miércoles, 25 de junio de 2008

Wellness-Pastoral

Oder: peruanische Strategien gegen den Mitgliederschwund in der katholischen Kirche


(Foto: Martin Steffen)

Paula Bermúdez ist eine kräftige Frau. Wenn sie an meinen Füssen herumdruckt, möchte ich manchmal am liebsten losschreien. Das seien meine verspannten Meridiane, antwortet sie mir fröhlich. Und während sie sanft, oder auch weniger sanft, meine blockierten Energiezonen wieder öffnet, erzählt sie mir aus ihrem Leben. 48 Jahre alt ist sie, Mutter eines erwachsenen Sohnes, der eben seine Ausbildung als Hebamme abgeschlossen hat. Paula wohnt in einer der grossen Armensiedlungen Limas und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit Fussreflexzonentherapie. Genauso geschickt, wie sie meine Füsse massiert, bringt sie das Gespräch auf mich: was ich mache, wie mein Privatleben sei, ob ich glücklich sei. Ob ich an Gott glaube. Schnell sind wir beim Thema Kirche und Theologie und Paula hält mir einen langen Vortrag über die Bedeutung der Marienverehrung in der Alten Kirche. Paula ist Laienmissionarin, katholisch, wie sie betont. Das muss man in Peru inzwischen dazusagen. In den letzten 40 Jahren erlebt die katholische Kirche in Lateinamerika einen steten Mitgliederschwund. Vor kurzem galt Peru noch als gut katholisches Stammland, das manche Bischöfe als ihren Feudalbesitz ansahen. Heute geht selbst die peruanische Bischofskonferenz nur von 80% Katholiken in Peru aus. Es ist aber keineswegs so, dass die restlichen 20% nun vom Gottglauben abgefallen sind. Die meisten der abtrünnigen Katholiken finden in evangelikalen Kirchen eine neue Heimat. "Asamblea de Dios", "Alianza Misionera", oder "Kirche Jerusalems", heissen die kleinen bis grösseren evangelischen Kirchen. Ihnen gemein ist, dass sie mit ihren engagierten Laienmissionaren bis ins hinterste Armenviertel gelangen und dass man gegen ihre Bibelargumentation gemeinhin als Katholik nicht ankommt.



( Foto: Martin Steffen)

Das hat auch Sebastián Abanto am eigenen Leib gespürt. Der 54-jährige Schreiner und Familienvater ist ebenso wie Paula Bermúdez Mitglied der Gruppierung "Servicio bíblico Católico", einer katholischen Bibelgruppe in der Diözese Chosica im Osten Limas.
"Meine Frau stammt aus einer evangelikalen Familie, und ich habe nicht weniger als 4 evangelische Pastoren in der Familie. Jede Woche beten sie dafür, dass ich mich auch bekehre", erzählt Walter. Aber Walter Abanto ist sturköpfig. Von seinem katholischen Glauben will er nicht ablassen. Damit er der Wucht der evangelikalen Bibelüberzeugung etwas entgegensetzen kann, ist er Mitglied der "Servicio Bíblico Católico" geworden. 120 Mitglieder hat die Gruppe, sie treffen sich wöchentlich in einem bescheidenen Backsteinraum im Viertel Zárate, und finanzieren ihre Bibelaktivitäten mit Fussreflexzonenmassage. Vor allem aber gehen sie bei der evangelikalen Konkurrenz in die Lehre und kopieren deren Strategien: " Die Evangelikalen haben deswegen so viel Erfolg, weil sie zu den Leuten gehen und weil sie die Menschen von sich erzählen lassen", erklärt Paula. "Die Versammlungen der Evangelikalen sind sehr herzlich und sie geben Dir das Gefühl, dass sie Dir zuhören". Genau dieses herzliche Miteinander und Sich-gegenseitig-Kümmern würden sie in ihrer Gruppe auch leben.

(Foto: Martin Steffen)

Paula, Walter und die anderen Gruppenmitglieder haben sich also in Theologie und Bibelkunde gebildet - unter anderem mit Hilfe der Theologiekurse der Diözese Chosica - und gehen nun selbst als Strassenmissionare von Haus zu Haus. Als katholische Missionare wie sie betonen. Woran es denn liege, dass die katholische Kirche an Attraktivität verliere ? Walter und Paula haben einige Antworten parat: die katholischen Priester seien vielmals mehr mit der Verwaltung ihrer Sozialwerke beschäftigt und hätten keine Zeit, sich wirklich um die Menschen zu kümmern; oder Priester, die alles selbst machen wollen und nichts an Laien (also Nicht-Priester) delegieren. Oder, dass manche Priester und Bischöfe sich als was besseres fühlen würden, und nicht wollten, dass sich die "einfachen" Katholiken ebenfalls weiterbilden und Aufgaben übernehmen.

Nach 20 Minuten unter Paulas Händen, sind meine Reflexzonen gelockert und ich empfinde mich fast als neu bekehrte Katholikin. Auch wenn ich einige Ratschläge Paulas zu meinem liberal-katholischen Lebenswandel denn doch zu eng finde, so empfinde ich doch grossen Respekt vor ihrem Engagement und ihrem katholischen guten Menschenverstand.

In diesen Tagen diskutieren die lateinamerikanischen Bischöfe in Rom, was sie gegen den Mitgliederschwund ihrer Kirche unternehmen können. Vielleicht sollten sie sich einfach mal die Schuhe ausziehen und sich von Paula ihre Meridiane öffnen lassen.....

lunes, 2 de junio de 2008

Volksgericht II








Die Fotos sprechen für sich. Sie zeigen ein echtes - kein symbolisches - Dorfgericht in einem Andendorf, rund 10 Busstunden von Cusco entfernt. Der junge Mann wurde beim Stehlen erwischt. Zur Strafe muss er im Watschelgang, halbnackt und mit einem Schild bedeckt "Ich bin ein Dieb aus dem Dorf Vista Alegre" mehrmals die Runde machen, an den Dorfbewohnern vorbei, die einen Kreis gebildet haben. Der "Gerichtspräsident" fragt, ob jemand etwas zu Gunsten des Angeklagten vorbringen könne. Ein Cousin des jungen Burschen spricht darauf hin. Anschliessend berät ein Ältestengremium. Am wahrscheinlichsten sei, so erklärte mir mein lokaler Begleiter, dass der Junge ausgepeitscht werde zur Strafe.
Selbstjustiz oder auch indigene Justiz ist ein wichtiges Thema in Peru. Da die Justizbehörden nicht in allen Dörfern erreichbar sind, oder aber der Korruption bezichtigt werden, greifen viele Menschen in den Anden zur Selbstjustiz. Dabei kann es auch zu Morden kommen - wie es in der Kleinstadt Ilave vor 5 Jahren der Fall war. Für die Menschenrechtsgruppen ist die Selbstjustiz ein schwieriges Thema, vor allem wenn die kulturelle Komponente im Spiel ist: das Recht auf kulturelle Eigenständigkeit trifft auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit.