sábado, 6 de noviembre de 2010

Alan García, Dirk Niebel und das Ge-Denken





Am 4. November legten Alan García und Dirk Niebel in Lima den Grundstein für ein „Museum der Erinnerung“ an die Opfer des vergangenen Bürgerkrieges. Der Bau der Gedenkstätte war bis zuletzt umstritten – eine deutsche Entwicklungshilfeministerin und ein frischgekürter Nobelpreisträger hatten erheblichen Anteil daran, dass sie nun doch gebaut wird.


Alan Garcias Lieblingsthema ist die Zukunft. Die grossartige Zukunft, die Peru, das Land, das er regiert, mit seinem nun seit 10 Jahren anhaltenden Wirtschaftswachstum noch vor sich habe. Am 4. November allerdings musste er sich mit einer weniger berauschenden Seite der jüngsten Vergangenheit Perus befassen. Zusammen mit dem deutschen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dirk Niebel, legte er den Grundstein für eine nationale Gedenkstätte. Dort soll der Opfer des vergangenen Bürgerkrieges gedacht werden. Der neu amtierende Minister Dirk Niebel ist dabei, weil die Bundesrepublik Deutschland 2 Millionen Euro dazu gibt. Er beglückwünsche Peru zu seinem Mut, so Niebel, sich seiner schmerzhaften Erinnerung zu stellen, damit sich die Tragödie des Bürgerkrieges nicht wiederhole. Alan García ist dabei, weil ihm wohl gar nichts anderes übrigbleibt, als eine halbwegs gute Miene zum in seinen Augen linken Spiel zu machen.
Ausgelöst hatte die öffentliche Debatte um die Aufarbeitung der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der maostischen Terrorgruppe „Leuchtender Pfad“ und Militär und Polizei der Bericht einer Wahrheitskommission. 70 000 Peruaner seien im Bürgerkrieg umgekommen, errechnete die Kommission 2003 und nannte die Verantwortlichen in Militär und Politik beim Namen. Auch der seit 2005 zum zweiten Mal amtierende Präsident Alan García kam im Bericht nicht ungeschoren davon, fielen doch in seine erste Amtszeit 1985 – 1990 mehrere Massaker und Menschenrechtsverletzungen. Als die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heide Wieczorek-Zeul denn anlässlich ihres Peru-Besuchs vor zwei Jahren sich für die Aufarbeitung des Bürgerkrieges einsetzte und eine deutsche Spende für den Bau einer Gedenkstätte anbot, war die Reaktion bei der beschenkten Seite eher verhalten. Das Geld könne man besser direkt für die Armen einsetzen, hiess es aus peruanischen Regierungskreisen. Vielleicht wäre Wiecozorek-Zeuls Absicht eine solche geblieben, wenn nicht Mario Vargas Llosa zur Feder gegriffen hätte. Peru brauche sehr wohl ein Museum der Erinnerung, auch dieses diene der Entwicklung des Landes, verkündete der bekannteste lebende peruanische Schriftsteller in seiner weltweit gelesenen Zeitungskolumne.
Aufgrund des öffentlichen Drucks und der moralischen Autorität des berühmten Literaten lenkte Alan García in den Bau der Gedenkstätte ein und setzte noch eins drauf: er machte Vargas Llosa zum Vorsitzenden der offiziellen Gedenkstätten-Kommission. Und versuchte derweil, seine Haut und die der angeklagten Militärs auf andere Weise zu retten. Ein Amnestiegesetz sollte durch die Hintertür die Verurteilung von Militärangehörigen und Polizisten wegen Menschenrechtsverbrechen verhindern. Wiederum griff Vargas Llosa ein. In einem öffentlichen Protestbrief gab er Mitte September den Vorsitz der Kommission zurück. Die peruanische Regierung zog daraufhin den Gesetzesvorschlag zurück. Zwei Wochen später gab das Nobelpreiskomitee bekannt, dass Mario Vargas Llosa den diesjährigen Literaturnobelpreis erhalten wird.
Vier Wochen später, am 4. November, sind weder Heide Wieczorek-Zeul noch Mario Vargas Llosa anwesend, als der Grundstein für das Museum gelegt wird. Die deutschen Wähler wollten, dass statt Wieczorek-Zeuls nun ihr Amtsnachfolger Dirk Niebel in Lima Wilhelm von Humboldt zitieren darf: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“. Präsident Alan García dagegen mag an den ersten peruanischen Nobelpreisträger Vargas Llosa denken, wenn er mit eher gequälter Miene sichselbst dazu beglückwunscht, „dass er diese Stätte des Denkens einweihen darf“. Und so ganz nebenbei aus dem „Ge-denken“ (memoria) das Denken allgemein („pensamiento“) macht.