterhalb des Ticlios fliessen dann Abwässer aus Bergwerken in die kleinen Bäche; weiter unten ist ein Tunnel, in den Bergbauschutt seit Jahrzehnten gelagert wird und der inzwischen ins Grundwasser gesickert ist; noch weiter unten im Rimac-Tal, da wo die äussersten Siedlungen Limas beginnen, fliessen Industrieabwässer, Haushaltabfälle und Agropestizide ungefiltert in den Fluss. Das heisst, das Wasser wird nicht nur weniger: es kommt auch hochgradig verschmutzt in Lima an.
Wenn Lima das Wasser ausgeht, wird hier auch das Licht ausgehen: Peru ist durch seine Geographie, die steilen Andenabhänge, in der Lage, ein gutes Drittel seines Energiebedarfes durch Wasserkraftwerke zu decken. Frage ist nur, wie lange noch, wenn das Wasser zurückgeht.

All diese Fragen sind bisher in der peruanischen Gesellschaft und Politik tabu. Denn: Peru ist eine Gesellschaft im Modernisierungsschub. Durch anhaltendes Wirtschaftswachstum wächst auch der Bedarf nach Wasser und Energie, nicht nur für die Industrie, sondern gerade auch für den persönlichen Konsum. Da ist es nicht populär, wenn Politiker zum Haushalten mit Wasser und Energie anhalten.

Gut, dass die katholische Kirche - endlich - hier ihrer prophetischen Rolle gerecht wird: heute hat Erzbischof Barreto die landesweite Kampagne "Wasser, Geschenk Gottes für das Leben" eröffnet. In allen katholsichen Gemeinden sollen die Christinnen und Christen für den Umgang mit der Ressource Wasser sensibilisiert werden.

sábado, 16 de febrero de 2008

Der Ökobauer


"Jetzt habe ich wieder Hoffnung gewonnen, dass man doch was gegen die Umweltverschmutzung tun kann", sagte Soledad, eine 22-jährige Radiojournalistin aus Jaén. Hoffnung gegeben hat ihr die Begegnung mit einem Mann, der mit seinem Gesicht das ausstrahlt, was er sagt: Alejandro Córdova, Bauer, fast 70 Jahre alt, 6 Kinder, aus dem kleinen Ort San Antonio hoch oben auf den Höhen des Rimac-Tales.

Getroffen habe ich Alejandro Córdova, als ich mit 12 Radiojournalisten aus ganz Peru, die in Lima an einem Kurs "Umweltjournalismus" teilnahmen, das Flusstal des Rimac hochfuhr. Von 0 auf 5000 Meter, innerhalb von nicht mal 4 Stunden - diese Vielfalt an Klimazonen innerhalb so kurzer Zeit, das muss ein anderes Land Peru erst mal nachmachen. Leider macht der Rimac Peru weniger Ehre. Er ist einer der am meisten verschmutzten Flüsse des Landes. Die Gletscher auf 5000 Meter gehen immer mehr zurück, dafür konnten wir sehen, wie die angrenzenden Bergwerke Schwermetalle aufwirbeln und damit die Bäche verseuchen - dieselben Bäche, die 160 Kilometer weiter unten als Rimac ins Meer fliessen.

Alejandro Córdova treffen wir auf der Mitte des Weges, im Ort San Mateo, auf 3200 Meter Höhe gelegen. "Der Rímac ist der wichtigste Fluss ganz Perus", sagt er, als wir ihn im Gemeindesaal treffen. "Schliesslich versorgt er ein Drittel aller Peruaner mit Wasser - denn ein Drittel lebt in der Hauptstadt Lima". Alejandro erzählt davon, wie schon seine Vorfahren um die Zusammenhänge der Natur in den unterschiedlichen Klimazonen wussten, und wie er dieses Wissen bis heute lebendig erhält . "Auf 4500 Metern Höhe kann man eine alte Grassorte anpflanzen, damit die Bodenerosion aufgehalten wird". Seine Augen leuchten, wenn er von seinen Öko-Experimenten erzählt, und dass seine Produkte inzwischen von Biolatina als Öko-Produkte zertifiziert sind.

Durch den jahrelangen Erzabbau, sowie durch die Industrien, die ihre Abwässer in den Fluss leiten, ist im ganzen Flussteil schon viel Boden verseucht. Eine Lösung, so Alejandro Cordova, wird sich erst dann finden, wenn die verschiedenen betroffenen Gemeinden und Provinzen zusammenarbeiten, um ihren Fluss zu sanieren. Dies ist in Peru bisher nicht der Fall. Die politischen Zuständigkeiten richten sich nicht nach den natürlichen Gesetzmässigkeiten - so dass es für einen Flusslauf eine zuständige Behörde gäbe. Genau dafür setzt sich Alejandro Córdova ein. Als Bewohner San Mateos kann er dabei auf eine einmalige Geschichte verweisen: bereits im Jahr 1934 protestierten die Bauern von San Mateo gegen eine lokale Erzausbeutung, weil der Abraum ihre Tiere krankmachte. Der Protest der Bauern endete damals im Kugelhagel der gerufenen Soldaten. 4 Einwohner San Mateos starben.
Seit ein paar Jahren wird ihr Todestag in San Mateo als lokaler Gedenktag begangen. Und zugleich wird der neueren Geschichte gedacht, einer aus diesem Jahrhundert: die Kinder eines Ortsteils klagten seit 2002 unter vielfachen Beschwerden, weil sie neben einer Abraumdeponie aufwuchsen. Messungen ergaben hohe Bleigehalte im Blug, und Schadstoffe, die aus der angrenzenden Abraumhalde kamen. Niemand wollte sich für die Entfernung der giftigen Erzabfälle verantwortlich zeigen - bis die Bewohner von San Mateo, im Namen ihrer Kinder, vor den Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Rica zogen. Der hiess den peruanischen Staat an, den Giftmüll zu beseitigen - heute wachsen auf der ehemaligen Giftmülldeponie wieder Gras und erste zaghafte Blumen.

Alejandro Cordova ist davon überzeugt, dass sich der Einsatz für ein menschenwürdiges Leben und für eine natürliche Umwelt auszahlt - genau diesen Glauben strahlt er aus, und hat damit unseren Journalismus-Studierenden mehr beigebracht als 10 Universitätsprofessoren zusammen.

jueves, 24 de enero de 2008

Entwicklungshilfe

Letzte Woche erhielt ich wieder einen der Notanrufe: ob ich nicht Blut spenden könne, Rhesus negatives, für eine alte Frau, die auf eine Operation in einem Krankenhaus im Norden Limas wartet. Der Sohn der Patientin würde mich auch abholen und wieder nach Hause bringen. Natürlich sagte ich zu - wenn ich schon mal nur mit meinem Blut was Gutes tun kann, wie sollte ich mich da weigern ?
Am Donnerstag waretet pünktlich ein schrottreif aussehendes Auto mit Chauffeur auf mich - José hiess der Sohn der Patientin, der mit seinen Geschwistern seit Tagen auf der Suche nach Rhesus negativen Blutspendern war. "Ein einziger Neffe hatte die gleiche Blutgruppe, und wegen einer Tätowierung haben sie ihn nicht akzeptiert. Ich hätte ihn schlagen können, in dem Moment", erzählt José von der Mühe, passende Blutspender aufzutreiben. Und wegen des Autos solle ich mir keine Gedanken machen, das würde uns schon hinbringen. Sein letztes funkelnagelneues Auto sei ihm gestohlen worden, da fahre er doch lieber die Schrottkiste.

Aber nicht davon will ich berichten. Sondern von unserer Autofahrt Richtung Nordlima. Ein Stau nach dem anderen bot uns Gelegenheit zu einem intensiven Erfahrungsaustausch. Deutsche sei ich also, meinte José. Er habe auch Deutsche kennengelernt, als er in den 80-er Jahren in der Personalabteilung der Stadt Lima arbeitete. Damals sei der linke Alfonso Barrantes Bürgermeister gewesen. Aber zurück zu den Deutschen. Einen Willi und noch jemanden, sehr nette sympathische Leute. Für die deutsche Entwicklungshilfe hätten sie die Stadt beraten, um die Abfallbewirtschaftung Limas neu zu organisieren. Ich bin erstaunt, davon hatte ich nie gehört. Mit der Abfallentsorgung macht Lima heute nicht viel her. Und, mal ganz ehrlich, hat das Projekt etwas gebracht ?, frage ich meinen Chauffeur. José schaut etwas verlegen drein, wie wenn er damit ringt, ob er mir jetzt die Wahrheit sagen oder sie doch lieber beschönigen soll, weil er mich nicht beleidigen will. "Also ehrlich gesagt, war das alles für die Katz. Zuerst waren die Entwicklungshelfer sehr engagiert, wollten vieles ändern. Aber als sie gesehen haben, dass sie nicht weiterkamen bei den verkrusteten Verwaltungsstrukturen, haben sich ihre Aktivitäten immer mehr in die Hotels des schicken Viertels Miraflores verlagert. " Gesprächsrunden und Cocktails, auf denen man über Abfallbewirtschaftung und Armutsbekämpfung geplaudert habe, hätten dann die eigentliche Arbeit auf der Gemeinde ersetzt. Zu den Veranstaltungen seien dann die Sekretärinnen geschickt worden, damit jemand von der Stadt teilgenommen habe.
Aber das sei vor zwanzig Jahren gewesen, damals sei er auch noch Kommunist gewesen. Wie seine Mutter, die jetzt das Blut braucht. Die war Näherin in einer Fabrik und engagiertes Gewerkschaftsmitglied. Er, José, habe schon lange dem Kommunismus abgeschworen und glaube an den freien Markt. Ich solle mir doch nur das Angebot in den Kaufhäusern anschauen, die auch in den Armenvierteln nun aus dem Boden spriessen. Das habe es in den 80-er Jahren nicht gegeben. Ob es ihm selbst denn auch besser gehe ? Nein, er merke noch nicht viel davon , aber die Entwicklung brauche eben Zeit, das würde schon noch kommen.

miércoles, 16 de enero de 2008

Wunschmarkt - Feria de los Deseos







Das Neue Jahr 2008 habe ich mit einem Rundgang durch die „Feria de los Deseos“ begonnen - den Markt der Wünsche. Jedes Jahr nach Weihnachten kommen „Curanderas“ von den Hochanden nach Lima und bieten auf dem „Markt der Wünsche“ ihre Dienste an. Eine „Curandera“ ist eine Kräuterfrau, Heilkundige und Schamanin. Das Dienstleistungsangebot der Schamaninnen ist gross: sie lesen Dir die Zukunft aus Koka-Blättern oder vertreiben ein Trauma oder eine Krankheit dadurch, dass sie ein Ei über Deinen Körper streichen. Auch ein Meerschweinchen oder ein Gürteltier erfüllen diese Funktion: sie ziehen die schlechten Energien und Krankheiten vom Menschen ab. Als Schutz und Abwehr von zukünftigem Übel soll man sich mit einem Sud aus Heilblüten waschen, oder man kauft sich eines der unzähligen Amulette, die feilgeboten werden. Es gibt Amulette gegen und für alles: zum Schutz von Haus, Hof und Tier; zur Abwehr von Krankheit oder Diebstahl; um einen Menschen in sich verliebt zu machen oder um ein Liebespaar zu trennen. „ Du musst das Amulett an einem besonderen Platz bei Dir zu Hause aufbewahren“, erklärt die Verkäuferin. Im Grunde genommen handelt es sich hier um die Hausrats-, Unfall- und Krankenversicherung der Armen. Eine richtige Versicherung mit monatlichen Raten können sie sich nicht leisten, aber ein Amulett 50 Cent, das ein Jahr lang gültig ist – das liegt drin.

Beim „Markt der Wünsche“ in Lima vermischen sich altes Heilwissen mit Kommerz und billigem Aberglauben. Dahinter steckt jedoch eine alte Weisheit der Andenvölker: eine Krankheit ist selten nur körperlich bedingt, sondern ist durch ein Trauma oder einen Übeltäter ausgelöst. Als ich die Schamanin frage, ob sie den Husten eines 4-jährigen Mädchens kurieren kann, schaut sie mich verständnislos an: „ Sie meinen, ob man den Schrecken heilen kann“ – ein Husten ist eben nicht einfach ein Husten, sondern ein sichtbarer Ausdruck von etwas, was in der Seele nicht stimmt – und dies wiederum kann durch ein Trauma von aussen verursacht sein. Deswegen muss die Schamanin das Trauma wegnehmen. Vieles von der andinen Heilkunst würden wir heute unter dem westlichen Begriff „Psychosomatik“ fassen.

Aber das wichtigste ist der Glaube: so wie auch die Mutter Gottes in Lourdes nur denen hilft, die an sie glauben, so wird auch die andine Heilkunst nur denen helfen, die nicht von zuviel westlicher Skepsis befallen sind.

(aus meinem Rundbrief El Puente 12)