jueves, 27 de marzo de 2008

Bad Guys (part I)

Die schlimmen Jungs sind bekanntlicherweise viel aufregender als die braven Streber. Vor mir steht einer, dem auf den ersten Blick nicht anzusehen ist, welcher Kategorie er angehört. Gut 1,80 gross, überschlank, mit weissen Stoppeln auf dem Kopf und im noch nicht ganz verlebten Gesicht, aus dem ein Paar blitzblauer Augen funkeln. Das moderne Karohemd hängt lässig über seiner beigen Leinenhose, über der Brust des Mitfünfzigers baumelt eine Lesebrille. In der rechten Hand ein zerlesenes Paperback, "El Hombre", den Roman des amerikanischen Bestsellerautors über einen fiktiven schwarzen Präsidentschafskandidaten. "Bufalo", so heisst mein Bekannter, könnte ohne weiteres an einer Strandbar stehen und auf ein weibliches Opfer warten, das sich von seinen Abenteuern beeindrucken lässt. Tut er aber nicht. Ich treffe Buffalo im Gefängnis von San Juan de Lurigancho, dem grössten und berüchtigsten Männergefängnis Perus. Bufalo ist der Sous-Chef eines Faites, also eines Bandenchefs, der über seinen Gefängnistrakt mit mehreren hundert Männern gebietet. Mit anderen Worten: hier im grössten Männerwohnheim Perus mit über 10 000 Insassen, ist Bufalo eine Respektsperson.
Dies merken wir spätestens, als wir mit einem Fotografen über den "Boulevard" gehen - über den ca. 400 Meter langen Gang, der die einzelnen Trakte voneinander trennt. Hier gibt es alles und alle zu kaufen: Waschmittel, Seife, Ersatzteillager für alles mögliche, Drogen und Menschen. Auf dem Boden total zugedröhnte Jungs, die sogar zum Dealen zu bekifft sind und nur noch sich selbst anbieten können, um an Drogen zu kommen; daneben die Dealer aller Abstufungen und Männer, die selbst hergestellte Keramikarbeiten anbieten, und damit den Anschein aufrecht erhalten, dass auch im Gefängnis ein "ehrliches" Leben möglich ist. Ist es aber nicht: 80% der Bewohner dieses Gefängnisses nimmt Drogen; wenn sie es nicht getan haben, bevor sie eingelocht wurden, so tun sie es spätestens, wenn sie rauskommen. Die Polizei schaut zu oder hilft sogar noch mit bei der Beschaffung der Drogen. Warum sollten sie auch nicht: bei 400 Polizisten gegen 10 000 Häftlinge, ist doch jegliche Liebesmühe vergeblich. Da kann man die Häftlinge genausogut mit Waffen und Drogen versorgen. In gewisser Weise hebt sich deren Wirkung gegenseitig auf: "Die Drogen machen uns zahm, so dass wir nicht ausbrechen, denn die Waffen dazu haben mir".
Bufalo macht da keine Ausnahme: "Natürlich nehme ich auch Drogen, sonst hält man das nicht aus". Seit 24 Jahren führt Bufalo ein Leben zwischen Gefängnis und Nicht-Gefängnis. Mehr Zeit hat er inzwischen drinnen verbracht. Drogenhandel, Überfälle und Betrügereien - alles hat er schon gemacht und versucht. Unschuld versucht er gar nicht erst vorzutäuschen. Reue über ein verpfuschtes Leben ? Dazu hat er zuviel Haltung und Selbstachtung. "Wie hält man das Gefängnis hier aus, ohne verrückt zu werden ?" frage ich ihn. " Du musst alle Gefühle abschalten, sonst geht es nicht.", meint Bufalo. Er möchte deswegen keinen Besuch mehr von seinen Familienangehörigen, das bringe nur Probleme und Sorgen. Ohne Besuch und Familie lebe er ruhiger. Trotz aller Abgebrühtheit ist die Traurigkeit in seiner Stimme abgrundtief.

Wasser - Agua


Mehr verschlafen als interessiert hörte ich heute früh im Bett die Nachrichten: ein toter Häftling, eine versuchte Vergewaltigung, ein Verkehrsunfall und als Sensation ein schwangerer Mann. Das übliche Gemisch aus Horror, Crime und Sex, das hier als berichtenswert gilt. Ich merke erst auf, als ich auf einmal das Wort "corte de agua" höre. Das Wasser wird abgestellt. In mehreren Stadtteilen Limas würde heute von 9.30 am bis um 2.30 früh das Wasser wegen Reparaturarbeiten abgestellt. Mein Wohnviertel ist auch darunter. Ein Blick auf die Uhr: 7.30 ; nichts wie raus aus dem Bett und Wasser horten. Alle leeren Plastikflaschen, die ich finden kann, werden mit Wasser gefüllt. Dann schnell alles Geschirr vom Vortag spülen. Der Wasserreserveeimer auf der Dachterrasse ist leer - und aus dem Wasserhahn tröpfelt immer weniger Wasser. Der "Corte", die Wasserabstellung hat schon begonnen. Immerhin schaffe ich es noch unter die Dusche, solange ein paar Tropfen herauskommen. Um 8.15 ist die Leitung trocken - eine der wenigen Dinge, die hier vor der angekündigten Uhrzeit passieren können. Meine zwei Freundinnen, die sich für 11 Uhr morgen angekündigt haben, werden halt nicht duschen können - soviel Wasser konnte ich nicht mehr horten.

Dass Wasser kein selbstverständliches Gut ist, spürt man erst, wenn es mal fehlt. Dass es in der Grosstadt Lima nicht öfters daran fehlt, grenzt eigentlich an ein Wunder. Denn Limas 8 Millionen Einwohner leben sprichtwörtlich in der Wüste. In geographischer Hinsicht sind sich Kairo und Lima verdammt ähnlich. Das wird jedem Ausländer sofort klar, wenn er die kargen Sandhügel rund um die Stadt betrachtet oder die staubigen Pflanzen und traurigen Palmen ansieht, die trotz ausgiebigen Giessens nie richtig saftig grün ausssehen. Deshalb ist es verwunderlich, dass sich die Bewohner Limas bisher kaum Sorgen um ihre zukünftige Wasserversorgung machen. Selbst in den Armenvierteln, die nur unzulänglich mit Wasser versorgt sind, und in denen man kaum ein grünes Blatt erblickt, wird das Problem darauf reduziert, dass man Leitungen legen soll oder das Wasserunternehmen korrupt ist. Was aber, wenn einmal kein Wasser mehr aus der Leitung kommt, weil es keines mehr gibt ?

Lima speist sich mit Wasser der Flüsse Rimac und Chillón. Auf dem Pass Ticlio, auf 4800 Meter Höhe, entspringen die Bächlein, die nach und nach den Fluss Rimac bilden. "Noch vor ein paar Jahren habe ich beim Überqueren des Passes Schnee gesehen", erzählt Erzbischof Pedro Barreto. Heute muss man schon eine Brille aufsetzen, um ein paar Schneefelder in der Ferne noch zu erkennen. Die Tropengletscher sind in den letzten 5 Jahren um 22% geschmolzen - der peruanische Ticlio macht da keine Ausnahme.
Kurz unterhalb des Ticlios fliessen dann Abwässer aus Bergwerken in die kleinen Bäche; weiter unten ist ein Tunnel, in den Bergbauschutt seit Jahrzehnten gelagert wird und der inzwischen ins Grundwasser gesickert ist; noch weiter unten im Rimac-Tal, da wo die äussersten Siedlungen Limas beginnen, fliessen Industrieabwässer, Haushaltabfälle und Agropestizide ungefiltert in den Fluss. Das heisst, das Wasser wird nicht nur weniger: es kommt auch hochgradig verschmutzt in Lima an.
Wenn Lima das Wasser ausgeht, wird hier auch das Licht ausgehen: Peru ist durch seine Geographie, die steilen Andenabhänge, in der Lage, ein gutes Drittel seines Energiebedarfes durch Wasserkraftwerke zu decken. Frage ist nur, wie lange noch, wenn das Wasser zurückgeht.

All diese Fragen sind bisher in der peruanischen Gesellschaft und Politik tabu. Denn: Peru ist eine Gesellschaft im Modernisierungsschub. Durch anhaltendes Wirtschaftswachstum wächst auch der Bedarf nach Wasser und Energie, nicht nur für die Industrie, sondern gerade auch für den persönlichen Konsum. Da ist es nicht populär, wenn Politiker zum Haushalten mit Wasser und Energie anhalten.

Gut, dass die katholische Kirche - endlich - hier ihrer prophetischen Rolle gerecht wird: heute hat Erzbischof Barreto die landesweite Kampagne "Wasser, Geschenk Gottes für das Leben" eröffnet. In allen katholsichen Gemeinden sollen die Christinnen und Christen für den Umgang mit der Ressource Wasser sensibilisiert werden.