martes, 26 de junio de 2007

Lindenstrasse peruanisch 1

"Hildegaaaar" tönt es laut unter meinem Fenster. Schon wieder meine Nachbarin. Hada heisst sie, ist das was man in Bayern eine gspinnerte Jungfer nennen würde, um die 50, spindeldürr, mit verschiedenen Wehwehchen und einigen Macken, aber sonst ganz nett. Vor allem aber versorgt sie mich mit News aus meinem Reihenhäuschen in der Vivanco-Strasse im Lima-Stadtteil Pueblo Libre. Da wir beide uns ein Haus mit zwei Wohnungen teilen, und die Verbindungstreppe zwischen den beiden immerhin bis zu meinem Fenster reicht, ist die Verbindung einfach durch Rufen und notfalls durchs Fensterln herzustellen. Besonders gerne erzählt mir Hada , was unsere anderen Nachbarn so treiben. Seit kurzem ist Brigitte (französisch ausgesprochen , "brischid") ins Häuschen gegenüber eingezogen. Das hatte davor ein junger Alkoholiker in Brand gesteckt, aus Frust dagegegen, dass seine Mutter ihn nicht aus dem Haus lassen wollte. Ich war zu dem Zeitpunkt auf Reisen, aber Hada hat es mir nachher klitzeklein erzählt, wie sie knapp dem Erstickungstod entgangen ist. Na ja, der Brandstifter bekam von unserem Vermieter den sofortigen Laufpass, und danach zog Brischid ein. Brischid ist so ungefähr das Gegenteil von Hada: eine üppige , grosse, etwas verblühte Schönheit Mitte Vierzig. Ausserdem bereits Grossmutter. Morgens um 10 Uhr sieht man sie in ihren Bademantel gekleidet manchmal dem Briefträger die Tür aufmachen. Also, Brischid und Hada haben sich sofort gefunden und haben mir ein gemeinsames Projekt vorgeschlagen. Es ist nämlich so, dass ich zu Hause einen Internet-Anschluss habe, und Brischid einen Anschluss für Kabelfernsehen. Ihr Vorschlag: ich solle Brischid an mein Internet lassen, und sie würde mir dafür ihr Kabelfernsehen geben. Das kommt billiger und ist in Peru gang und gäbe. Man hat nicht mal ein schlechtes Gewissen deswegen (ausser man lässt sich erwischen). Hada ist die Meldegängerin zwischen Brischid und mir: wann ich denn da sei, dann würde Brischid ihren Cousin schicken, der kenne sich mit Internet und Kabeln aus und der würde dann die neuen Kabel verlegen. Wir finden einen gemeinsamen Termin, der Cousin kommt, verlegt 50 Meter Kabel über verschiedene Dächer und voila: ich habe meine 92 Fernsehkanäle, fast gratis, und Brischid kann mit ihrer Tochter in den USA nun von zu Hause aus chatten. Unser erstes gemeinsames Projekt hat geklappt. Die nächsten warten schon : unser gemeinsamer Vermieter und unsere Katzen. Aber darüber mehr das nächste Mal.

miércoles, 20 de junio de 2007

Gletschergold


"Warmes Wasser? Das wirst Du hier kaum finden", lachte mir die Wirtin ins Gesicht und erklärte mir behutsam, dass ich froh sein müsse, wenn eine Herberge hier überhaupt Wasser habe. Ob fliessend, oder gar warm: das seien Ansprüche, die in La Rinconada zumindest nicht gälten. Wir sind schliesslich froh, als wir eine Unterkunft finden, die immerhin einen Eimer eiskalten Wassers zur Verfügung stellt.
La Rinconada, im Departament Puno in den peruanischen Anden ist nicht irgendein Ort. Er liegt auf 5400 Meter Höhe, der Schnee leuchtet wie in den Schweizer Alpen, und wenn sich jemand hier herauf wagt, so nur aus einem Grund: reich zu werden. In La Rinconada gibt es nämlich Gold. Es liegt zwar nicht auf der Strasse, sondern verborgen im Berg, aber mit Schaufel und Hacke, einer Ecke Dynamit und ein paar Decken gegen die Kälte bewaffnet, kann ein jeder hier sein Glück versuchen. Und das tun sie zu hauf. Jeder junge Mann aus der Umgebung, der Streit mit der Freundin oder dem Vater hatte, der in der Uni durchgefallen ist oder der mit dem Gesetz aneinandergeraten ist, scheint nach la Rinconada zu kommen und sein Schicksal herauszufordern. Nur so ist zu erklären, dass die kilometerlange Hauptstrasse von la Rinconada so dicht bevölkert ist wie der Einkaufsboulevard Jiron de la Union in der Haupstadt Lima. Drogerien mit den neuesten Duftwässerchen, Stände mit DVD-Raubkopien von Softpornofilmen und Handy-Shops wechseln sich ab. Mitten auf der Strasse, direkt über dem offenen Abwasserkanal werden auf Tischen frisches Fleisch, Säfte und gebratene Spiesschen angeboten. Die klirrend kalte Luft ist erfüllt mit dem Sound der momentanen Anden-Volksmusik-Königin. Das Gemisch von Tönen und Düften und Kommerz kann aber den Hauptduft des Ortes nicht verdecken. Die Kälte von La Rinconada stinkt. Der Gestank begleitet einen auf Schritt und Tritt. 20 000 Menschen sollen hier auf 5400 Meter Höhe leben, und es gibt keinen einzigen Wasser- oder Abwasserkanal. Wasser wird von einigen Wasserverkäufern in selbstgebastelten Plastikschläuchen direkt vom Gletscher herunter in Tanks geleitet, und dort zu 10 Cents pro 5-Liter-Kanister verkauft. Wenn man eine Ahnung bekommen möchte, wie eine Welt voller Handys und Fernseher und Internet, aber ohne Wasser - also unsere kommende Welt - aussieht, der kann sich in Rinconada ein Bild davon machen. Denn La Rinconada ist eine Kleinstadt, die offiziell gar nicht existiert. Die in der peruanischen Gemeindestatistik die Grösse und das Budget eines Weilers hat, in Wirklichkeit jedoch ein brodelndes Wirtschaftszentrum darstellt.
Flor María Chambilla stört das nicht weiter. Die 19-jährige Aymara-Indianerin aus dem 8 Busstunden entfernten Chucuito hat ihr 7-monatiges Baby auf dem Schoss und sitzt hinter ihrem Verkaufsstand am Ende der Hauptstrasse. Zwei Räume haben sie in ihrer selbstgezimmerten Hütte: den Verkaufsraum und einen Wohnraum dahinter. Ein Bad oder WC? Flor María lacht schon wieder, ein wenig verschämt: "Schau mal hinter die Hütte". Ein Blick genügt um eine Müllhalde zu sehen, so weit das Auge reicht. Warum sie denn hier sei und es in dieser Kälte den ganzen Tag aushalte, frage ich sie. "Halt wegen des Geschäfts. So rund 100 - 150 Dollar Gewinn mache ich schon jeden Monat mit dem Verkauf von Lebensmitteln". Das ist auch in Peru nicht viel, aber ganz sicher mehr Bargeld, als Flor María jemals mit der Feldarbeit auf dem heimischen Acker verdient hat. Ihr Mann, etwa gleichaltrig und im Gegensatz zur pummeligen Flor María spindeldürr, verzieht mürrisch das Gesicht, als ich ihn Frage, ob er in die Mine gehe und wieviel er da verdiene. "Kaum was", kommt ihm zwischen den Lippen hervor. Nicht das erste Mal, dass ich diese Antwort hier höre. Die Antwort auf die Frage, wieviel man denn als informeller Bergmann in La Rinconada so heraushole, wird besser gehütet als ein Staatsgeheimnis.
Auch Donha Fortunata Quispe, eine Matrone und seit Jahren Goldaufkäuferin in La Rinconada, jammert über den ausbleibenden Verdienst. In zwei Decken gewickelt sitzt sie hinter dem Tresen, vor sich die Präzisionswaage und zwei Zangen, mit denen sie die Nuggets der Goldgräber gekonnt reinigt und abwiegt. 2,2 Gramm bringt ein Kunde und erhält dafür 130 Soles, umgerechnet rund 35 Euro. Das sei sein Wochenverdienst, sagt er . Und seine Ehefrau nickt dazu. " Die ganze Familie wartet schon auf das geld, um die Schulden zurückzuzahlen", meint Donha Fortunata trocken. Hinter ihrer Waag stehen drei Bunsenbrenner. Mit denen wird sie später die Goldbröckchen vom Quecksilber befreien. Das hochgiftige Quecksilber verflüchtigt sich dann über einen Kamin direkt in die Luft und setzt sich als Kondenswasser dann wieder über la Rinconada ab. Nicht gerade das Gesündeste,würde man sagen. Lohnt sich das alles für 35 Euro wöchentlich ? Denn nicht zu vergessen ist die Schufterei: die Stollen sind nicht mal mannshoch, die Sprengungen und Bohrungen fordern immer wieder Verletzte und Tote. Wenn dann der Bergmann seinen Goldschutt aus der Mine herausgeholt hat, muss er ihn mit Quecksilber vermischen, in sogenannten "Quimbeletes" - Mahlsteinen, mahlen. Nach mehreren Waschgängen bleibt Ein Gold-Quecksilberbröckchen im Tuch zurück. Das restliche Quecksilber wird in einer Tasse aufgefangen für den nächsten Mahlgang, oder einfach in die Natur weggeschüttet. Die Lagune, die unterhalt von La Rinconada liegt, ist denn auch ein reiner Quecksilbersee. Kein Fisch kann darin mehr leben.
"Die informellen Bergleute haben mehr Geld gemacht als ich und Du zusammen", meint schliesslich Oscar Medina. Er ist Oberingenieur bei der "Corporación Ananea", dem peruanischen Unternehmen, das als einziges die staatliche Konzession besitzt, in La Rinconada nach Gold zu schürfen. Nur dass neben den 200 Arbeitern der "Corporación", wie alle das Unternehmen nennen, mindestens 5000 Bergleute auf eigene Faust und ohne Erlaubnis das selbe tun . "Die informellen Bergleute waren schon da, als das Unternehmen vor 10 Jahren die Konzession abkaufte und wir haben ihnen schliesslich ein Schürfgebiet überlassen", meint Medina. Dies sei letztlich einfacher gewesen, als die Informellen immer wieder rauszuschmeissen, nur damit sie nach ein paar Tagen wieder kämen. So hat man sich eben arrangiert. Gold ist schliesslich genügend da. Heute deklariert das Konzessionsunternehmen 10-15 kg Gold pro Monat, während die informellen schätzungsweise 180 - 200 Kilogramm aus dem Berg holen. Bei einem Preis von 20 000 Us-Dollar pro Kilogramm Gold, ergibt das einen stolzen Betrag für die armen Bergleute.
Oscar Medina hat in 30 Jahren Berufserfahrung als Bergbauingenieur schon viel gesehen. La Rinconada ist dennoch was ganz Besonderes für ihn: "La Rinconada ist der Gipfel der Informalität in Peru. Hier leben 20 000 Menschen und es gibt nicht mal einen Polizisten."

Dass nicht alle , die in La Rinconada ihr Glück versucht haben, Hungerleider geblieben sind, sieht man am Dorffest von San Antonio de Putina. Putina ist 4 Stunden Busfahrt von La Rinconada entfernt, die ersten Bergleute die damals vor 30 Jahren nach Rinconada hoch gingen, waren aus dem Dorf. Heute ist Jahrestag der Gründung Putinas, und alle Vereine und Gemeinschaften defilieren vor den Honoratioren des Dorfes. Die Bergleute von Rinconada dürfen da nicht fehlen. In ihren besten Sonntagsanzügen gewandet lassen sie die erste Bierflasche am frühen Morgen kreisen, wie das in Putina bei den Festen so üblich ist, und erzählen davon, wie ihr Aufstieg vom jungen Goldgräberbuben zum ehrbaren Bergbauunternehmer verlaufen ist. Don Fredy Mamani ist der Vorsitzende der drei in La Rinconada funktionierenden Bergbaugenossenschaften. "In all den Jahren haben wir informellen Bergleute uns organisiert in Genossenschaften und haben Verhandlungen mit dem Bergbauunterhmen aufgenommen" De facto sind der rund 50-jährige Fredy Mamani und seine gleichaltrigen Mitstreiter heute bereits die Herren von La Rinconada und bestimmen darüber, wer in ihren Stollen nach Gold graben darf und wer nicht. Die Bedingungen für die Neudazugekommen sind einfach: 20 Tage gräbst Du für den Chef, und 4 Tage darfst Du für Dich selbst graben. "Cachorreo" nennt sich dieses System, benannt nach dem Rest Dynamit, der bei Sprengungen übrigbleibt, und den die Bergleute benutzen, um für sich selbst im Berg noch mal nach Gold zu schürfen. Fredy Mamani und seine Genossenschafter haben heute Häuser in der nächsten Stadt Juliaca, ihre Söhne studieren an der Uni - und ihre Väter haben den Wunsch, nicht nur reich, sondern endlich auch ehrbar zu werden. Und dies bedeutet, nicht mehr als illegale Bergarbeiter sozusagen "wild" zu graben, sondern auch vor den Augen des Staates und Limas und vor allem, was in Peru etwas zu sagen hat, anerkannt zu sein. "Wir sind dabei, die Mehrheitsanteil an der Corporación Ananea zu erwerben", sagt Fredy Mamani stolz. Wird er, der ehemals wilde Goldgräber, also nun Chef des Ingenieurs Medina werden ? Genau, lachen die Bergbaugenossenschafter und lassen sich in ihrem besten Staat ablichten, bevor der Heilige Antonius und das Bier an jenem Festtag endgültig die Herrschaft in Putina übernehmen.

Fredy Mamani und seine Genossenschafter haben es geschafft. Auf die Frage, ob sich die jahrelange Plackerei im Eis gelohnt habe, nicken sie behende. Dass sie sich mit der Formalisierung auch staatliche Umweltauflagen und Sicherheitsbestimmungen einhandeln, und dass sie von der Corporación Ananea nicht nur die Ehrbarkeit sondern auch einige Gläubiger erben werden, das ist ihnen vielleicht noch gar nicht so bewusst. Oder sie hoffen, der hohe Goldpreis wird´s schon richten. Schliesslich ist La Rinconada eine andere Welt, in der sich kaum jemals ein staatlicher Abgesandter sehen lässt.

Ich packe derweil meinen Rucksack in la Rinconada zusammen. Geschlafen habe ich in dem Holzverschlag kaum: die ganze Nacht lief lauteAndenvolksmusik aus der benachbarten Disco. Und morgens früh um 6 Uhr begannen die Frauen direkt vor der Zimmertür Unmengen von Kartoffeln und Forellen in Plastikbottichen zu waschen. Die Kälte sitzt in den Knochen und verlässt mich keinen Moment, die dünne Luft saugt mir den Sauerstoff aus den Lungen. Ich habe genug gesehen. Um 6 Uhr abends sitze ich im Bus nach Juliaca, der informellen Schmugglerhaupstadt Perus und , wegen ihrer Kälte auch die "Stadt des Windes" genannt. Bis dahin hatte ich das auf 4000 Meter Höhe gelegene Juliaca immer für die hässlichste Stadt Perus gehalten (die Juliaquenhos mögen mir dies verzeihen). Noch nie war mir Juliaca so tropisch und ordentlich erschienen als bei meiner Abfahrt von La Rinconada.

domingo, 17 de junio de 2007

Vom Expedientinnendasein einer Gastarbeiterin

Seit zwei Wochen ist meine Identität um eine Schublade reicher geworden: ich bin eine Expedientin. So sagte mir die Studentin aus München, die mich über mein Expedientinnendasein in Lima interviewen wollte. Eine Expedientin, so erklärte sie mir, habe nichts mit Post und Paket oder gar Behörden zu tun und ich sei auch keine Aktennummer- das bedeutet "expediente" nämlich im spanischen - sondern bezeichne Menschen wie mich: Menschen, die nicht in ihrem Geburtsland leben, sondern freiwillig, in einem anderen Land ihren festen oder vorübergehenden Wohnsitz haben. So wie ich, die ich als gebürtige Deutsche, seit 8 Jahren in Peru lebe. Eigentlich würde ich mich selbst eher als Gastarbeiterin sehen - so wurden vor Jahren die Ausländer, die nach Deutschland kamen, genannt: Gäste, die zum arbeiten kommen. Heute hört man den Begriff in Deutschland selten, anscheinend hat niemand mehr den Anspruch, ausländische Mitarbeiter als Gäste zu sehen. Schade, ich finde den Begriff "Gastarbeiter" nämlich schöner als den leblosen Begriff "Expedientin". Und aus peruanischer Sicht drückt er durchaus eine Wirklichkeit aus. Ich werde als Gast behandelt und bin zum arbeiten da.
Warum ich denn als Gastarbeitern, sorry - Expedientin - , in Peru wohne und zwar schon seit 8 Jahren, werde ich dann gefragt. Eine gute Frage, die ich mir auch oft stelle. Wollen doch 7 von 10 peruanischen Jugendlichen nichts als möglichst schnell weg von hier und ihr Glück im hohen Norden suchen. Letztlich finde ich darauf nur eine Antwort: ich habe mich in Peru noch keine Minute gelangweilt und es ist nicht vorherzusehen, dass sich dies so schnell ändert. Und das ist doch ein guter Grund für ein Expedientinnendasein, nicht wahr ? Was es denn hier in Peru so Aufregendes gibt, das erfahrt Ihr, liebe Leserinnen und Leser, in den nächsten Wochen und Monaten in diesem Blog. (hw)