Als ich ihn das erste Mal traf, war er noch ein freier Zeitungsverleger. Etwas anrüchig zwar und politischer Absichten verdächtig - aber welcher Zeitungsverleger ist das nicht ? Seine Zeitung, ein Revolverblättchen, jedenfalls ging weg wie warme Semmeln. Vor allem unter den Armen und den Bauern in abgelegenen Andendörfern. Denn Antauro Humala, so unser Verleger, hatte ein raffiniertes Vertriebssystem eingeführt. Von der peruanischen Armee ausgemusterte einfache Soldaten ohne Ausbildung und Job, warfen sich in ihre alte Uniform und verkauften das Blatt auf Strassen und Plätzen überall in Peru. Zugleich wurden die Reservisten vom ehemaligen Major Antauro Humala und seinem Vater Isaac in der dazugehörigen Ideologie geschult, dem sogenannten "Etnocacerismus": einer Misch-Ideologie aus Anti-Amerikanismus, Anti-Kapitalismus, Indigenismus und einer gehörigen Prise Rechtsfaschismus und Militarismus. Das alles wäre im Kuriositätenkabinett lateinamerikanischer Ideologien verschwunden, hätten Antauro Humala und sein Bruder Ollanta nicht im Oktober 2000 eine Handvoll Soldaten in das Hinterland der Anden geführt und den Aufstand gegen die peruanische Regierung erklärt. Die kämpfte damals bereits ums Überleben. Der der Korruption überführte Präsidentenberater Montesinos war gerade an dem Tag aus dem Land geflohen, und Präsident Fujimori sah sich landesweiten Protesten gegenüber. Tatsächlich erklärte Fujimori wenige Tage später seinen Rücktritt mit einem Fax aus Japan- Die Gebrüder Humala aber wurden zu Helden der Freiheit: junge, mutige Peruaner, die sich gegen den Diktator stellten - genau das brauchte das Land. Ziemlich rasch wurden die beiden Umstürzler von der Folgeregierung begnadigt und begannen an ihrer politischen Karriere zu arbeiten. Ollanta tat dies von Attache-Posten im Ausland, und Antauro als Zeitungsverleger eines Blättchens, das den Namen seines Bruders trug, Ollanta.
Antauro jedoch beliess es nicht beim Zeitungsverlegen. Landauf , landab hielt er seine Rede von der Unterdrückung der braunen Rasse, den alten Werten der Inka und warum die Yankees das Land ausbeuten. Die Rede schlug ein. Mehr als ein junger , aus der Armee entlassener Rekrut fühlte sich angesprochen. Arbeit hatte er sowieso nicht, und da konnte er als Zeitungsausträger etwas verdienen und dazu noch ein neues Ideal finden. Als ich Antauro Humala das erste Mal gegenübersass, nahm ich einen redseligen, nervösen Mann wahr, der manche wahre mit allerlei wirren Ideen mischte. Dass der Rassismus in Peru ein ernsthaftes problem ist, das geben immer mehr Leute zu. Aber muss man aus Rache gegen die Kultur der Yankees auch ein eigenes peruanisches Windows - Computerprogramm schaffen ? In dieser Zeit war Antauro der Statt- und Steigbügelhalter für seinen Bruder Ollanta, der zu der Zeit in Frankreich und Korea das peruanische Militär repräsentierte. Das änderte sich schlagartig am 1. Januar 2005. Artauro Humala und seine Reservisten hatten das Polizeikommisariat im Andenstädtchen Andahuaylas eingenommen. Bei der folgenden Schiesserei kamen vier Polizisten und drei Etnocaceristen ums Leben. Antauro Humala und seine Gefolgsleute wurden umgehend in Haft gesetzt - und Bruder Ollanta distanzierte sich von Antauro, gerade rechtzeitig zur Präsidentschaftskampagne, bei der er nur knapp dem aktuellen Präsidenten Alan Garcia unterlag.
Antauro Humala, der "Major", wie ihn seine Etnocaceristas nennen war im neu erbauten Gefängnis Piedras Gordas ausserhalb Limas untergebracht. Dieses Gefängnis wurde mit den Geldern erbaut, die Fujimoris Präsidentenberater Montesinos für sich auf sein Schweizer Konto abzwackte, und das von den Schweizer Behörden in die peruanische Staatskasse rückgeführt wurde. Die grossen Bosse der Korruption aus Politik und Militär sollten hier ihre Haftstrafe absitzen. Als ich im Mai 2005 die Versammlungen der Etnocaceristas besuchte und herauszufinden wollte, ob die Gruppen weiterhin existieren, wurde ich zuerst recht freundlich aufgenommen. Die Jungs ( es waren kaum Mädels darunter) trafen sich in einem alten, unbewohnten Hochhaus in der Altstadt Limas. Der Strom war zeitweise abgestellt, die Hinterkammer, in der sie sich trafen, war nur über einen dunklen Zugang durch mehrere leere Räume zu erreichen. Im Raum selbst hingen die Wiphala - die bunte Fahne der Indigenas - und jede Menge Militaria. Besonders beeindruckte mich ein Foto, das einen jungen Mann in Uniform zeigte, der aus seinem Mund blutend über eine Mauer sich wuchten wollte. Der junge Mann war in Andahuaylas tödlich getroffen worden, seine Finger zeichneten auf dem Foto ein "V" für Victoria, sieg, nach. Deswegen hatten die Etnocaceristas das mir so grausam erscheinende Foto aufgehängt. Wegen des "V" des sterbenden Jungen. Auch ansonsten fehlte es nicht an Militaria und rechtsextremen Schriftentum im Raum - für die Etnocaceristas kein Widerspruch zum gleichzeitig vorhandenen Anti-Imperialismus aus der linken Ecke.
Sobald ich etwas mehr über ihre Organisation wissen wollte, wurde Efrain, einer der jungen Anführer, still, ging in eine Ecke und rief jemanden mit seinem Handy an. Schliesslich wurde er meiner Fragen überflüssig, hielt mir das Handy hin und sagte, "sprich selbst mit dem Mayor". Am Telefon war Antauro Humala, Major ausser Dienst der peruanischen Armee, und zu dem Zeitpunkt Insasse des neuen Hochsicherheitsgefängnisses Piedras Gordas. Ich solle ihn doch besuchen kommen, meinte Antauro zu mir, nachdem ich ihn an unsere erste Begegnung erinnerte. Morgen sei Besuchstag für Frauen, ich solle aber nicht seinen Namen angeben, sondern den von Oscar Benitez Linares. Damit käme ich sofort rein ins Gefängnis.
Am nächsten Nachmittag machte ich mich auf den Weg nach Piedras Gordas, am äussersten Nordrand Limas, mitten in der Wüste. Der neue, graue Festungsbau auf einem Hügel war von weitem zu erkennen. Rund 30 weitere Frauen warteten darauf, ihre Angehörigen zu besuchen. Ich zeigte meine peruanische ID, sagte, dass ich zu Oscar Benitez wollte, und schon wurde ich reingelassen. Die Sicherheitskontrollen waren eher lasch, zumindest fanden sie weder meine Schlüssel noch mein Handy - beides in perunaischen Gefängnissen absolut verbotene Dinge. Im Gegensatz zu den überfüllten Gefängnissen Perus, war das neue Piedras Gordas eine Flucht leerer Betonkorridore, hinter glasscheiben sassen Beamte, die auf einen Knopt drückten, ein Gitter öffneten und dich einen neuen menschenleeren Gang entlang schickten. Peruanische Gefängnisse sind ansonsten alles, was man sich vorstellen kann. Aber ganz sicher nicht menschenleer. Schliesslich führte ein Gang zu einer Art Korridor mit 4 offenstehenden Doppelstahltüren, hinter denen normalerweise extrem wertvolle oder extrem gefährliche Dinge zu lagern pflegen. In dem Fall waren es wohl die extrem gefährlichen Männer, die hier verwahrt erwden sollten. Einer von ihnen kam mir entgegen, mit einem breiten Lächeln stellte er sich mir vor: "Gestatten , Oscar Benitez, ich bin Kronzeuge gegen Zevallos". Zevallos war der grösste Drogengeldwäscher ganz Amerikas, Besitzer der damals grössten Airline Perus und vor ein paar Monaten auf Betreiben der USA in Haft genommen worden. Der mich freundlich anlächelnde Mann sollte also gegen Zevallos aussagen. Nicht umsonst natürlich, wie er zugab. Er selbst habe auch kräftig verdient im Drogenhandel, und eine Hafterleichterung bekäme er mit seiner Aussage. Aber erst mal wollte er mir heute Antauro Humala vorstellen. Oscar führte mich zu einem rund 100Quadratmeter grossen, gemauerten Hinterhof. Menschenleer. Bis auf Antauro Humala. In einer Ecke, unter einem selbstgebastelten Sonnendacht, und hinter einem Tisch, hält er Hof. Zwei Handys liegen auf dem Tisch, daneben die neuesten Ausgaben seines Blättches und einen Stapel Papiere , und ein sonnengebräunter, gut gelaunter Ex-Major, Umstürzler und des Mordes Angeklagter. Gut ginge es ihm hier im Gefängnis, "das Gefängnis hat sogar pädagogischen Charakter", meinte er und dass er nun Zeit habe, sein Buch zu schreiben. Inzwischen kommt seine Anwältin und bringt ihm die neuesten Druckfahnen seines Blättchens zur Korrektur. "Antauro" heisst dieses nun, denn nachdem sich Bruder Ollanta vom "Andahuaylazo" distanziert hatte, benannte Antauro sein Blättchen in Antauro um. Von seiner etnocaceristischen Ideologie sei er mehr denn je überzeugt. Seine Augen glitzern, wenn er seine militaristische und anti-imperialistische Ideologie vorbringt. Gewalt ?Die sei notwendig, ein Mittel unter anderen, am Ende nur eine Fussnote der etnocaceristischen Weltgeschichte. Antauro Humala hat grosses vor, daran lässt er keinen zweifel. Hier im Gefängnis habe er auch schon verwandte Geister gefunden. Die hier einsitzenden Kader des Leuchtenden Pfades, einer extrem gewalttätigen maoistischen Terrorgruppe, die für über die Hälfte der todesopfer des peruanischen Bürgerkrieges verantwortlich zeichnet, würde langsam einsehen, dass das ethnische Element wichtig sei.
Ob ich ein Foto wolle ?, fragt mich Oscar Benitez, der zum Presseagenten Antauros avancierte Drogenhändler. Er bietet mir an, mit dem Handy ein Foto zu schiessen und mir das Foto dann zu mailen. Anders ginge es leider nicht, es sei halt doch ein Gefängnis hier.
Der redselige Antauro sagt zum Schluss des Interviews: "schreib das nicht, aber ich habe hier j aalles, was ich brauche: Zugang zum Internet, Telefon, Fernseher".
Zwei Stunden mit Antauro und seiner indigenistisch-nationalistisch-faschistischen Rede sind genug. Ich verabschiede mich und gehe die leeren Betongänge zurück zum Ausgang. Niemand behelligt mich, niemand will wissen, wo ich war und was ich mit herausnehme.
Draussen vor dem Gefängnis blicke ich auf die Wüste und die Armenviertel, die sich ein paar Hundert Meter hinter dem Gefängnis ausbreiten. Steige in meinen Combi, den kleinbus, der mich nach Lima zurückbringt und trete wieder in die "normale" Welt Limas ein, die chaotische, die überfüllte, die ungerechte, die dynamische. Und frage mich, welche Welt nun surrealer war: diejenige im hochsicherheitsgefängnis, oder diejenige draussen.
PS: wenige Wochen nach meinem Besuch im Piedras Gordas flog der Skandal auf. Nicht wegen Antauro, sondern wegen eines mächtigen Mafiabosses, der im gleichen Gefängnis einsass. Er hatte den Gefängnisdirektor bestochen, damit er alle Handy- und Telefonfanggeräte abschaltete und ungefiltert frauen- und Männerbesuch ins Hochsicherheitsgefängnis liess. Kurz darauf beantragte Antauro Humala seine Verlegung in ein anderes Gefängnis.
PSS 2008: Der Chef der peruanischen Gefängnisverwaltung, Leonardo Caparrós, erzählt, dass die Häftlinge in Piedras Gordas inzwischen unzufrieden seien und meutern würden. "Das ist ein zeichen dafür, dass sie mit Korruption nichts mehr erreichen".
Antauro Humala und seinen Anhängern wird, endlich, der Prozess gemacht. Antauro tritt im Gerichtssaal so flegelhaft auf, dass er vom Richter des Saales verwiesen wird. Die Staatsanwaltschaft verhandelt derweil, ob auch Bruder Ollanta in die Anklage aufgenommen wird, weil er angeblich den gewaltsamen Aufstand von Andahuaylas gutgeheissen habe.
PSSS: Das Hochsicherheitsgefängnis Piedras Gordas wurde mit ausserplanmässigen Geldern gebaut, welche der Schweizer Staat auf den Schweizer Konten des früheren Präsidentenberaters Vladimiro Montesinos einfrieren liess und die er nachher an den rechtmässigen Eigentümer, den peruanischen Staat, zurückführte.
sábado, 19 de abril de 2008
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