viernes, 16 de mayo de 2008

Gegen-Gipfel





Während die Regierenden im abgeriegelten Nationalmuseum tagen, trifft sich das Volk auf dem Gelände der Technischen Hochschule in Lima. So zumindest steht es im Programm: Cumbre Social des los Pueblos - Sozialgipfel der Völker. Halt, die Gleichung geht nicht ganz auf. Sind doch die Staatsoberhäupter, die sich treffen, schon längst keine bösen Diktatoren mehr, sondern rechtmässig vom Volk gewählte Demokraten. Wer also ist dieses Volk, das sich da an der Technischen Uni ein Stelldichein gibt ? Es seien die Verlierer, sagte heute der peruanische Premier Jorge del Castillo im Fernsehen. Er meinte damit die Verlierer der letzten Präsidentschaftswahlen in Peru, vor allem der kleinen linken Parteien.Dabei liegt del Castillo nicht ganz falsch. An der Technischen Hochschule treffen sich diejenigen, die sich als Verlierer sehen bzw. den Anspruch erheben, deren Interessen zu vertreten. Allerdings nicht als Verlierer der letzten Wahlen, sondern als Verlierer des herrschenden Wirtschafts-Modells: Verlierer der Globalisierung, Verlierer des Freihandels, die Verlierer einer monokulturellen Modernisierungsstrategie. Die Verlierer, die es eigentlich in den Augen der peruanischen Regierung nicht geben dürfte. Die meint nämlich, dass dank des Freihandels und der grosszügigen Förderung von Auslandsinvestitionen Entwicklung und Wohlstand für alle eintrete.

Wer ist das nun konkret, die damit nicht einverstanden sind: Indianervölker aus ganz Peru; Dorfgemeinschaften aus Orten, an denen Gold abgebaut wird oder Erdöl gebohrt wird; globalisierungskritische Studierende aus Lateinamerika und Europa; Angehörige aller möglichen linker Splittergruppen; Frauenorganisationen; lokale und regionale Umweltschutzinitiativen; Frauen, die ihre selbst hergestellten Handarbeiten vertreiben; Gewerkschafter; Journalisten alternativer Medien; peruanische Nicht-Regierungsorganisationen und Vertreter europäischer Hilfswerke und Basisgruppen wie attac. Alles in allem ein recht buntes und mit 4000 eingeschriebenen Teilnehmern auch zahlreiches Volk. Bunt schon allein deswegen, weil die Vertreter der indigenen Völker in ihren Trachten erschienen sind. Bunt auch wegen der Fahnen, die allenthalben herumgetragen werden. Sei es die Wiphala, die alte Inka-Fahne, sei es eine Fahne mit der Ikone "Che" oder mit Sprüchen wie "Nieder mit dem Imperialismus". Besonders auffallend an diesem Gegen-Gipfel: die grosse Präsenz indigener Gruppierungen, von lokalen Initiativen, die die Wiederaufwertung ihrer indianischen Kultur fordern.

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die Geschicke ihrer Länder nicht einfach ihren gewählten Vertretern überlassen wollen. Neu ist das nicht. Die sogenannten Gegen-Gipfel oder Alternativgipfel haben bereits Tradition. Kein Treffen von Regierungschefs, ohne Alternativgipfel und Demonstrationen. Pikant wird das ganze dann, wenn es Grenzgänger unter den Präsidenten gibt. Das ist in Lateinamerika der Fall: der bolivianische Präsident Evo Morales und sein venezolanischer Kollege Hugo Chávez pendeln regelmässig zwischen offiziellem und alternativem Gipfe hin und her. So auch beim Alternativ-Gipfel in Lima.
Während der linke Europa-Abgeordnete Helmut Markov auf einem Podium unter freiem Himmel die Lateinamerikaner dazu aufruft, ja kein Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnen sollen, wächst und wächst hinter ihm eine Menschenschlange. Männer, Frauen, Junge, Alte, ob es da was zu essen gibt ? Beileibe nein. "Wir stehen für das Fussballspiel an", erzählt Juan, der mit seinem Sohn gekommen ist. Um 6 Uhr ist nämlich ein besonderes Match angesagt: der bolivianische Präsident Evo Morales höchstpersönlich wird gegen die Altherren-Nationalelf Perus kicken. "Vor allem möchte ich ein gutes Match sehen", sagt Juan. Das Gerücht besagt, dass auch Maradona und vielleicht sogar Hugo Chávez mitspielen würden. Der spielt zwar nur Baseball, wird aber dennoch feste verteidigt: "Deine Kanzlerin Angela Merkel hätte ihn halt nicht angreifen sollen, sie hat sich nicht als Staatdame gezeigt", meint Juan zu den Ausfällen von Hugo Chávez gegen Angela Merkel.

Maradona kam übrigens nicht zum Match, Hugo Chávez auch nicht. Dennoch war Hochstimmung und Evo Morales brachte sogar einen Elfmeter ins Tor, bevor er wieder seine offizielle Inka-Leder-Jacke anzug und zum Präsidentengipfel fuhr, um seine Amtskollegen standesgemäss zu begrüssen.

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