lunes, 24 de diciembre de 2007

In der Umweltküche des Bischofs


Pedro Barreto, der katholische Erzbischof von Huancayo, muss seinen Kaffee nun woanders trinken. Die Küche des Erzbistums dienst nämlich seit einigen Monaten als Labor für Umweltmessungen. Statt Kaffeepulver findet man in den Küchenschränken nun Döschen mit Bodenproben und Tüten mit allerlei Pülverchen, die ich lieber nicht für die Zubereitung von Essen verwenden würde. Im Kühlschrank stehen Reagenzgläser mit Wasserproben und andere Mittelchen. Die Präzisionswaage daneben soll sogar ein leichtes Erdbeben aushalten, ohne dass sie dekalibriert. Alles in allem ein Labor, wie man es in Universitäten, Forschungsinstituten oder Umweltbehörden erwarten würde. Wie aber kommt es in die Küche des Bischofs ?

Das ist eine lange Geschichte. Aber sie fängt so an, dass in der Sierra Central, also den Zentralanden, direkt westlich von der Hauptstadt Lima gelegen, seit langen Jahren Erze abgebaut werden: Blei, Zink, Silber , Kupfer - alles was das Herz, und vor allem was die Fabriken in China, Japan und Europa brauchen, um die Welt mit ihren Konsumartikeln zu beliefern. Da die Metallpreise momentan sehr hoch sind, lohnt es sich auch noch, aus sehr verunreinigtem Erz die Edelmetallanteile herauszuschmelzen. Und dies geschieht in einer alten Metallschmelze im Ort La Oroya, auf halbem Weg zwischen Lima und Huancayo gelegen. Im Jahr 1922 wurde die Schmelze gebaut und seitdem bläst sie Gift in die Luft von La Oroya. Mit der Folge, dass die Kinder von La Oroya - dort wohnen immerhin über 30 000 Menschen - bleiverseucht sind.

Als Bischof Barreto vor gut 4 Jahren sein neues Amt antrat und La Oroya besuchte, spürte er am eigenen Lieb, wie die Schwefeldämpfe sich in seinen Lungen festsetzten und wie er vor lauter Husten kaum zum Sprechen kaum. Da der peruanische Staat bis jetzt nicht dazu zu bewegen ist, seine Mitbürger in La Oroya vor dem Giftausstoss zu bewahren, in dem er die umweltverträgliche und teure Aufrüstung der Schmelzhütte einfordert, hat Erzbischof Barreto im Namen der Kirche und des Evangeliums gehandelt. Seitdem messen Biologen, Umweltingenieure und Chemiker im Auftrag der Kirche die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden - um damit gesicherte, unabhängige Daten zur Hand zu haben, die nicht geleugnet werden können.
"Wenn der Staat diese Messungen macht, dann nimmt ihnen niemand hier die Resultate ab, weil sie meinen, dass der Staat mit der Fabrik unter einer Decke steckt ", sagt Paula Meza, die Leiterin des Labors. "Wenn die Messergebnisse von der Kirche kommen, haben sie mehr Glaubwürdigkeit".

Und aus genau diesem Grund wird Erzbischof Barreto auch weiterhin seinen Kaffee woanders trinken und seine Küche als Umweltlabor zur Verfügung stellen.

jueves, 1 de noviembre de 2007

Tanz auf dem Grab























Für Edmundo León, der heute 60 geworden wäre, und der heute sicher in seinem Grab mitgetanzt hat

José M. Cartagena hat nur zwei Tage gelebt. Dies steht auf derTafel über seinem Grab. Jemand hat ein paar frische Blümchen zwischen die Steine gestellt, zum Gedenken an das "Engelchen", wie verstorbene Babies genannt werden.
Rings um das Grab von José M. Cartagena ist heute buntes Treiben. Es ist der 1. November in Lima, Allerheiligen, und die Migranten aus den Anden besuchen an diesem Tag ihre Verstorbenen auf dem Friedhof. "Nueva esperanza" - "Neue Hoffnung" heisst das Viertel weit ausserhalb Limas. Hier ruhen die Armen und Ausgestossenen, jene, die in der peruanischen Gesellschaft nicht anerkannt werden; hier, wo keine künstliche Bewässerung für grünen Rasen für die letzte Ruhe sorgt, sondern wo die Natur Limas unbeschönigt ihr Gesicht zeigt: karg, sandig, grau, wüst. An jenem 1. November ist der Friedhof von Nueva Esperanza dennoch voller Leben. Ganze Familien kommen hierher, um ihre Toten zu besuchen. Sie bringen ihnen Essen und Trinken mit, sogar Musik und Tänze. Um jedes Grab scharen sich Familienangehörige, lassen die Bierflasche kreisen und packen die vorgekochten Schmankerln aus. Vorzugsweise die Gerichte, die der oder die geliebte Verstorbene am liebsten hatte. Die Familie vor mir hat "nur" Bier mitgebracht. "Wir kommen hierher wegen unserer Grossmutter. Vor 17 Jahren ist sie schon gestorben", erzählt mir ein bereits leicht angetrunkener José.

Aber bevor mit den Verstorbenen getrunken und gegessen wird, muss ihre letzte Wohnstätte repariert und dekoriert werden. Farbeimer und Pinsel sind überall im Einsatz, Blumen werden herangeschleppt, Mauern für Mausoleen hochgezogen oder neu angestrichen. Die Toten sollen an ihrem Tag ein schönes Zuhause haben. Da ist für den einen oder anderen sogar ein kleiner Nebenverdienst drin, so wie für Wolfgang (er heisst tatsächlich so), ein junger Mann aus der Nachbarschaft, der seit ein paar Tagen mit dem Anstreichen von Gräbern sein Geld verdient. Gegen Nachmittag strömen immer mehr Leute auf den angeblich grössten Friedhof Lateinamerikas, der sich über mehrere Hügel erstreckt. Karrussels, Essens- und Verkaufsstände machen Allerheiligen zu einem Volksfest. Das es ja schliesslich auch ist - ein Fest mit den toten Angehörigen, das selbst die allertotesten Sinne wieder erweckt. Vor einigen Gräbern spielen ganze Musikkappellen die Lieblingsweisen der Toten und Lebenden. Sogar ein Scherentaenzer - ein "Danzante de Tijera" - samt Harfenspieler tanzt auf dem Grab seiner Grossmutter aus dem Departament Huancavelica. Der Scherentanz ist ein ganz besonderer Tanz, die männlichen Tänzer müssen Eingeweihte sein, es ist eine Art Schamanentanz, der sich dadurch auszeichnet, dass die Tänzer mit einer Schere in den Händen zum Rhythmus klappern, während sie akrobatische Sprünge vollführen. Ob die Oma im Grab das Scherenklappern wohl gehört hat ? Wenn nicht, dann lockt sie vielleicht der Duft des guten Essens, das auf ihrem Grab abgestellt wird. Neben den Liebslingsspeisen der Toten stehen da Brote in Kinderform - die sogenannten Tánta - Wawas - Blumen, Obst, Süssigkeiten und natürlich Bier, Kola und billiger Wein. Gegen Nachmittag, wenn das Essen ausgepackt und schon mehrere Bierflaschen herumgegangen sind, wird die Atmosphäre mehr als feucht-fröhlich.
Ob die Besucher des Friedhofs wohl auch beten für ihre lieben Toten ? In all dem sinnenfrohen Trubel, in den sich auch die eine oder andere Träne um einen jüngst Verstorbenen mischt, geht mir die Erinnerung an das, was wir in Europa Pietät vor den Verstorbenen nennen, vergessen. Dafür schleicht sich ein anderer Gedanke ein: wenn dereinst auf meinem Grab so viel getanzt, gegessen und gefeiert wird wie heute in Nueva Esperanza, dann ist der Tod vielleicht gar nicht so schlimm.








martes, 16 de octubre de 2007

Der Schutzengel von Chincha


Schwester Gloria Muchaypinha lächelte mir zum Abschied noch aufmunternd zu, bevor sie sich um 8 Uhr morgens wieder der Verteilung der Lebensmittel für die Erdbebenopfer widmete. Hier in Chincha, gut 3 Stunden Busfahrt südlich von Lima, hatte das Erdbeben vom 15. August schwere Schäden hinterlassen, und die Schwestern der Pfarrei "Virgen de Fatima" organisieren nicht nur die Verteilung der Hilfsgüter, sondern sprechen auch den Opfern Mut zu, organisieren Jugendgruppen ebenso wie Notküchen. Am Tag zuvor hatte ich Schwester Gloria bei ihrer Arbeit begleitet, um über die Nothilfe der Kirche berichten zu können, und nun war ich auf dem Weg ins 20 km entfernte Pisco, dem Epizentrum des Erdbebens, um den dortigen Pfarrer zu interviewen. Auf dem Markt von Chincha wartete schon der Bus, ein heruntergekommenes, grünes Gefährt, das bereits gut gefüllt war mit Passagieren. Um so besser, denn das bedeutete, dass der Bus gleich losfuhr. Ich ergatterte einen Sitz im hinteren Viertel des Busses, und warf noch einen kurzen Blick auf die zwei Reihen Männer hinter mir, die mich ausdruckslos anstarrten. Eine "Gringa", also eine europäische oder nordamerikanische Ausländerin, ist auf dieser Route und in diesem Bus nicht oft anzutreffen. Vom Bus aus rief ich vom Handy den Pfarrer in Pisco an, dass ich etwas später eintreffen würde. Und dann waren meine Gedanken und Sinne auch schon ganz von dem Panorama eingenommen, das ich durch das Busfenster erblickte: eingestürzte Häuser, handgeschriebene Schilder mit der Aufschrift "Notküche", Schutthaufen, all dies Anzeichen für die Wucht des vor zwei Monaten erfolgten Erdbebens. Ab und zu tastete ich nach meinen Siebensachen. Als erfahrene Perureisende habe ich meinen Rucksack auf den Knien, und meine Wertsachen - Kamera, Geld, Ausweise und Handy - in den Innentaschen meines Anoraks verstaut. Diebstahlsicher. Nach rund 15 Minuten Fahrt werde ich aus meinen Gedanken gerufen:"Senhora, schauen Sie nach, ob Ihre Sachen noch da sind", ruft mir der Fahrgast hinter mir zu. Meine erste Reaktion- "unmöglich, dass man mir was klaut" -, macht gleich danach dem Entsetzen Platz: meine funkelnagelneue 12-Millionen-Pixel-Kamera ist nicht mehr in der Innentasche. Und mein Sitznachbar ist auch weg. Mit meiner Kamera. "Halten Sie an", schreie ich dem Chauffeur zu und stürze zum Ausgang. Andere Fahrgäste hinter mir her. Der Bus hält, wir stürzen heraus und nehmen die Jagd auf. Ich habe den Dieb nicht gesehen, aber die Fahrgäste hinter mir sehr wohl. Es sind junge kräftige Männer und sie holen schnell einen dicklichen Mann ein. Dann sehe ich aus 100 Meter Entferung, wie einer der Männer in einer Hand mit einer Pistole herumfuchtelt, und in der anderen meine Kamera hat. Als ich die Gruppe erreiche, kommt mir der Diebesjänger entgegen. Er hält immer noch die Pistole in der Hand, auf mich gerichtet, und im ersten Moment glaube ich, er wolle von mir nun eine Belohnung oder was auch immer erpressen. "Hier ist Ihre Kamera. Ich bin Polizist, auf dem Weg zu meiner Arbeit", löst er das Rätsel . Der Bus ist inzwischen umgekehrt und sammelt uns - eine Gruppe von rund 6 Fahrgästen - wieder auf und die Fahrt geht weiter wie gehabt. "Der Dieb hat sich verdächtig benommen, und als er Sie am Handy sagen hörte, dass Sie eine ausländische Journalistin seien, er dachte , da gäbe es was zu holen", erklärt mir der Polizist.
Ich bedanke mich überschwenglich bei meinen Schutzengeln und wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle Pisco, wo ich meine Interviews und Fotos mache. Auf dem Rückweg halte ich noch im Dorf San Clemente. Dort wollen Maria, eine Radiojournalistin aus Pisco und ich, den hiesigen Pfarreirat über ihre Notfallhilfe interviewen. Wir steigen vor der Polizeistation aus und fragen dort nach dem Weg zur Notküche. "Woher kommen Sie ?", fragt plötzlich ein Polizist, der abseits stand und zugehört hatte. Es war niemand anderes als mein Schutzengel-Polizist vom Morgen, nun in Uniform, deshalb hatte ich ihn nicht gleich erkannt. Maria wollte gleich ein Interview mit ihm machen, und es im Radio als Beispiel für einen "guten" Polizisten bringen. Der Polizist winkte ab. Das könnte ihm bei seinen Oberen mehr Ärger bereiten, weil er keine Anzeige gegen den Dieb erstattet habe. Wie er denn heisse, fragte ihn Maria. "Muchaypinha", sagte er. Bei mir klingelte es, als ich den Namen höre..... ob er etwas mit Schwester Gloria Muchaypinha in Chincha zu tun habe, frage ich ihn. Natürlich, sagt er, das ist meine Schwester. Ob ich sie denn auch kennen würde ?

domingo, 9 de septiembre de 2007

Erdbeben in Peru

Als am Mittwoch, den 15. August in Peru die Erde bebte, befand ich mich in Bolivien bei einem Treffen von Schweizer Nicht-Regierungsorganisationen. Erst am nächsten Tag hörte ich im Radio, dass ein Erdbeben in Lima und Ica viele Opfer gefordert hatte. Drei Tage später, schon wieder in Lima, erzählten mir alle Freunde und Bekannten, was sie zum Zeitpunkt des Erdbebens gemacht hatten, und dass die 3 Minuten des Bebens ewig erschienen. Die Älteren erinnern sich, dass das letzte Mal vor über 30 Jahren die Erde sich so stark bewegt habe. Die Leute aus Lima unterscheiden zwischen den „Temblores“ – einem leichten Erdbeben, derer es jedes Jahr mehrere gibt – und einem „terremoto“, einem starken Erdbeben. Das Erdbeben vom 15. August war ein „terremoto“, kein „temblor“.

Während die Bewohner Limas mit dem Schreck davon kamen, so wurden die Kleinstädte Pisco und Ica besonders hart getroffen. In der Hafenstadt Pisco sollen 70% aller Gebäude eingestürzt sein; es sind über 500 Tote und 1000 Verletzte zu beklagen. Besonders tragisch war der Einsturz einer Kirche, in der gerade Messe gefeiert wurde. Über 200 Menschen sind nur darin gestorben. Wieviele Menschen ihr Haus und ihre Habe verloren haben, ist noch gar nicht abzuschätzen. Ich selbst habe das Erdbebengebiet noch nicht gesehen, aber nach Augenzeugenberichten, sieht es dort aus, wie in einer total bombardierten Stadt. Die menschlichen Tragödien, die das 3-minütige Erdbeben hinterlassen hat, werden noch ganze Generationen prägen.


An die 400 kleine Nachbeben sind in Lima, Ica und Pisco schon registriert worden. Das sind kleine Schüttler , mit denen sich die Erdplatten neu plazieren. Ein anderes Beben findet in den Medien statt. Alle wollen Kapital aus der Naturkatastrophe schlagen: zuerst einmal der peruanische Präsident Alan García, der sich, als oberster Katstrophenhelfer darstellt; aber auch ausländische Staatschefs wie der Venezolaner Hugo Chávez, der angeblich Lebensmittelkonserven mt seinem Konterfei unter den Opfern des Erdbebens verteilen liess.

In meiner Mailbox häufen sich derweil die Pressemeldungen von all den Ländern und Organisationen, die in Pisco und Chincha Hilfe leisten: Taiwan schickt ein Flugzeug, aus Frankreich kommen Feuerwehrleute, aus der Schweiz spezialisierte Kastastrophenhelfer. Auch die Nichtregierungsorganisationen und sogar die Kirchen tun nicht nur Gutes – sondern wollen auch, dass man davon spricht. Die Schwierigkeit wird nicht darin liegen, Hilfe aufzutun, sondern sie richtig, effektiv und langfristig einzusetzen.

Ich selbst konnte nicht mehr ins Erdbebengebiet reisen, möchte Euch aber gerne auf einen Eintrag im Blog meiner Freundin Susanne Friess verweisen, die dort ihre Fahrt ins Erdbebengebiet schildert: http://sananas2610.blogspot.com/2007/08/zwischen-trmmern.html

domingo, 5 de agosto de 2007

Flugangst


Wer sie nicht hat, der wird sie als Paranoia abtun. Ein Fall für die Psychos. Wer jedoch meint, dass der Mensch nicht dazu gemacht ist, in eine Metallröhre gezwängt die Schwerkraft zu überwinden, weiss sofort, wovon ich spreche: der Flugangst. Man kann sie im Zaum halten, fast auf null zurückfahren, sie mit allen möglichen Argumenten verleugnen (z.Bsp. den altbekannten Statistiken vom Flugzeug als sicherstes Verkehrsmittel) - alles nur Mumpitz. Einmal gekannt, lauert sie im Hintergrund und wartet nur auf eine Gelegenheit, sich in Deinem Gehirn seinen Platz zurückzuerobern.
So wie vor einigen Wochen, als ich von Juliaca nach Lima flog. Fragt mich nicht, wie oft ich die einstündige Strecke schon geflogen bin, von der Stadt auf 4000 Meter am Titicacasee, bis in die Hauptstadt Lima. Zehn Mal dürfte nicht übertrieben sein. Jedes Mal ist mir unwohl dabei. Dieses Mal erinnert mich der Taxifahrer, der mich von Juliaca an den 3 Kilometer ausserhalb liegenden Flughafen bringt, daran, dass Fliegen nicht ungefährlich ist. Das Haus, in dem er mich in Juliaca abholt, wurde von einem Schweizer Priester gebaut, der vor gut 20 Jahren bei einem Flugzeugabsturz in Juliaca ums Leben kam. Ob ich die Geschichte kenne, fragt mich der Taxifahrer. Ich nicke und spüre eine morbide Neugier. Nackt, haetten die Leute damals den abgestuerzten Padre Conrado aufgefunden, weil vorher noch Leichenfledderer gekommen seien und ihn seiner Habseligkeiten beraubt hätten, erzählt mir der Taxifahrer voller Süffisanz. Normalerweise sind das die interessanten Stories, aber dieses Mal denke ich nur daran, ob das nun ein gutes oder schlechtes Omen für meinen Flug ist, wenn man bei der Hinfahrt schon über Flugzeugabstuerze spricht.






Im Flughafen selbst dann die Ansage, dass der Flug nach Lima überbucht sei, und dass jedem, der freiwillig zurücktritt, 100 Dollar Belohnung geboten werden. In meinem Kopf machen sich die Gedanken selbständig: war nicht das Flugzeug, das damals abstuerzte auch überfüllt, und hat nicht der Pater Conrado darauf bestanden, auf dem Notsitz mitfliegen zu dürfen ? Und überhaupt, was macht die Fluggesellschaft, wenn niemand zurücktritt und das Flugzeug zu schwer wird ? Mögliche Horrorszenarien mischen meine Phantasie auf. Bereden kann ich die mit niemandem. Die mich umgebenden Touristen aus Korea und USA bekleidet mit Alpacapullovern und bepackt mit bunten Lamataschen, scheinen das Fliegen so normal zu finden wie ich das Fahrradfahren. Da erblicke ich ganz hinten ein bekanntes Gesicht: einen katholischen Bischof, mit dem ich schon des öfteren zu tun hatte. Ob er auch Angst vor dem Fliegen habe, frage ich ihn. Keineswegs, meint er, diese Maschinen seien total sicher, und überhaupt glaube er an die Technik. An die Technik glaube ich zwar nicht, aber sehr wohl an einen Gotteshandel: wenn der Gottesmann im Flugzeug sitzt, dann lässt Gott dieses ja wohl nicht abstuerzen. Sozusagen eine kleine Garantie mehr, dass wir heil über die Anden kommen.

Als ich als eine der letzten durchs Gate gehe, frage ich mich, ob dies nun mein letzter Gang auf Erdenboden ist, bevor ich ins Flugzeug einsteige. Ich bekomme einen Platz neben einem jungen, in sich versunkenen Touristenpärchen aus den USA. Der Bischof nimmt ein paar Reihen vor mir Platz und winkt mir noch aufmunternd zu. Vor mir klappt ein Bildschirm auf und zeigt die Sicherheitsvorrichtungen. Wenn von den aufblasbaren Schwimmwesten unter dem Sitz die Rede ist, muss ich fast lachen: was helfen die mir, wenn ich über einem 6000 Meter hohen Gletscher abstuerze ? Zerschollen zwischen Felsen und Kondoren. Das Flugzeug hebt ab, die Motorengeräusche hören sich normal an. Oder doch nicht ? War da nicht gerade ein Stottern im Motor ? Der Offizier eines Frachtschiffes sagte mir mal, im Gegensatz zum Flugzeug, könne man ein Schiff auch unterwegs reparieren. Wie wahr dies ist.....

Die Stewardessen, junge Peruanerinnen mit einem mechanischen Lächeln, geben mit keiner Geste oder auch nur einem Blinzeln zu erkennen, ob es Grund zur Beunruhigung gibt oder nicht. Der Captain sagt durch, dass wir nicht direkt nach Lima fliegen, sondern in Cusco zwischenlanden. Oh Gott, Cusco ist mein absoluter Horror-Flughafen. Schon sinkt das Flugzeug durch die Wolken hindurch genau auf einen Berg zu. Dann umfliegt es den Berg in einem Achter und ich bin überzeugt, dass dieses Mal das Flugzeug am Berg zerschellt. So nah an den Bergen herumzufliegen. Innerlich bin ich schon schweissgebadet. Auf einmal stabilisert sich der Flieger und die Landebahn taucht vor uns auf. Nochmal Glück gehabt...... ich atme auf. Dieses Mal sollte es doch noch nicht sein..... .

PS: Schon einen Tag später, wieder sicher auf dem Boden in Lima, kommen mir meine aufgezeichneten Gedanken absurd und lächerlich vor. Wie konnte ich mich da nur so reinsteigern ? Drei Tage später erzählen mir zwei Bekannte - anerkannte, seriöse Juristen mit Jackett und Krawatte - dass auch sie beim Fliegen schweissgebadet auf jedes Geräusch des Flugzeugmotors achten. Woran sie denn litten, frage ich . Die Antwort ist längst klar: Flugangst

martes, 31 de julio de 2007

Blutsverwandt

"Schliessen Sie Ihre Hand bitte zur Faust". Gehorsame befolge ich die Aufforderung der Krankenschwester und ahne schon, was als nächstes kommt: "Ihre Venen liegen zu tief, die sind schwer zu treffen". Gekonnt knetet sie an meiner Armbeuge herum, setzt die Nadel an - und trifft aufs erste Mal. Ich liege auf einer Liege im Keller des Polizeihospitals von Lima und schaue zu, wie mein Blut aus mir heraus- und in einen Beutel tropft.
Dass mein Blut etwas Besonderes ist, habe ich erst in Peru erfahren: ihm fehlt der Rhesus-Faktor, ist also Rhesus-negativ. Das ist in Deutschland nichts Besonderes, aber in Peru sind nur rund 1% der Bevölkerung Rhesus-negativ. Deshalb sind negative BlutspenderInnen überaus gefragt und wir Negativen sind sowas wie die Blaublütler unter ihnen.
So wie heute früh bin ich schon oft angerufen worden: ob ich nicht Blutspenden könnte, es handele sich um einen Notfall. Im Unterschied zum anonymen Blutspenden beim Roten Kreuz in Deutschland, weiss ich in Peru sofort, wer mein Blut bekommt. Heute ist es für eine 85-jährige Oma, Witwe eines Polizisten, mit einem gutartigen Gehirntumor, der bereits ihr Sehvermögen angegriffen hat. Seit 2 Wochen liegt sie im Polizeihospital - in Peru haben die Polizisten ihr eigenes Krankenhaus - und wartet auf ihre Operation. Die kann erst dann stattfinden, wenn ihre Verwandten genügend Blutspender gefunden haben, um die Blutbank des Spitals aufzustocken. Leider findet man die Rhesus-negativen Blutspender in Peru nicht immer in der Familie oder der Nachbarschaft. Deswegen bin ich Mitglied des "Clubs der Rhesus-Negativen": es ist eine Datenbank von freiwilligen Blutspendern, an die jeder gelangen kann.

Im Laufe der Jahre habe ich schon allen möglichen Menschen mein Blut gespendet:
einer jungen Frau, die nach einem Kaiserschnitt noch tagelang im Hospital liegen musste, bis ihre Angehörigen eine Blutspenderin gefunden hatten; einem 14-jährigen Mädchen mit Gehirntumor; einer 38-jährigen Friseuse mit Gebärmutterkrebs im Anfangsstadium, die erst mit ihrer Chemotherapie beginnen durfte, nachdem sie eine rhesusnegative Blutspenderin aufgetan hatte; einem 60-jährigen Krebspatienten. Fast immer lerne ich die besorgten und überaus dankbaren Angehörigen der Patienten kennen, denn die müssen sich um den Blutnachschub kümmern, damit ihre Liebsten behandelt werden.

Ausser ganz unterschiedlichen Menschen habe ich auf diese Art und Weise inzwischen fast alle staatlichen Krankenhäuser Limas kennengelernt. Deren Ruf ist im allgemeinen recht schlecht: alt, schlecht verwaltet und ohne Ausstattung seien sie. Nicht immer stimmt dies. Das Hospital Maria Auxiliadora am Südrand Limas erschien mir recht sauber und funktional, ebenso das staatliche Krebsklinikum. Heute dagegen hat es mich in den Keller des Polizeispitals verschlagen. Während mir das Blut abgezapft wird, schaue ich auf verrostete Rohre, die quer über die Decke laufen. Beim Herweg durch die Kellergänge werfe ich einen Blick in vorsintflutliche Waschräume, die Farbe blättert allenthalben und der Rost scheint durch. Der Arm wird mir mit einem Gummihandschuh abgebunden - weil es keinen Abbindeschlauch gibt ?
Rosa Dávila, die Tochter meiner Blutsverwandten, erzählt, dass die Apotheke im Spital nur wenige der ihrer Mutter verschriebenen Medikamente zur Verfügung hat. Den Rest müssen sie zukaufen. Wenn es nach ihrem Krankenhaus geht, ist es um die peruanischen Polizisten nicht gut bestellt und ich kann verstehen, dass die Korruption unter ihnen besonders grassiert.

Ob neues oder altes, sauberes oder schmuddeliges Krankenhaus: immer treffe ich auf eine Bürokratie ohnegleichen. Auch heute muss ich 15 Minuten warten, bis mir die 1. Blutprobe abgenommen wird, dann nochmals 90 Minuten, bis sie mir ein weiteres Röhrchen Blut abzapfen, um es auf HIV, Hepatitis, Hämoglobingehalt zu testen. Dann soll ich doch bitte nachmittags wiederkommen, zur eigentlichen Spende, wenn die Ergebnisse der Blutuntersuchung vorliegen. Und dabeist es bei mir besonders schnell gegangen: weil ich darauf gepocht habe, weil ich weisshäutige Ausländerin bin, weil ich Rhesus-negativ bin..... die Peruaner, die mit mir auf ihre Blutspende warten, sind schon stundenlang hier und zucken nur fatalistisch die Schultern, wenn ich sie dazu aufstacheln möchte, eine zügigere Behandlung einzufordern: "ja, in Ihrem Land ist das anders. Wir sind halt unterentwickelt". Wie die Unterentwicklung doch als Entschuldigung für alles herhalten muss...

Warum übrigens in Peru keine Blutbanken aufgebaut werden, so dass der ganze Blutspendezirkus bei Notfallpatienten überflüssig würde ? "Die Leute wittern sofort ein Geschäft, und wollen ihr Blut nicht gratis hergeben", sagt die Krankenschwester in der Blutbank zur Erklärung. Es ist genauso wie auch die Beziehungen hier im Grossen funktionieren: unter Verwandten und engen Nachbarn wird Solidarität geübt, ansonsten herrscht Misstrauen und Eigennutz.

Mein Blutbeutel ist voll. 10 Minuten muss ich noch auf der nackten Liege ruhen, bevor die Krankenschwester mich nach Hause gehen lässt. Mir geht es blendend, auch mit 250 Milliliter Blut weniger im Körper. Im Gegenzug habe ich wieder einen Blutsverwandten in Peru hinzugewonnen.

viernes, 27 de julio de 2007

Touristik- Tip Lima (I)



Wenn es in Lima kalt, neblig, feucht und dunkel ist wie in Deutschland im November, braucht man nur vier Stunden zu fahren, um strahlenden Sonnenschein und ein schmuckes traditionelles Dorf kennenzulernen: Huachupamapa (auf deutsch: verwaiste Wiesen) heisst das Dorf. Das Besondere: man kann dort Kondore in freier Wildbahn sehen.

Hinkommen ist ganz einfach: mit dem Bus oder Combi nach Chosica (das sind rund 1 Stunde Fahrt, Richtung Zentralanden). In Chosica fragt man nach der Plaza Echenique und den Bussen, die nach Huachupampa fahren. Jeden Morgen um 8.30 fährt der gemeindeeigene Bus hoch nach Huachupampa. Zuerst geht es gemächlich aufwärts bis zum Dorf Huinco und dessen Wasserkraftwerk. Danach steigt die Strecke steil an. Die Strasse ist eine Erdstrasse, immer hart am Abhang entlang. Nichts für sehr empfindliche Seelen. Die Aussicht ist dafür atemberaubend. Nach 3 Stunden Fahrt hält der Bus im Dorf Huachupampa. Das Dorf hat rund 130 Einwohner, drei kleine Lädelchen, ein öffentliches Telefon, Licht, eine neue sehr hübsche Plaza (siehe Bild), sehr viele traditionelle Häuser und ein ganz neues , sauberes und billiges Hostal, das im Gemeindebesitz ist. Das Dorf liegt auf knapp 3000 Meter Höhe, ist also nicht zu kalt, aber dafür sonnig! Und ich habe in dem kleinen Dorf 8 Abfalleimer gezählt - das muss die Hauptstadt Lima erst mal nachmachen.
Hauptattraktionen sind die Kondore sowie eine Inka-Burgruine. Beides mit einem guten 2-stündigen Fussmarsch zu erreichen. Gegen ein geringes Entgelt findet sich immer ein Dorfbewohner, der als Führer mitgeht. Die Gegend ist ideal zum Wandern und Ausspannen.
Wer näheres wissen möchte: die Gemeinde Huachupampa hat eine Website: www.munihuachupampa.gob.pe, Tel. (01) 361 1080

Auch zurück kommt man mit dem Gemeindebus: um 13 Uhr ist jeden Tag Abfahrt Richtung Chosica. Und hier noch ein Foto vom öffentlichen Waschplatz in Huachupampa, das Dach des Duschgebäudes ist den traditionellen Hüten der Dorfbewohner nachempfunden:

martes, 17 de julio de 2007

Mitten im Streik! Oder: nächtlicher Inka-Trail

Die Strecke Cusco - Puno ist das peruanische Gegenstück zur Autobahn München-Frankfurt in Deutschland: eine Hauptverkehrsstrecke im Süden des Landes, dicht befahren von Lastwagen, Bussen und dem einen oder anderen Pkw. 6 Stunden Busfahrt sind es normalerweise von Cusco nach Puno, und die Busse fahren alle halbe Stunde. Nur nicht an jenem 1. Juli, an dem ich dringend von Cusco nach Puno reisen musste. Die Verkaufsstände der Busgesellschaften hatten geschlossen: Streik in Ayaviri, hiess es. Ayaviri ist eine Kleinstadt mitten auf der Strecke, und die Streikenden hatten die Strasse bei Ayaviri blockiert. Also kein Durchkommen möglich. Wie lange der Streik dauern würde ? Niemand weiss was Genaues. " Heute abend um 11 Uhr fährt der nächste Bus", verrät mir ein junger Mann. Am einzigen offenen Verkaufsstand drängelnd sich die Leute. "30 Soles bis nach Puno, und ohne Gewähr, ob wir weiter als Ayaviri kommen", gibt die Verkäuferin Auskunft. 30 Soles ist fast das Doppelte des normalen Fahrpreises - normalerweise mit Garantie, in Puno anzukommen. "Aber das Weiterkommen in Ayaviri ist kein Problem. Ihr steigt an der Sperre aus, lauft 2 Kilometer bis zum anderen Ende der Blockade, und da warten dann Busse, die nach Puno fahren". Nicht gerade eine tolle Aussicht, aber 2 Kilometer Fussmarsch sind noch erträglich, denke ich und schnappe mir eines der begehrten Tickets. In Voraussicht der nächtlichen Hochanden-Wanderung kaufe ich mir auf dem Schmuggelmarkt in Cusco noch ein paar Handschuhe zu 1 Euro (made in China), eine Alpacamütze zu 3 Euro und eine Taschenlampe made irgendwo in Asien. Zu dem Zeitpunkt bin ich noch zuversichtlich, dass ich bald und bei guter Gesundheit in Puno ankommen würde. Hätte ich es nur mal besser gewusst.....
Um 23 Uhr ist unser Bus abfahrbereit: ein Zweistöcker, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Wie bessere Tage merken wir bald nach der Abfahrt in Cusco. Nach kaum 15 Minuten Fahrt hält er mitten auf der Strecke an. Die Tür zur Fahrerkabine bleibt abgeschlossen. Durch das Fenster sehen wir, wie der Chauffeur sich an einem Seitenteil des Busses zu schaffen macht. Nach 20 Minuten geht es wieder weiter. Das ganze wiederholt sich noch einige Male, so dass ich befürchte, dass der Bus es nicht mal nach Ayaviri schaffen wird, sondern schon vorher seinen Schnauf aufgibt. Inzwischen wird mir auch klar, dass an diesem Abend nur Seelenverkäufer-Busse die Strecke nach Puno fahren. Solche, die bei normaler Konkurrenz keinen Passagier anlocken können, die aber bei Streiks und anderen Notlagen ihr Geschäft wittern.

Meine Sitznachbarin Nery ist eine Studentin der Zahnmedizin aus Cusco. Morgen hat sie Prüfungen an ihrer Uni in Juliaca, der grössten Stadt Punos. Begeistert von der Aussicht auf den nächtlichen Fussmarsch ist sie nicht, aber auch nicht überrascht. Ein Streik mit Strassenblockade ist in der Gegend nicht unüblich. Wesentlich besorgter ist da schon der junge Mann, der uns gegenüber sitzt: um 7 Uhr Morgen hat er ein Busbillet, um heim nach La Paz zu fahren. Ober er den Bus wohl noch kriegen wird ?

In warme Decken gewickelt zuckeln wir im Bus über die Andenhochebene und doesen vor uns hin, als auf einmal Leben in unsere Fahrgemeinschaft kommt. Wir sind an der ersten Strassensperre angelangt. Es ist 2.30 morgens. Vor uns stehen drei Männer, hinter ihnen eine alte Tonne, in der ein wärmendes Feuer lodert. Die Strasse ist mit Felsblocken gesperrt. Eine Abordnung von 3 Passagieren verhandelt mit den Streikenden. Gegen einen Obolus - wir sammeln dafür - lassen sie ihre Streikgesinnung Gesinnung sein und lassen uns durch. Allerdings nur 1 Kilometer weiter. Dann ist endgültig Schluss. Eine lange Schlage von Lastwagen steht vor uns. Ihre Fahrer schlafen oder haben sich in die Büsche geschlagen. Nun beginnt also der Fussmarsch. Meine Nachbarin drückt mir noch ihre Decke in die Hand, und weg ist sie...... Zusammen mit einigen Rucksacktouristen aus Frankreich mache ich mich auf den Weg. Gerade bei dieser Reise habe ich meinen Rucksack zu Hause gelassen und mir einen Rollkoffer mitgenommen. Den darf ich nun auf der nächtlichen Strasse hinter mir herziehen, an der kilometerlangen Lastwagenschlange entlang. Es ist empfindlich kalt, einige Grade unter Null, nur Bewegung verhindert, dass ich vor Kälte schlottere. Vor uns eine weitere Blockade, dieses Mal steht eine Gruppe von rund 20 Männern auf der Strasse, in Decken eingewickelt debattieren sie untereinander. "Warum streiken Sie überhaupt ?" frage ich einen der Anführer. "Gegen die Umweltverschmutzung", antwortet mir der Mann mit den indianischen Gesichtszügen und , wie alle seine Mitstreiter, mit Mütze und Schal vermummt. "Wir sind Bürgermeister und Bauern aus der Gegend und sind dagegen, dass das Bergbauunternehmen Arasi unseren Fluss verschmutzt". Und was wollen sie konkret mit der Blockade erreichen ? "Wir haben mehrere Beschwerdebriefe nach Lima geschickt, aber niemand hat geantwortet. Wir wollen, dass das Unternehmen und der Bergbauminister mit uns redet und uns anhört". Der Dorfbürgermeister ist recht freundlich und freut sich, dass einer der Touristen sich für ihre Anliegen interessiert. Dennoch: ob man deswegen das Recht hat, eine Hauptverkehrsstrasse zu blockieren ? Ich stelle die Frage besser nicht und wünsche Ihnen statt desssen viel Erfolg beim Minister. Und ziehe meinen Koffer weiter über die Landstrasse. Inzwischen haben mich die anderen Passagiere weit abgehängt und ich bin morgens um 3 auf weiter Flur alleine unterwegs. Mein Arm schmerzt schon vom Kofferziehen, und kein Ende ist abzusehen. Kein Autos ist unterwegs, nicht einmal eines der hier ueblichen Dreiradtaxis. Aus dem Dunkeln taucht ploetzlich ein Fahrradfahrer neben mir auf. Er wuerde mich begleiten, sagt er. Und er koenne mich auf dem Fahrrad mitnehmen. Die Dreiradtaxis und alle anderen Fahrzeugbesitzer wuerden sich nicht heraustrauen, weil ihnen die Streikenden sonst die Reifen aufschlitzen wuerden.
Zuerst straeube ich mich gegen sein Angebot, aber der Weg nimmt kein Ende und mein Koffer wird nicht leichter. Schliesslich setze ich mich auf den Gepaecktraeger und wir fahren, ich den Koffer hinterherziehend, an anderen wandernden Passagieren vorbei. Nach rund zwei Kilometern ist Schluss. "Da gleich hinter der Ecke ist die Sperre und danach gibt es Buss", prophezeit mein Fahrrad-Chauffeur. Zusammen mit Indianerfrauen, die ihre Handelsware in Tuecher gewickelt auf dem Ruecken tragen, erklimme ich die Anhoehe bis zur naechsten Ecke. Dort wartet wieder ein Streikposten: dieses Mal muessen wir Passagiere uns die offiziellen Streikparolen anhoeren, bevor wir durchgelassen werden. Und dahinter -----weit und breit kein Bus, auch kein Auto, nicht mal eines der Dreiraeder, die sich sonst um die Passagiere reissen. Wir laufen weiter auf der fahrzeugleeren Strasse, was bleibt anderes uebrig. Nach rund drei weiteren Kilometern kommen wir an eine Mautstation. Izwischen ist es Morgengrauen, bitterkalter Morgengrauen. Eigentlich wunderschoen anzusehen, wie die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Rauhreif sich hervorwagen. Wenn man dazu einen heissen Kaffee dazutrinken koennte und ein Fahrzeug danebenstuende. Aber nichts: 26 Kilometer sind es bis zum naechsten Dorf, und keiner der dortigen Chauffeure will uns an der Matustation abholen. Die Polizisten hier wissen von gar nichts und helfen auch nicht weiter.
Also laufen wir weiter: ein paar junge Leute haben sich inzwischen angefreundet und scheinen ueber den erzwungenen Fussmarsch nicht allzu traurig zu sein. Neben mir laufen zwei aeltere Frauen, Haendlerinnen, die ihre Ware aus Cusco auf dem Ruecken schleppen. "Schrecklich, aber was koennen wir tun ?" seufzt die eine fatalistisch. Wir ueberholen eine Mutter, die ihrem rund 8-jaehrigen Sohn zuredet, doch weiterzulaufen. Aber das Kind weit nur und weigert sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Fast abgestumpft laufe ich auch an ihnen vorbei. So aehnlich muss es auf einem der vielen Fluechtlingstrecks zugehen, die weltweit sich voranschleppen auf der Suche nach Frieden, Wasser, Land oder einfach einem besseren Auskommen. Auch ich komme mir langsam vor wie eine Ausgesetzte, ausgesetzt und verlassen auf einer leere Landstrasse auf 4000 Meter Hoehe in den peruanische Anden. Ploetzlich taucht vor uns, wie eine Fata Morgana, der Umriss eines Autos auf. Alle Mitmarschierenden streifen ihre Lethargie ab und rennen auf das Fahrzeug zu. Die haendlerinnen mit ihren vollgestopften Packtuechern, Kinder und Jugendliche: alles draengt sich in einen Toyota-Kastenwagen, eigentlich fuer 5 Personen gedacht. Nun sitzen sicher 10 Personen drin. Ich habe es leider nicht geschafft, mir einen Platz zu ergattern. Nach 10 Minuten kommt das naechste Fahrzeug, auch hier bin ich zu spaet, verdammter Rollkoffer, da kann ich beim Sturm auf das Auto einfach nicht mithalten. Aber immerhin funktioniert hier mein Handy. Juliaca, die naechste Stadt, ist noch gut 60 Kilometer entfernt. Ich rufe eine Freundin dort an, sei soll mir bitte aus Juliaca ein Taxi schicken, koste es was es wolle. Aber der freie Markt funktioniert heute nicht: kei Taxifahrer ist bereit, die Streikenden zu erzuernen und Steine in der Windschutzscheibe und aufgeschlitzte Reifen in Kauf zu nehmen. Also hilft nur: Weiterlaufen. Noch 20 Kilometer zum naechsten Dorf, dazwischen nicht mal ein Huettchen. Um 10 Uhr vormittags schafe ich es endlich, zusammen mit einem argentinische Touristen auf den Vordersitz eines der wenigen Taxis zu klettern. Den Inka-Trail habe er gemacht, meint der Argentinier. Nun bekommt er den Inka-Trail noch kostenlos als Nachschlag dazu, lache ich. In 20 Minutnen ist das Auto in Pucarà, ein kleines verschlafenes Staedtchen, das wegen seiner Keramikstiere ene gewisse nationale Bedeutung hat. Die Haupstrasse in Pucar¡a sieht heute aus wie nach dem Krieg: ueberall havarierte Passagiere, und kein Fahrzeug! Immerhin gibt es hier ein Restaurant und ich bekomme einen heissen Kaffee. Auch eine halbe Stunde spaeter, eine Stunde spaeter: kein Auto nach Juliaca. Ich frage die Gaststaettenbesitzerin schliesslich nach einem Bett. Sie solle mich bitte wecken, wenn der Streik vorueber sei. Nachmittags um 3 Uhr ist die schliesslich der Fall. Die Streikposten lassen Autos und Busse durch. Und auf einmal funktioniert das Geschaeft wieder: die Busbesitzer kommen aus ihren Loechern und buhlen um die Passagiere. Auf einer staubigen Erdstrasse fahren wir schliesslich auf einem Umweg nach Juliaca und um 6 Uhr nachmittags treffe ich schliesslich in Puno en. 20 Stunden war ich unterwegs fuer die 7-StundenStrecke. Gut 6 Stunden davon zu Fuss.

In Puno erfahre ich dann, dass die Bauern in Ayaviri sozusagen vorsorglich gegen die Umweltverschmutzung gestreikt haben. Das Bergwerk hatte erst vor drei Monaten seine Arbeit aufgenommen, aber die Bauern wollten sich gegen eventuelle zukuenftige Beschaedigungen ihres Wassers absichern. Kurz danach machten andere Bauern 4o Kilometer weiter die Strasse dicht: dieses Mal gegen die bereits bestehende Umweltverschmutzung durch informelle Bergleute. Der Minister kam schliesslich aus Lima angereist und tagte in Puno mit den Streikfuehrern. Anschliessend streikten die Lehrer und legten das Land fuer weitere Tage lahm. Ich konnte gerade noch mit dem Flugzeug Puno verlassen, zusammen mit dem Minister, bevor die streikenden Lehrer am anderen Tag die Flutlichter der Landebahn mutwillig zerstoerten.

Schule im Jahr 2037


Wenn ich bestimmte Zustände in Peru beklage, dann bekomme ich manchmal zur Antwort: "Wir sind hier eben nicht in der Schweiz". Als ob Peru nicht das Recht habe, Gerechtigkeit und Wohlstand anzustreben, für welche die Schweiz steht.

Nachfolgende Geschichte von Wilfredo Ardito ueber eine Schulutopie in den peruanischen Anden beschreibt genau das: Schweizer Zustände mit peruanischen, indianischen Hauptdarstellern.

Eine Provokation und eine Utopie ? Vor allem eine Aufforderung, sich mit der jetzt herrschenden Situation nicht abzufinden.


Peru: Schule im Jahr 2037, in irgendeinem Dorf der peruanischen Hochanden


Von Wilfredo Ardito Vega


- José Gabriel, lass jetzt den Computer. Gleich kommt der Schulbus und Du hast noch nicht gefrühstückt! – rief seine Mutter, während sie die Mikrowelle öffnete, um den warmen Orangensaft herauszuholen.

- Mama, ich gewinne gerade gegen meinen Freund aus Tibet!

- Lass ihn in Ruhe, Du weisst, dass er jetzt schlafen gehen muss!

José Gabriel nimmt eilig sein Frühstück ein, denn schon klingelt es an der Tür, welche sein Vater mit der Melodie aus dem Krieg der Sterne programmiert hat.

Er zieht seinen warmen Anorak an, den seine Eltern ihm im Kaufhaus Saga Falabella in Sicuani gekauft haben, denn draussen ist es 6 Grad unter Null. Dann setzt er seine Alpaca-Mütze auf, verabschiedet sich von seiner Mutter und rennt zum Schulbus.

- Allinllachu ? Wie geht es ? – begrüsst ihn Richard, der Busfahrer. Zu Beginn des Jahrhunderts, als José Gabriel noch nicht geboren war, war es bei den Bauern noch Mode, ihre Kinder mit englischen Namen zu taufen.

Der Schulbus fährt durch die kahle Hochebene und hält immer wieder an, um Kinder einsteigen zu lassen. Sie kamen früh in der Schule an und José Gabriel hatte noch Zeit für ein kleines Basketball-Match in der Turnahalle und sich im Waschraum mit lauwarmem Wasser zu duschen.

In seiner Klasse hatten alle Kinder indianische Gesichtszüge. Nur zwei weisse Kinder waren darunter. Es waren zwei Austauschschüler aus Lima. Sie waren gekommen, um ihr Quechua zu verbessern und um die Sonne im Hochgebirge zu geniessen, solange in Lima neblige Kälte herrschte.

Die erste Schulstunde war Geschichte Perus. Die Lehrerin fragte die Kinder in Quechua:

- Habt Ihr nachgefragt, wie Eure Eltern und Grosseltern früher gelebt haben ?

- Meine Mama sagt, damals haetten sie keine Heizung gehabt, sagt José Gabriel.

- Und auch keinen Strom und Solarenergie, ergänzt seine Sitznachbarin Kusi.

- Und in den Häusern gab es kein Bad, meint Cahuide.

- Und es gab auch keine Müllabfuhr, schreit Ollanta.

- Wie ekelhaft! – die kleine Chaska verzieht den Mund so erschrocken, dass alle loslachen.

- Das stimmt wirklich, Kinder – erklärt die Lehrerin. – Das Leben war damals sehr schwierig für die Bauern. Aber ging es allen Peruanern so schlecht ?

- Natürlich nicht – Inti, der Klassenprimus, meldete sich. – In den Städten an der Küsten lebten die Menschen besser. Einige hatten sogar hausangestellte von den Anden und behandelten sie schlecht.

- Sie mussten zu ihren Arbeitgebern „Herr“ oder „Junger Herr“ sagen und sie mit „Sie“ anreden – wusste José Gabriel, und benutzte die entsprechenden spanischen Wörter.

- Ich habe das Museum der Apartheid im Badeort Asia, kurz vor Lima, besucht. Es war sehr interessant – wusste Sinchi zu berichten, einer der beiden Besucher aus Lima. Langsam und bedächtig kamen ihm die schweren Quechualauta von den Lippen. – Dort bekommen die Besucher eine Schürze angezogen, damit sie nachfühlen könne, unter welchen Bedingungen die Hausangestellten damals arbeiteten.

Alle Kinder schwatzen auf einmal laut los und erzählten davon, wie sie das letzte Mal ihre Sommerferien in Asia, camaná und Paracas verbracht haben. Schliesslich rief sie die Lehrerin wieder zur Ordnung:

- Haben Euch Eure Eltern auch von den staatlichen Schulen erzählt ?

- Meine Eltern mussten mehrere Stunden laufen, um zur Schule zu kommen, aber ich glaube , sie lügen. Bei der Kälte wären sie ja erfroren! – meinte Huascar.

- Meine Mama und Papa haben das auch erzählt – fügte Kusi hinzu – Gab es damals wirklich keinen Schulbus ?

- Dann wäre es doch besser gewesen, sie hätten zu Hause mit Internet gelernt – warf Cahuide ein.

- Dummkopf, damals hatte niemand Internet zu Hause – machte sich Inti lustig, und alle lachten laut los.

- Eine Frage noch – sagte Gabriela, das Mädchen aus Lima – damals gab es Privatschulen, oder so ähnlich. Was war das ?

- Dort haben die Leute bezahlt, damit ihre Kinder Unterricht bekamen – erklärte die Lehrerin. – Damals musstest Du auch für die Medikamente in den Gesundheitsposten bezahlen.

Jedes Mal, wenn sie davon erzählte, wurden die Kinder still und ihre Münder blieben vor Staunen offen. Niemand wollte laut sagen, was alle dachten. Schliesslich traute sich Atahualpa, zu fragen: - Und was passierte, wenn man kein Geld hatte ? – Niemand antwortete, weil alle die Antwort wussten.

- Was ich nicht verstehe – José Gabriel meldete sich wieder - , warum die Leute in Lima so viel Geld zum Fenster rauswarfen, wie man es in den alten Filmen sieht, und warum es ihnen egal war, dass die Leute hier vor Kälte oder vor Hunger sterben.

- Frau Lehrerin, wie kam es dass sich das geändert hat ? – wollte Kusi wissen.

- Warum werden wir heute alle als Menschen gleich behandelt ? – legte Huascar nach.

- Warum weinen Sie ? – Chaska sah, wie über die Wange der Lehrerin eine Träne lief.

- Kinder, ich weine, wenn ich daran denke, was wir alles zu erleiden hatten und niemanden kümmerte es.

Oder vielleicht weinte die Lehrerin auch, weil sie und ihre Schüler nur Teil einer erfundenen Geschichte sind und niemand weiss, ob diese einmal wahr werden wird.

(übersetzt von Hildegard Willer)

Erklärungen für den Leser und die Leserin, welche Peru nicht kennen:

Das staatliche peruanische Schulsystem ist extrem schlecht, ganz besonders auf dem Land. Die Schulhäuser auf 3000 – 4000 Meter Höhe sind kalt und zugig, und oft nicht mal mit dem Nötigsten ausgestattet. Die Lehrer sind schlecht bezahlt und viele erscheinen unregelmässig zum Unterricht. Wer immer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf eine Privatschule.

Obwohl ein Grossteil der andinen Landbevölkerung Quechua zur Muttersprache hat, wird dies in der Schule bis heute kaum unterrichtet. Quechua ist zwar offiziell zweite Landessprache, aber in der Hauptstadt Lima gibt es keine einzige Schule, in der peruanische Kinder Quechua lernen können. Kusi, Huascar, Ollanta, Chaska, Inti und Cahuide sind Quechua-Namen. Sehr wenige Kinder werden mit diesen Namen getauft.

Saga Falabella ist eine chilenische Kaufhauskette mit 3 oder 4 Filialen in Lima. In Sicuani, einer Kleinstadt von immerhin rund 30 000 Menschen, 3 Autostunden von Cusco entfernt, gibt es kein Kaufhaus.

Asia ist der Name eines elitären Badeortes südlich von Lima, bekannt durch seine rassistischen Praktiken gegenüber den indianischen Dienstboten. Im Januar diesen Jahres fand in Asia eine Protestaktion statt: rund 700 Männäer und Frauen verkleideten sich als Dienstboten und protestierten gegen die Diskriminierung.

Während ich diese Zeilen schreibe, sind die Menschen in Peru seit gut einer Woche auf den Strassen und protestieren gegen die Regierung. Obwohl die peruanische Wirtschaft ein seit Jahren anhaltendes Rekordwachstum aufzuweisen hat, deutet wenig darauf hin, dass aus unserer Geschichte bald einmal Wirklichkeit werden könnte.

martes, 26 de junio de 2007

Lindenstrasse peruanisch 1

"Hildegaaaar" tönt es laut unter meinem Fenster. Schon wieder meine Nachbarin. Hada heisst sie, ist das was man in Bayern eine gspinnerte Jungfer nennen würde, um die 50, spindeldürr, mit verschiedenen Wehwehchen und einigen Macken, aber sonst ganz nett. Vor allem aber versorgt sie mich mit News aus meinem Reihenhäuschen in der Vivanco-Strasse im Lima-Stadtteil Pueblo Libre. Da wir beide uns ein Haus mit zwei Wohnungen teilen, und die Verbindungstreppe zwischen den beiden immerhin bis zu meinem Fenster reicht, ist die Verbindung einfach durch Rufen und notfalls durchs Fensterln herzustellen. Besonders gerne erzählt mir Hada , was unsere anderen Nachbarn so treiben. Seit kurzem ist Brigitte (französisch ausgesprochen , "brischid") ins Häuschen gegenüber eingezogen. Das hatte davor ein junger Alkoholiker in Brand gesteckt, aus Frust dagegegen, dass seine Mutter ihn nicht aus dem Haus lassen wollte. Ich war zu dem Zeitpunkt auf Reisen, aber Hada hat es mir nachher klitzeklein erzählt, wie sie knapp dem Erstickungstod entgangen ist. Na ja, der Brandstifter bekam von unserem Vermieter den sofortigen Laufpass, und danach zog Brischid ein. Brischid ist so ungefähr das Gegenteil von Hada: eine üppige , grosse, etwas verblühte Schönheit Mitte Vierzig. Ausserdem bereits Grossmutter. Morgens um 10 Uhr sieht man sie in ihren Bademantel gekleidet manchmal dem Briefträger die Tür aufmachen. Also, Brischid und Hada haben sich sofort gefunden und haben mir ein gemeinsames Projekt vorgeschlagen. Es ist nämlich so, dass ich zu Hause einen Internet-Anschluss habe, und Brischid einen Anschluss für Kabelfernsehen. Ihr Vorschlag: ich solle Brischid an mein Internet lassen, und sie würde mir dafür ihr Kabelfernsehen geben. Das kommt billiger und ist in Peru gang und gäbe. Man hat nicht mal ein schlechtes Gewissen deswegen (ausser man lässt sich erwischen). Hada ist die Meldegängerin zwischen Brischid und mir: wann ich denn da sei, dann würde Brischid ihren Cousin schicken, der kenne sich mit Internet und Kabeln aus und der würde dann die neuen Kabel verlegen. Wir finden einen gemeinsamen Termin, der Cousin kommt, verlegt 50 Meter Kabel über verschiedene Dächer und voila: ich habe meine 92 Fernsehkanäle, fast gratis, und Brischid kann mit ihrer Tochter in den USA nun von zu Hause aus chatten. Unser erstes gemeinsames Projekt hat geklappt. Die nächsten warten schon : unser gemeinsamer Vermieter und unsere Katzen. Aber darüber mehr das nächste Mal.

miércoles, 20 de junio de 2007

Gletschergold


"Warmes Wasser? Das wirst Du hier kaum finden", lachte mir die Wirtin ins Gesicht und erklärte mir behutsam, dass ich froh sein müsse, wenn eine Herberge hier überhaupt Wasser habe. Ob fliessend, oder gar warm: das seien Ansprüche, die in La Rinconada zumindest nicht gälten. Wir sind schliesslich froh, als wir eine Unterkunft finden, die immerhin einen Eimer eiskalten Wassers zur Verfügung stellt.
La Rinconada, im Departament Puno in den peruanischen Anden ist nicht irgendein Ort. Er liegt auf 5400 Meter Höhe, der Schnee leuchtet wie in den Schweizer Alpen, und wenn sich jemand hier herauf wagt, so nur aus einem Grund: reich zu werden. In La Rinconada gibt es nämlich Gold. Es liegt zwar nicht auf der Strasse, sondern verborgen im Berg, aber mit Schaufel und Hacke, einer Ecke Dynamit und ein paar Decken gegen die Kälte bewaffnet, kann ein jeder hier sein Glück versuchen. Und das tun sie zu hauf. Jeder junge Mann aus der Umgebung, der Streit mit der Freundin oder dem Vater hatte, der in der Uni durchgefallen ist oder der mit dem Gesetz aneinandergeraten ist, scheint nach la Rinconada zu kommen und sein Schicksal herauszufordern. Nur so ist zu erklären, dass die kilometerlange Hauptstrasse von la Rinconada so dicht bevölkert ist wie der Einkaufsboulevard Jiron de la Union in der Haupstadt Lima. Drogerien mit den neuesten Duftwässerchen, Stände mit DVD-Raubkopien von Softpornofilmen und Handy-Shops wechseln sich ab. Mitten auf der Strasse, direkt über dem offenen Abwasserkanal werden auf Tischen frisches Fleisch, Säfte und gebratene Spiesschen angeboten. Die klirrend kalte Luft ist erfüllt mit dem Sound der momentanen Anden-Volksmusik-Königin. Das Gemisch von Tönen und Düften und Kommerz kann aber den Hauptduft des Ortes nicht verdecken. Die Kälte von La Rinconada stinkt. Der Gestank begleitet einen auf Schritt und Tritt. 20 000 Menschen sollen hier auf 5400 Meter Höhe leben, und es gibt keinen einzigen Wasser- oder Abwasserkanal. Wasser wird von einigen Wasserverkäufern in selbstgebastelten Plastikschläuchen direkt vom Gletscher herunter in Tanks geleitet, und dort zu 10 Cents pro 5-Liter-Kanister verkauft. Wenn man eine Ahnung bekommen möchte, wie eine Welt voller Handys und Fernseher und Internet, aber ohne Wasser - also unsere kommende Welt - aussieht, der kann sich in Rinconada ein Bild davon machen. Denn La Rinconada ist eine Kleinstadt, die offiziell gar nicht existiert. Die in der peruanischen Gemeindestatistik die Grösse und das Budget eines Weilers hat, in Wirklichkeit jedoch ein brodelndes Wirtschaftszentrum darstellt.
Flor María Chambilla stört das nicht weiter. Die 19-jährige Aymara-Indianerin aus dem 8 Busstunden entfernten Chucuito hat ihr 7-monatiges Baby auf dem Schoss und sitzt hinter ihrem Verkaufsstand am Ende der Hauptstrasse. Zwei Räume haben sie in ihrer selbstgezimmerten Hütte: den Verkaufsraum und einen Wohnraum dahinter. Ein Bad oder WC? Flor María lacht schon wieder, ein wenig verschämt: "Schau mal hinter die Hütte". Ein Blick genügt um eine Müllhalde zu sehen, so weit das Auge reicht. Warum sie denn hier sei und es in dieser Kälte den ganzen Tag aushalte, frage ich sie. "Halt wegen des Geschäfts. So rund 100 - 150 Dollar Gewinn mache ich schon jeden Monat mit dem Verkauf von Lebensmitteln". Das ist auch in Peru nicht viel, aber ganz sicher mehr Bargeld, als Flor María jemals mit der Feldarbeit auf dem heimischen Acker verdient hat. Ihr Mann, etwa gleichaltrig und im Gegensatz zur pummeligen Flor María spindeldürr, verzieht mürrisch das Gesicht, als ich ihn Frage, ob er in die Mine gehe und wieviel er da verdiene. "Kaum was", kommt ihm zwischen den Lippen hervor. Nicht das erste Mal, dass ich diese Antwort hier höre. Die Antwort auf die Frage, wieviel man denn als informeller Bergmann in La Rinconada so heraushole, wird besser gehütet als ein Staatsgeheimnis.
Auch Donha Fortunata Quispe, eine Matrone und seit Jahren Goldaufkäuferin in La Rinconada, jammert über den ausbleibenden Verdienst. In zwei Decken gewickelt sitzt sie hinter dem Tresen, vor sich die Präzisionswaage und zwei Zangen, mit denen sie die Nuggets der Goldgräber gekonnt reinigt und abwiegt. 2,2 Gramm bringt ein Kunde und erhält dafür 130 Soles, umgerechnet rund 35 Euro. Das sei sein Wochenverdienst, sagt er . Und seine Ehefrau nickt dazu. " Die ganze Familie wartet schon auf das geld, um die Schulden zurückzuzahlen", meint Donha Fortunata trocken. Hinter ihrer Waag stehen drei Bunsenbrenner. Mit denen wird sie später die Goldbröckchen vom Quecksilber befreien. Das hochgiftige Quecksilber verflüchtigt sich dann über einen Kamin direkt in die Luft und setzt sich als Kondenswasser dann wieder über la Rinconada ab. Nicht gerade das Gesündeste,würde man sagen. Lohnt sich das alles für 35 Euro wöchentlich ? Denn nicht zu vergessen ist die Schufterei: die Stollen sind nicht mal mannshoch, die Sprengungen und Bohrungen fordern immer wieder Verletzte und Tote. Wenn dann der Bergmann seinen Goldschutt aus der Mine herausgeholt hat, muss er ihn mit Quecksilber vermischen, in sogenannten "Quimbeletes" - Mahlsteinen, mahlen. Nach mehreren Waschgängen bleibt Ein Gold-Quecksilberbröckchen im Tuch zurück. Das restliche Quecksilber wird in einer Tasse aufgefangen für den nächsten Mahlgang, oder einfach in die Natur weggeschüttet. Die Lagune, die unterhalt von La Rinconada liegt, ist denn auch ein reiner Quecksilbersee. Kein Fisch kann darin mehr leben.
"Die informellen Bergleute haben mehr Geld gemacht als ich und Du zusammen", meint schliesslich Oscar Medina. Er ist Oberingenieur bei der "Corporación Ananea", dem peruanischen Unternehmen, das als einziges die staatliche Konzession besitzt, in La Rinconada nach Gold zu schürfen. Nur dass neben den 200 Arbeitern der "Corporación", wie alle das Unternehmen nennen, mindestens 5000 Bergleute auf eigene Faust und ohne Erlaubnis das selbe tun . "Die informellen Bergleute waren schon da, als das Unternehmen vor 10 Jahren die Konzession abkaufte und wir haben ihnen schliesslich ein Schürfgebiet überlassen", meint Medina. Dies sei letztlich einfacher gewesen, als die Informellen immer wieder rauszuschmeissen, nur damit sie nach ein paar Tagen wieder kämen. So hat man sich eben arrangiert. Gold ist schliesslich genügend da. Heute deklariert das Konzessionsunternehmen 10-15 kg Gold pro Monat, während die informellen schätzungsweise 180 - 200 Kilogramm aus dem Berg holen. Bei einem Preis von 20 000 Us-Dollar pro Kilogramm Gold, ergibt das einen stolzen Betrag für die armen Bergleute.
Oscar Medina hat in 30 Jahren Berufserfahrung als Bergbauingenieur schon viel gesehen. La Rinconada ist dennoch was ganz Besonderes für ihn: "La Rinconada ist der Gipfel der Informalität in Peru. Hier leben 20 000 Menschen und es gibt nicht mal einen Polizisten."

Dass nicht alle , die in La Rinconada ihr Glück versucht haben, Hungerleider geblieben sind, sieht man am Dorffest von San Antonio de Putina. Putina ist 4 Stunden Busfahrt von La Rinconada entfernt, die ersten Bergleute die damals vor 30 Jahren nach Rinconada hoch gingen, waren aus dem Dorf. Heute ist Jahrestag der Gründung Putinas, und alle Vereine und Gemeinschaften defilieren vor den Honoratioren des Dorfes. Die Bergleute von Rinconada dürfen da nicht fehlen. In ihren besten Sonntagsanzügen gewandet lassen sie die erste Bierflasche am frühen Morgen kreisen, wie das in Putina bei den Festen so üblich ist, und erzählen davon, wie ihr Aufstieg vom jungen Goldgräberbuben zum ehrbaren Bergbauunternehmer verlaufen ist. Don Fredy Mamani ist der Vorsitzende der drei in La Rinconada funktionierenden Bergbaugenossenschaften. "In all den Jahren haben wir informellen Bergleute uns organisiert in Genossenschaften und haben Verhandlungen mit dem Bergbauunterhmen aufgenommen" De facto sind der rund 50-jährige Fredy Mamani und seine gleichaltrigen Mitstreiter heute bereits die Herren von La Rinconada und bestimmen darüber, wer in ihren Stollen nach Gold graben darf und wer nicht. Die Bedingungen für die Neudazugekommen sind einfach: 20 Tage gräbst Du für den Chef, und 4 Tage darfst Du für Dich selbst graben. "Cachorreo" nennt sich dieses System, benannt nach dem Rest Dynamit, der bei Sprengungen übrigbleibt, und den die Bergleute benutzen, um für sich selbst im Berg noch mal nach Gold zu schürfen. Fredy Mamani und seine Genossenschafter haben heute Häuser in der nächsten Stadt Juliaca, ihre Söhne studieren an der Uni - und ihre Väter haben den Wunsch, nicht nur reich, sondern endlich auch ehrbar zu werden. Und dies bedeutet, nicht mehr als illegale Bergarbeiter sozusagen "wild" zu graben, sondern auch vor den Augen des Staates und Limas und vor allem, was in Peru etwas zu sagen hat, anerkannt zu sein. "Wir sind dabei, die Mehrheitsanteil an der Corporación Ananea zu erwerben", sagt Fredy Mamani stolz. Wird er, der ehemals wilde Goldgräber, also nun Chef des Ingenieurs Medina werden ? Genau, lachen die Bergbaugenossenschafter und lassen sich in ihrem besten Staat ablichten, bevor der Heilige Antonius und das Bier an jenem Festtag endgültig die Herrschaft in Putina übernehmen.

Fredy Mamani und seine Genossenschafter haben es geschafft. Auf die Frage, ob sich die jahrelange Plackerei im Eis gelohnt habe, nicken sie behende. Dass sie sich mit der Formalisierung auch staatliche Umweltauflagen und Sicherheitsbestimmungen einhandeln, und dass sie von der Corporación Ananea nicht nur die Ehrbarkeit sondern auch einige Gläubiger erben werden, das ist ihnen vielleicht noch gar nicht so bewusst. Oder sie hoffen, der hohe Goldpreis wird´s schon richten. Schliesslich ist La Rinconada eine andere Welt, in der sich kaum jemals ein staatlicher Abgesandter sehen lässt.

Ich packe derweil meinen Rucksack in la Rinconada zusammen. Geschlafen habe ich in dem Holzverschlag kaum: die ganze Nacht lief lauteAndenvolksmusik aus der benachbarten Disco. Und morgens früh um 6 Uhr begannen die Frauen direkt vor der Zimmertür Unmengen von Kartoffeln und Forellen in Plastikbottichen zu waschen. Die Kälte sitzt in den Knochen und verlässt mich keinen Moment, die dünne Luft saugt mir den Sauerstoff aus den Lungen. Ich habe genug gesehen. Um 6 Uhr abends sitze ich im Bus nach Juliaca, der informellen Schmugglerhaupstadt Perus und , wegen ihrer Kälte auch die "Stadt des Windes" genannt. Bis dahin hatte ich das auf 4000 Meter Höhe gelegene Juliaca immer für die hässlichste Stadt Perus gehalten (die Juliaquenhos mögen mir dies verzeihen). Noch nie war mir Juliaca so tropisch und ordentlich erschienen als bei meiner Abfahrt von La Rinconada.

domingo, 17 de junio de 2007

Vom Expedientinnendasein einer Gastarbeiterin

Seit zwei Wochen ist meine Identität um eine Schublade reicher geworden: ich bin eine Expedientin. So sagte mir die Studentin aus München, die mich über mein Expedientinnendasein in Lima interviewen wollte. Eine Expedientin, so erklärte sie mir, habe nichts mit Post und Paket oder gar Behörden zu tun und ich sei auch keine Aktennummer- das bedeutet "expediente" nämlich im spanischen - sondern bezeichne Menschen wie mich: Menschen, die nicht in ihrem Geburtsland leben, sondern freiwillig, in einem anderen Land ihren festen oder vorübergehenden Wohnsitz haben. So wie ich, die ich als gebürtige Deutsche, seit 8 Jahren in Peru lebe. Eigentlich würde ich mich selbst eher als Gastarbeiterin sehen - so wurden vor Jahren die Ausländer, die nach Deutschland kamen, genannt: Gäste, die zum arbeiten kommen. Heute hört man den Begriff in Deutschland selten, anscheinend hat niemand mehr den Anspruch, ausländische Mitarbeiter als Gäste zu sehen. Schade, ich finde den Begriff "Gastarbeiter" nämlich schöner als den leblosen Begriff "Expedientin". Und aus peruanischer Sicht drückt er durchaus eine Wirklichkeit aus. Ich werde als Gast behandelt und bin zum arbeiten da.
Warum ich denn als Gastarbeitern, sorry - Expedientin - , in Peru wohne und zwar schon seit 8 Jahren, werde ich dann gefragt. Eine gute Frage, die ich mir auch oft stelle. Wollen doch 7 von 10 peruanischen Jugendlichen nichts als möglichst schnell weg von hier und ihr Glück im hohen Norden suchen. Letztlich finde ich darauf nur eine Antwort: ich habe mich in Peru noch keine Minute gelangweilt und es ist nicht vorherzusehen, dass sich dies so schnell ändert. Und das ist doch ein guter Grund für ein Expedientinnendasein, nicht wahr ? Was es denn hier in Peru so Aufregendes gibt, das erfahrt Ihr, liebe Leserinnen und Leser, in den nächsten Wochen und Monaten in diesem Blog. (hw)