martes, 16 de octubre de 2007

Der Schutzengel von Chincha


Schwester Gloria Muchaypinha lächelte mir zum Abschied noch aufmunternd zu, bevor sie sich um 8 Uhr morgens wieder der Verteilung der Lebensmittel für die Erdbebenopfer widmete. Hier in Chincha, gut 3 Stunden Busfahrt südlich von Lima, hatte das Erdbeben vom 15. August schwere Schäden hinterlassen, und die Schwestern der Pfarrei "Virgen de Fatima" organisieren nicht nur die Verteilung der Hilfsgüter, sondern sprechen auch den Opfern Mut zu, organisieren Jugendgruppen ebenso wie Notküchen. Am Tag zuvor hatte ich Schwester Gloria bei ihrer Arbeit begleitet, um über die Nothilfe der Kirche berichten zu können, und nun war ich auf dem Weg ins 20 km entfernte Pisco, dem Epizentrum des Erdbebens, um den dortigen Pfarrer zu interviewen. Auf dem Markt von Chincha wartete schon der Bus, ein heruntergekommenes, grünes Gefährt, das bereits gut gefüllt war mit Passagieren. Um so besser, denn das bedeutete, dass der Bus gleich losfuhr. Ich ergatterte einen Sitz im hinteren Viertel des Busses, und warf noch einen kurzen Blick auf die zwei Reihen Männer hinter mir, die mich ausdruckslos anstarrten. Eine "Gringa", also eine europäische oder nordamerikanische Ausländerin, ist auf dieser Route und in diesem Bus nicht oft anzutreffen. Vom Bus aus rief ich vom Handy den Pfarrer in Pisco an, dass ich etwas später eintreffen würde. Und dann waren meine Gedanken und Sinne auch schon ganz von dem Panorama eingenommen, das ich durch das Busfenster erblickte: eingestürzte Häuser, handgeschriebene Schilder mit der Aufschrift "Notküche", Schutthaufen, all dies Anzeichen für die Wucht des vor zwei Monaten erfolgten Erdbebens. Ab und zu tastete ich nach meinen Siebensachen. Als erfahrene Perureisende habe ich meinen Rucksack auf den Knien, und meine Wertsachen - Kamera, Geld, Ausweise und Handy - in den Innentaschen meines Anoraks verstaut. Diebstahlsicher. Nach rund 15 Minuten Fahrt werde ich aus meinen Gedanken gerufen:"Senhora, schauen Sie nach, ob Ihre Sachen noch da sind", ruft mir der Fahrgast hinter mir zu. Meine erste Reaktion- "unmöglich, dass man mir was klaut" -, macht gleich danach dem Entsetzen Platz: meine funkelnagelneue 12-Millionen-Pixel-Kamera ist nicht mehr in der Innentasche. Und mein Sitznachbar ist auch weg. Mit meiner Kamera. "Halten Sie an", schreie ich dem Chauffeur zu und stürze zum Ausgang. Andere Fahrgäste hinter mir her. Der Bus hält, wir stürzen heraus und nehmen die Jagd auf. Ich habe den Dieb nicht gesehen, aber die Fahrgäste hinter mir sehr wohl. Es sind junge kräftige Männer und sie holen schnell einen dicklichen Mann ein. Dann sehe ich aus 100 Meter Entferung, wie einer der Männer in einer Hand mit einer Pistole herumfuchtelt, und in der anderen meine Kamera hat. Als ich die Gruppe erreiche, kommt mir der Diebesjänger entgegen. Er hält immer noch die Pistole in der Hand, auf mich gerichtet, und im ersten Moment glaube ich, er wolle von mir nun eine Belohnung oder was auch immer erpressen. "Hier ist Ihre Kamera. Ich bin Polizist, auf dem Weg zu meiner Arbeit", löst er das Rätsel . Der Bus ist inzwischen umgekehrt und sammelt uns - eine Gruppe von rund 6 Fahrgästen - wieder auf und die Fahrt geht weiter wie gehabt. "Der Dieb hat sich verdächtig benommen, und als er Sie am Handy sagen hörte, dass Sie eine ausländische Journalistin seien, er dachte , da gäbe es was zu holen", erklärt mir der Polizist.
Ich bedanke mich überschwenglich bei meinen Schutzengeln und wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle Pisco, wo ich meine Interviews und Fotos mache. Auf dem Rückweg halte ich noch im Dorf San Clemente. Dort wollen Maria, eine Radiojournalistin aus Pisco und ich, den hiesigen Pfarreirat über ihre Notfallhilfe interviewen. Wir steigen vor der Polizeistation aus und fragen dort nach dem Weg zur Notküche. "Woher kommen Sie ?", fragt plötzlich ein Polizist, der abseits stand und zugehört hatte. Es war niemand anderes als mein Schutzengel-Polizist vom Morgen, nun in Uniform, deshalb hatte ich ihn nicht gleich erkannt. Maria wollte gleich ein Interview mit ihm machen, und es im Radio als Beispiel für einen "guten" Polizisten bringen. Der Polizist winkte ab. Das könnte ihm bei seinen Oberen mehr Ärger bereiten, weil er keine Anzeige gegen den Dieb erstattet habe. Wie er denn heisse, fragte ihn Maria. "Muchaypinha", sagte er. Bei mir klingelte es, als ich den Namen höre..... ob er etwas mit Schwester Gloria Muchaypinha in Chincha zu tun habe, frage ich ihn. Natürlich, sagt er, das ist meine Schwester. Ob ich sie denn auch kennen würde ?