jueves, 15 de mayo de 2008

Gipfelschwindel

Lima hüllt sich in sein frühwinterliches Grau. Kein Sonnenstrahl ist zu sehen, man blickt nur auf den Bauch eines Esels, wie der berühmte peruanische Dichter César Vallejo den bleischweren Himmel von Lima beschrieben hat. Gerade das richtige Gipfelwetter. Heute beginnt in Lima der alle zwei Jahre stattfindende EU-Lateinamerika-Gipfel. Grosser Aufmarsch am Flughafen Jorge Chávez in Lima. Gestern kam schon der polnische Premier und der EU-Kommissionspräsident an. Heute dann José Luis Zapatero aus Spanien, Evo Morales aus Bolivien, Cristina Fernández Kirchner aus Argentinien und noch sehr viel mehr Staatsoberhäupter aus Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union. Ungekrönter Star ist Angela Merkel. Zum einen weil sie Zielscheibe eines medienwirksamen medialen Ausfalles des venezolanischen Präsidenten wurde. Und zum anderen, weil die Konkurrenz wegbleibt: weder Nicolás Sarkozy (und damit auch nicht seine Frau Carla Bruni), noch Gordon Brown aus Grossbritannien noch der frisch wiedergewählte Italiener Silvio Berlusconi kommen zum EU-Lateinamerikagipfel nach Lima. Angela Merkel ist mit ihrer 24-Stippvisite also der Star unter den EU-Staatsoberhäuptern.
Um über den Klimawandel, die Umwelt und die Bekämpfung der Armut zu sprechen, kommen sie nach Lima. Nur die Bewohner von Lima kriegen davon wenig mit. Sie wurden nämlich in Ferien geschickt, in ein verlängertes Wochenende, um das Treffen der Staatsoberhäupter nicht zu stören. "Ja, die Präsidenten kommen, um Peru kennenzulernen, unser tolles Land", erzählt mir mein Zeitungsverkäufer. Die junge Dame in der Internetkabine dagegen ist fest davon überzeugt, dass die Präsidenten diese Woche zum APEC-Gipfel kommen, also zum Gipfel der Pazifk-Anrainerstaaten. Der findet auch statt, allerdings erst 5 Monate später, im Oktober. " Ich schaue es rasch im Internet nach", sagt Katia vom Internet auf meinen Zweifel hin. " Ganz sicher, das ist der APEC-Gipfel", meint sie nach ihrer Google-Forschung danach im Ton einer Oberlehrerin. Ich belasse sie im Irrtum. Schliesslich hängt vor meiner Wohnung seit Monaten eine grosses Strassenbanner mit der Aufschrift "Willkommen APEC in Pueblo Libre". Kein Wunder, dass meine Nachbarn nicht wissen, was die Europäische Union hier will.
Letztlich sagt der Lapsus meiner Nachbarn, ebenso wie das fehlende Interesse der europäischen Medien an diesem Gipfel, sehr viel mehr als noch so wohlklingende Worte aus politischem Munde. Lateinamerika ist nämlich weder handelsmässig noch politisch für die Europäische Union eine Priorität; und auch für Lateinamerika ist in den letzten Jahrzehnten die USA und nun zunehmend China der wichtigste und dynamische Handelspartner. Mag dazukommen, dass die peruanische Regierung wenig öffentliche Werbung für den EU-Gipfel betrieben hat. Vielleicht weil der peruanische Präsident Alan García verstimmt ist, weil die EU seinem Wunsch nach einem bilateralen Freihandelsvertrag zwischen Peru und der EU bisher nicht nachgibt. Die EU verhandelt nur "en bloc". Im Fall Lateinamerika sind diese "Blöcke" allerdings widerspenstig oder eher Zwangsgemeinschaften. Der Mercosur, der die grossen Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und seit neuestem Venezuela umfasst, weigert sich, einen Freihandelsvertrag zu unterzeichen, solange die EU nicht ihre Agrarsubventionen senkt. Und der andere, viel kleinere Block, die Gemeinschaft der Andenstaaten, ist in erster Linie eine Nicht-Gemeinschaft. Die linken Regierungen von Bolivien und von Ecuador sind sich in ihren Ansichten über die Segnungen des Freihandels für ihre Völker spinnefeind mit den Regierungen von Kolumbien und eben des Gastgeberlandes Peru.

Die wirklichen Interessen Europas an Lateinamerika zeigen sich denn auch in diesen Tagen: das Klima macht´s. Lateinamerika besitzt einen grossen Regenwald, unterlässlich für den nicht zu rasanten Verfall des Weltklimas. Und Lateinamerika ist mit seinem hohen Wirtschaftswachstum inzwischen interessant für Auslandsinvestitionen. Da sind die Europäer, namentlich die Spanier, bisher gut vertreten. Wer ein Telefon in Peru in die Hand nimmt, ein Bankkonto eröffnet oder in Lima den Lichtschalter betätigt, weiss wovon ich spreche. Alles fest in spanischer Hand.

Klima und Geschäfte: das sind die Prioritäten des Gipfels und dort sind auch die neuen Interessen Europas am ansonsten so weit entfernten Lateinamerika zu finden.

Was der Alternativ-Gipfel "Sozialgipfel der Völker" dazu meint, das in meinem nächsten Blog-Eintrag.

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