domingo, 1 de noviembre de 2009

Von echten und nicht ganz echten Deutschen

Wie es wohl wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre ?

Ein Besuch bei Landsleuten in Lima




Eingangsbogen zur DDR




Den 3. Oktober 2009, den Tag der deutschen Einheit, habe ich dieses Jahr in der DDR verbracht. Habe einen Kleinbus bestiegen mit der Aufschrift "Alemana" , bin beim "arco" ausgestiegen und durch einen schwarz-gold-roten Bogen in die "República Democrática Alemana" eingetreten. Dort bin ich die einzige geteerte Strasse hinaufmarschiert, und mich gefragt, wie es wohl ist, 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, in der DDR zu leben. Nichts einfacher, als ein paar DDR-Bürger dazu zu befragen.

"Ich bin ein 100%iger Deutscher", lacht Francisco Cárdenas, den alle hier Pancho nennen. "Hier hergestellt und hier geboren". Dabei schaut er verschmitzt zu seiner Mutter, die gerade aus der Küche kommt. "Stimmt doch, Mama, oder ?". "Ja", bestätigt diese. "Als wir hierher kamen, gab es hier noch gar nichts, nur Sand. Du bist einer der ersten Kinder, die hier geboren wurden". Pancho Cárdenas ist heute 24 Jahre alt, in Sweatshirt und Trainingsanzug lehnt er an der Eingagstür seines Hauses. Im Erdgeschoss sind ein paar Computer zu sehen, mit der Internet-Kabine verdient sich die Mutter etwas hinzu. Pancho dagegen hat schon ein eigenes Geschäft. "Ich bin Kaufmann. Kaufe Brötchen und Gebäck und verteile sie in all den Eckläden hier in der Gegend". Die Geschäfte gingen gut, so Pancho, er arbeite zwar 12 Stunden am Tag, aber er könne sich nicht beklagen. Überhaupt sei es hier vieles besser geworden, in den letzten 10 Jahren, meint seine Mutter.

Das mit dem "besser" ist ja alles eine Sache der Perspektive. Mir fällt es eher schwer, hinter den ungeteerten Seitenstrassen, den überall in die Luft ragenden Strom- und Telefonkabeln oder den herumstreunenden Hunde ein aufstrebendes Viertel zu erkennen. Aber wenn man sich daran erinnert, dass hier vor 25 Jahren absolut nichts stand, kein einziges Haus, keine einzige Wasser- geschweige denn Stromleitung, dann muss man der DDR Respekt zollen.

Die DDR, die ich meine, sie liegt im Süden der peruanischen Hauptstadt Lima, da wo die Armenviertel sich in den letzten 30 Jahren die Sandhügel rings um die Stadt erobert haben. Ihre Namen klingen alle verheissungsvoll : Kleeblatt, Stadt des Erlösers, Neue Hoffnung, Indoamérica. Die "DDR" sollte eigentlich nicht "DDR" heissen, ursprünglich, vor 25 Jahren. Mit so viel Hoffnung verbunden war die DDR auf der anderen Seite des Atlantiks denn auch damals nicht für junge Peruaner auf der Suche nach einem Stück Land.

Crisólogo Lago ist einer, der sich noch erinnern kann, an das, was vor 25 Jahren geschah. Ein paar Meter die Hauptstrasse hinauf hat er sein kleines Schuhgeschäft. Von Hand macht er die Schuhe noch, ein in rotem Leder gearbeiter Kinderschuh liegt in seiner Vitrine, und wartet darauf, abgeholt zu werden. Der Schuster, in Arbeitsmontur, erzählt. "Wir jungen Familien hatten eine Wohnungsbaugesellschaft gegründet, ein Agent hatte uns ein Stück Land hier im damals noch unbebauten Süden Limas versprochen". Gespart hatten sie alle auf ihr Grundstück, ihr Häuschen. Bis der Agent sich mit ihrem Geld davon machte, und die geschädigten Häuslebauer beschlossen, wildes Land zu besetzen. "Bundesrepublik Deutschland" sollte ihr Viertel heissen, das sie in die Wüste setzen wollten. Die Bundesrepublik galt damals, in den 80-er Jahren, als reiches Land. Und einer der ihren, so wollte es das Schicksal, arbeitete damals als Chauffeur bei der (bundes-)deutschen Botschaft in Lima. Wenn man das Kind, also das zu gründende Viertel, nach dem Paten benennt, dann gerät der vielleicht in Spendierlaune.... dies war die einfache Hoffnung, welche die Menschen mit der Namensgebung BRD verknüpften. Dass die Botschaft der BRD den Landbesetzern beim Bau ihrer Häuser unter die Arme greifen würde mit Geld.

"Aber wieso heisst dann das Viertel DDR und nicht BRD ?" Crisólogo Lago lächelt leicht, fast hätte er die Geschichte vergessen. "Unsere Anführer gerieten in Streit und die Gruppe teilte sich". Der eine nahm seine Leute und besetzte einen neuen Sandhügel, einen Kilometer weiter südlich von der geplanten "BRD". Und da der Name "BRD" schon besetzt war, kam er auf die Idee, das Viertel "DDR" zu nennen. Schliesslich war die damals, 1984, real existierend und vermeintlich quicklebendig.
Als Patin jedoch erwies sich die DDR damals etwas knausrig. Ein paar Flugblätter war alles was die damalige DDR-Vertretung in Lima für das Wohlergehen des selbsternannten Mündels beisteuern wollte.

"Und Ihr, seid Ihr auch Deutsche, "Alemanes" ?, frage ich eine Gruppe von Kindern, die gerade von der Schule kommt. Ihre blauen Schuluniformen haben immerhin schwarz-rot-goldene Litzen. Die drei Jungs und das Mädchen schauen mich ratlos an. "Natürlich nicht, wir sind Peruaner". Aber Ihr seid doch hier geboren, in der Deutschen Republik ? Ja schon......jetzt erst merken sie die Doppeldeutigkeit der Frage. Vom anderen Deutschland, dem Deutschland jenseits des Atlantiks, wissen sie nichts. Nicht mal, dass die peruanischen Fussball-Idole Claudio Pizarro und Pablo Guerrero in Deutschland kicken, bzw. dass "Bayern München" und "Hamburger SV" etwas mit Deutschland zu tun haben. Warum ihr eigenes Viertel nach einem fremden Land benannt ist, wissen sie ebenfalls nicht.

Ihre Lehrerin, Maria Ochoa, dagegen kann sich noch gut an die ersten Jahre der Besiedlung erinnern, "damals als wir hunderte von Metern laufen mussten, um einen Eimer Wasser zu füllen, weil es keine Wasserleitung gab". Ins Grübeln kommt sie allerdings, wenn sie den richtigen Namen des Viertels nennen soll. "Ist es Deutsche Demokratische Republik oder nur Deutsche Republik ?" Auch die "República Democrática Alemana" geriet in eine Identitätskrise, als die Mauer fiel und die DDR jenseits des Atlantiks sang- und klanglos unterging. Der damalige Staatspräsident Fujimori, so wissen einige ältere Bewohner zu berichten, habe damals das Viertel besucht und ihnen geraten, es doch umzubenennen. Daher der Zweifel, ob es denn nun immer noch die Demokratische Republik sei, oder ob man das "demokratisch" denn doch lieber weglassen solle ...... die Schule hat für letzteres optier. Sie nennt sich einfach "Alemana", deutsch. Auch die Kleinbusse, die den Hügel hoch preschen, preisen ihre Plätze mit "Alemana" an. Die DDR ist zum Synonym für ganz Deutschland geworden, zumindest hier im Süden Limas.

Bleibt noch die "Alemana Federal", die Bundesrepublik. Die gibt es nämlich auch, einen Kilometer weiter südlich, und eine Woche jünger als die DDR. Die bundesrepublikanischen Landbesetzer hatten etwas mehr Glück mit ihrer Patin. Ein Schild über dem Kindergarten der "Republica Federal Alemana" gibt Zeugnis von der Spendebereitschaft einiger Deutscher. Ansonsten ist die BRD klein geblieben, eine Handvoll Häuser eingezwängt zwischen den Vierteln "Valle Saron" und "Das Kleeblatt", ist alles was von der Bundesrepublik geblieben ist. In einer Seitenstrasse übt eine Schulklasse typisch peruanische Tänze ein. Tänze aus dem Andenhochland, da wo die Eltern und Grosseltern der Kinder einst herkamen. Die Mädchen schlagen im Tanz mit einem Seil um sich, wie gekonnte "Cowgirls", die Jungs müssen es schaffen, ihrer Tanzpartnerin nahe zu kommen, ohne mit dem Seil eine gewischt zu bekommen. Mit grosser Begeisterung hüpfen die 5-Klässler auf der Strasse herum. "Wisst Ihr, dass heute Euer Nationalfeiertag ist ?" Grosses Staunen, dann Lachen, es muss sich um einen Scherz halten. Was es ja auch tatsächlich ist.

Die deutsche Einheit wünscht sich hier niemand, jeder hat sich in seinem Viertel eingerichtet, die DDR-Deutschen und die BRD-Deutschen. Nur den Postboten, den Zulieferern und Taxifahrern wäre geholfen, wenn sie bei der Suche nach der Adresse "Deutschland", nicht mehr im falschen Teil Deutschlands landen würden.



Tanzende Kinder in der BRD



Kindergarten in der BRD


Crisólogo Lagos, der Schuster der DDR


Pancho Cárdenas, Jungunternehmer in der DDR

lunes, 22 de junio de 2009

Der Hund des Gärtners beißt zurück

Ein Kommentar zum jüngsten Blutbad im peruanischen Amazonasgebiet

Am 5. Juni räumte eine Einheit der peruanischen Polizei gewaltsam die Strassenblockaden, die indigene Demonstranten auf der Durchfahrtstrasse im peruanischen Amazonasgebiet errichtet hatten. Es kam daraufhin zu einem Blutbad, bei dem 24 Polizisten und mindestens 10 Ureinwohner getötet und rund 150 Personen verletzt wurden. Der Berichterstatter der UNO für Indigena-Fragen, James Anaya, und viele andere nationale und internationale Stellen haben inzwischen eine objektive Aufklärung der Geschehnisse gefordert.

Einige Hintergründe können jedoch bereits benannt werden.

Alles begann vor eineinhalb Jahren. Präsident Alan García veröffentlichte in der grössten Tageszeitung Perus einen Artikel aus eigener Feder, in dem er seine Strategie zur Entwicklung Perus bekanntgab: die Nutzung und Ausbeutung im grossen Stil der natürlichen Ressourcen Perus im Hoch- und im Tiefland. Peru könnte schon viel weiter sein, so schrieb García damals, wenn nicht sein Volk sich wie der Hund des Gärtners aus der gleichnamigen Fabel von Lope de Vega verhielte. Der wollte seinen Napf nicht leer essen, liess aber auch niemand anderen an sein Essen heran. So verhielten sich die Peruaner, laut García, und insbesondere die rückständigen Indigenas und andere Peruaner, die ihren gestrigen Kommunismus heute mit einem ökologischen Mäntelchen bedecken würden, wenn es um die Nutzung der Bodenschätze Perus ginge. Während zuerst vor allem ein Aufschrei(ben) durch die Reihe der oppositionellen Intellektuellen der Hauptstadt ging, wurden die Indigenas der Amazonasregion bald gewahr, dass Alan García es nicht bei der Ankündigung bleiben lassen würde. In den sogenannten „Leyes de la Selva“ (Dschungelgesetzen) schaffte er eine gesetzliche Grundlage für die breitangelegte Konzessionierung von Holz, Öl, Gas und Wasserreserven an nationale und internationale Investoren.
Letztes Jahr (200) organisierten die Indígenas des Amazonasgebietes erstmals dagegen einen Protest. Gefragt worden waren sie nämlich nicht, wie sie zur von oben verordneten Entwicklungsstragie ihres Lebensraumes stehen. Und dies, obwohl die auch von Peru unterschriebene ILO-Vereinbarung eine Konsultation zwingend vorsieht.
Der Protest letztes Jahr nütze nichts. Die Regierung war fest entschlossen, ihre Politik durchzusetzen. Vor drei Monaten vereinbarten die indigenen Völker des gesamten Amazonastieflandes erneut in den Ausstand zu gehen. Das heisst, sie blockierten die Verkehrswege zwischen Tiefland und er Hauptstadt und schnitten damit auch die Erdölzufuhr ab.
Die Regierung war nicht bereit zu einem Dialog, und schickte nach zwei Monaten die Polizei. Denn der Hauptstadt Lima ging das Öl und damit das Licht aus. In diesem Kontext ereignete sich das oben genannte Blutbad.
Erst eine Woche danach, am 17. Juni, und nach heftigen Protesten aus dem In- und Ausland, gab die Regierung Garcia schliesslich nach. Alan García gestand öffentlich den Fehler ein, die Indígenas nicht vorher gefragt zu haben. Am 18. Juni zog er zwei der „Dschungelgesetze“ zurück. Die Tieflandindigenas hatten gewonnen!

Was bedeuten diese Proteste und der Sieg der Indígenas:

• Die Indigenabewegung Perus ist mit diesen Protesten erstmals zu einem Akteur in der nationalen peruanischen Politik geworden. Im Gegensatz zu Ecuador und Peru war eine Indigena-Bewegung in Peru bis dahin nicht sichtbar.
• Die 350 000 Indigenas des äusserst dünn besiedelten Regenwaldes (Selva) sind weit besser organisiert als die zahlenmässig weit überlegeneren Quechua und Aymara- Indigenas des Hochlandes. Tatsächlich haben sich die Tiefland-Indigenas in den letzten Jahrzehnten unbemerkt von der Hauptstadt organisiert und konsolidiert.
• Eine Indigena-Bewegung – in der Hochland- und Tiefland-Indigenas zusammenkommen – ist in Peru im Aufbau. Ende Mai fand in Puno am Titicaca-See der lateinamerikanische Indigena-Gipfel statt. Bedeutsam ist die Allianz von Tiefland- und Hochland-Indigenas.
• Gemeinsamer Treffpunkt aller Indígenas war und ist die Bedrohung ihres Lebensraumes durch die staatliche und private Ausbeutung von Bodenschätzen. Zunehmend treten die Indígenas jedoch auch mit eigenen Konzepten in die Öffentlichkeit. Gerade mit dem Konzept des „Guten Lebens“ (Buen Vivir) stellen die Indigenas einen inhaltlichen Gegenpunkt zur radikalen Modernisierungsstragie der peruanischen Regierung vor.
• Alan García hat versucht, Evo Morales und Hugo Chávez für die Proteste der Indigenas verantwortlich zu machen. Tatsächlich hat aber weder Evo Morales, noch Hugo Chávez noch der peruanische oppositionelle Ollanta Humala ursächlich mit den Protesten der Amazonas-Indigenas zu tun. Hier handelt es sich eher um nachträglichen Opportunismus der linken Politiker, der wiederum Alan García eine bequeme Schuldzuweisung erlaubte. Die Beziehungen zwischen Peru einerseits und Bolivien haben sich durch den Konflikt verschlechtert, die Gegensätze in ihrer jeweiligen Politik zugespitzt.
• Der Konflikt mag fürs erste mit dem Einlenken der Regierung beigelegt sein.Neu aufflammende Protest in anderen Landesteilen zeigen jedoch, dass sich indigene Gruppen nun ermutigt fühlen, mit ihren Forderungen – z.Bsp. gegen die Vergabe von Bergbaukonzessionen – ebenfalls an die Öffentlichkeit zu gelangen. Der Konflikt um das richtige Entwicklungs- und Modernisierungsmodell für Peru wird weitergehen, mit einer gestärkten Indigena-Fraktion. In diesem Sinn dürfen wir auch gespannt sein, wie sich die Indigena-Bewegung als politischer Akteur im Präsidentschaftswahlkampf 2011 präsentiert.
• Noch ein Wort zur Kirche: die Amazonas-Region gehört zu den am dünnst besiedelsten Regionen Perus und, in den Augen der Hauptstadt, zu den ärmsten und rückständigsten. Vielleicht sind gerade deswegen dort die progressiven Bischöfe noch nicht gegen Opus Dei und Sodalitium-Anhänger ausgetauscht worden. Sie und ihre Vikariate und Prälaturen waren einfach zu unbedeutend. Das heisst, die progressivsten katholischen Bischöfe Perus findet man heute in der Selva.Bereits im April hatten die 9 Bischöfe der Selva den Protest der Indigenas gegen die „Dschungelgesetze“ in einem öffentlichen Kommunique unterstützt. Als Vermittler und Wächter zur Einhaltung der Menschenrechte ist die Kirche dort geschätzt. Inwiefern sie auch als inhaltlicher Gesprächspartner bei der Entwicklung eines alternativen Entwicklungsmodells von den Indigenen herangezogen werden, bleibt abzuwarten.
• Hintergrund der umstrittenen „Dschungelgesetzgebung“ waren die Bestimmungen des Freihandelsvertrage zwischen den USA und Peru. In diesen Tagen wird der Freihandelsvertrag zwischen der EU und Peru in Brüssel ausgehandelt. Obwohl verschiedene Gruppierungen eine Aussetzung der Verhandlungen gefordert haben (u.a. die Plataforma Europa Peru verschiedener Solidaritätsgruppen und die Infostelle Peru), gehen diese weiter.
• Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt massgeblich das neugegründete peruanische Umweltministerium und hat von daher einen Einfluss auf die Entwicklungsstrategie Perus.

Weitere Infos auf: www.infostelle-peru.de

sábado, 28 de febrero de 2009

Schlaraffenland Peru


Schlaraffenland Peru

Eines der best gehütetsten Geheimnisse ist die peruanische Küche. Sie ist köstlich, vielfältig, nahrhaft und dabei, die Welt zu erorbern. Und macht auch vor schweren Jungs nicht Halt.

„Wie schmeckt Ihnen das peruanische Essen ?“ – Kaum ein Besucher Perus, dem diese Frage nicht gleich nach seiner Ankunft in Peru gestellt wird. Taxifahrer, Freunde, Hotelbesitzer oder Pfarrer: in Peru sind alle Hobby-Gourmets und platzen vor Stolz auf die Qualität ihrer Nationalküche. Deshalb sollte auch niemand den Fehler begehen, und auf die Frage mit „Pizza“ oder „Spaghetti“ antworten, sondern ein peruanisches Gericht nennen. Wer kein Spanisch kann, sollte zumindest die Namen einiger peruanischer Gerichte lernen: den marinierten rohen Fisch „ Ceviche“, die Kartoffelpastete „Causa Limeña“, oder das Hühnerfrikassee „Aji de gallina“. Besser noch ist das Ausprobieren. Essen und Küche ist in Peru nicht schnöde Nahrungsaufnahme, sondern Kultur, Volkskultur. Und das in einem Land, das trotz Wirtschaftswachstum immer noch knapp 50% Arme aufweist. Immer mehr Menschen jedoch finden in der Kochkunst einen Weg, der Armut zu entfliehen.

Volksküche im Freien

Juana Córdova bietet einen gut gefüllten Teller „Pachamanca“ an. Auf einem Pappteller liegen drei im Erdofen gegarte Fleischstücke, samt drei Sorten Kartoffeln, gekochter Saubohnen und einer süssen Maistasche. Pachamanca ist eine Spezialität der Zentralanden, der Heimat Juana Córdovas. Jeden Samstag und Sonntag steht die 50-jährige Familienfrau in weiss gestärker Schürze und Kochhaube auf der Plaza Italia in der Altstadt Limas. Sie steht in einer Reihe mit 30 Kolleginnen, die alle ihre zu Hause bereiteten Spezialgerichte verkaufen. „Festival Gastronómico“, gastronomisches Festival, heisst dieses von der Stadt Lima unterstützte Volksbuffet. Der lange Tisch biegt sich unter der Menge an Ceviche (Roher marinierter Fisch), Rocoto Relleno (Gefüllte Paprikaschote), Causa Limenha (Gefüllte Kartoffelpastete) oder Cabrito (Ziegenfleisch mit Bohnen),um nur ein paar der vertretenen Nationalspeisen zu nennen. Das Festival hat regen Zulauf und um die Mittagszeit sind alle weissen Plastiktische besetzt; viele Familien gönnen sich hier nach dem Wochenendeinkauf ein reichhaltiges und doch erschwingliches Mittagessen. Rund drei Euro kostet ein Teller Pachamanca, an dem gut zwei Personen satt werden können, und der mit Liebe zubereitet ist. „Das Rezept ist von meiner Grossmutter, und in die Zubereitung müssen Liebe und Freude am Kochen einfliessen“.

Vor zehn Jahren rief die Stadverwaltung von Lima einen Wettbewerb für Hausfrauen aus: sie sollten ihr bestes Gericht präsentieren. Die besten Köchinnen erhielten danach Kurse in Lebensmittelkunde, Hygiene und Marketing und wurden eingeladen, am gastronomischen Festival teilzunehmen. Die kulinarische Volksküche entwickelte sich zu einem Renner. Denn kaum etwas ist den Peruanern heiliger als ihr geliebtes „almuerzo“, das Mittagessen. Es darf ruhig erst um 14 Uhr beginnen, dagegen am Wochenende spät abends feuchtfröhlich enden. An Wochentagen werden beim Mittagessen Geschäfte beredet, Liebesbande angeknüpft und beendet, oder Jubiläen gefeiert. Für Juana Córdova und die anderen Köchinnen des Gastronomischen Festivals hat die Lust der Peruaner am Essen zu einem neuen Familieneinkommen geführt. Rund 30 Euro verdient eine Köchin an einem Wochenende. Damit kann man dann schon wieder die eigene Familie ein paar Tage etwas Gutes vorsetzen.

Das Geheimnis der Küche

„Mein Geheimnis ist es, die Pfefferschote besonders gut zu waschen“, erklärt Maria Mamani, die Spezailistin für Rocoto Relleno am Festival. Jede Hausfrau hat ihr eigenes Geheimrezept, das meist innerhalb der Familie von Mutter und Grossmutter überliefert wurde. Was jedoch ist das Geheimnis für die so überaus vielfältige und schmackhafte Küche Perus ? Ein Gang durch einen beliebigen Markt in Lima gibt eine Antwort. Da liegen saftige Äpfel neben Mandarinen, Bananen, Ananas und Papaya. Mindestens 8 Kartoffelsorten muss jede Gemüseverkäuferin auf Lager haben, nicht zu reden von den einheimischen Getreidearten Quinoa und Kiwicha. Am Fischstand werden frische Fische ausgenommen, Meeresfrüchte und Muscheln sind eine billige Zugabe. Die Geographie Perus mit ihren extremen Höhenunterschieden erweist sich als Glück für die Küche: die Produkte jeder Klimazone, vom Urwald bis zu den 5000 Metern hohen Anden, sind innerhalb eines Tages in Lima. Und vor der Küste der Hauptstadt selbst liegt eines der fischreichsten Meere der Welt. Diesen Reichtum kannten schon die Völker, die Peru besiedelten, bevor die Spanier Amerika vor über 500 Jahren in Besitz nahmen. Die Inka , ebenso wie die Völker Moche oder Chimú an der Küste sollen bereits Ceviche zubereitet haben. Nicht nur die Erde, sondern auch deren Erzeugnisse, galten den Indianervölkern als heilig und beseelt. Dies kann man in vielen prä-kolombinischen Keramikfiguren erkennen, die Lebensmittel als Menschen abbilden. Die heutige peruanische Küche ist jedoch nicht nur das Ergebnis der Indianervölker, sondern die Mischung aller Kulturen, die sich in Peru zusammengefunden haben. Die Spanier brachten den Zucker mit und legten den Grundstein für die berühmten limenischen Desserts. Afrikanische Sklaven bereiteten aus den Resten ihrer Herrschaften die heutigen Nationalgerichte zu. Nudelgerichte gehen auf italienische Einwanderer zurück, und ganz besonderen Einfluss haben die chinesichen Einwanderer hinterlassen. Kaum eine Strasse Perus, in der man nicht eine Chifa, ein chinesisches Restaurant findet, in dem man gut und billig essen kann.

Kochen im Knast

Genau diese kulturelle Mischung war den reichen Limeños zuerst suspekt. Peruanische Volksgerichte haben erst seit einigen Jahren Eingang in die Edelrestaurants von Lima gefunden. Inzwischen sind sie davon nicht mehr wegzudenken. Peruanische Gourmet-Köche entwickeln die Volksgerichte weiter, standardisieren und verfeinern sie ständig. Speziell die Haupstadt Lima ist als kulinarische Hauptstadt Lateinamerikas weit über Peru hinaus bekannt. Kein Wunder, dass neben den Restaurants auch die Koch-Schulen aus dem Boden schiessen. Wollten vor ein paar Jahren die Jugendlichen noch Jura oder Medizin studieren, so wollen heute alle Koch werden. Nicht einfach „Koch“, sondern „Cheff“-Koch, wie es im Spanischen heisst. In die Kochschule der städtischen „Cenfotur“ in Lima kommen jeden Abend 30 junge und nicht mehr so junge Männer und Frauen, um sich in die Geheimnisse der peruanischen Küche einführen zu lassen. Viele von ihnen hoffen, das Kochen zu ihrem Beruf machen zu können und damit gutes Geld zu verdienen. Andere haben das Kochen als Hobby entdeckt. So wie der 46-jährige Theologe und Kriminologe José Luis Pérez. Im Hauptberuf ist er Leiter der Gefängnispastoral im berüchtigsten Gefängnis Perus, dem Lurigancho-Gefängnis. Heute bereitet er in der Kochschule die peruanische Hamburger-Variante „Butifarra“ zu. „Mit Kochen kommst Du den Menschen nahe“, ist sein Fazit. Bei seinen Pastoralbesuchen im Gefängnis, hat ihm seine Koch-Erfahrung geholfen zuweilen mehr geholfen als die Bibel. Als José Luis Pérez einen Kurs für die Gefängnis-Köche – die selbst Strafgefangene sind – organisierte, waren nicht nur die Häftlinge sondern auch das Wachpersonal begeistert. „ Als ich in Koch-Monitur das Gefängnis betrat, wurde ich zum ersten Mal nicht durchsucht. Sogar die Küchenmesser konnte ich mit ins Gefängnis nehmen“, staunt José Luis darüber, welche Wertschätzung und Vertrauen einem Koch entgegengebracht wird. Wer sonst das Lurigancho besuchen möchte, muss alles, was nur entfernt als Waffe gebraucht werden könnte, am Eingang abgeben.

Das Essen ist in Peru heilig – im Gefängnis ebenso, wie im ganzen Land. In den Armenvierteln ebenso wie im Edelrestaurant. Ein Grund dafür mag sein, dass es nicht vieles gibt, was alle Peruaner – ob reich oder arm, ob braun, schwarz oder weisshäutig, ob Bauer oder Gelehrter – gemeinsam haben. Die Reichen haben ihre eigenen Schulen, Krankenhäuser und Clubs. Die Armen haben ihre. Worüber sollen sie reden, wenn sie sich doch mal treffen ? Über´s Essen natürlich. Den köstlichen Ceviche vom Wochenende , der pikante Rocoto oder die zarte Lukuma-Mazamorra – darüber kann jeder Peruaner etwas sagen. Stundenlang, und bis man wieder Hunger bekommt. Probieren Sie es aus.