domingo, 27 de octubre de 2013

Der Tod des Clowns



Eine Vorzeigemine sollte es sein, das Kupferbergwerk Tintaya Antapaccay des Schweizer Rohstoffkonzerns X-Strata im peruanischen Hochland. Dennoch kamen bei gewaltsamen Protesten gegen die Mine im Mai 2012 drei Menschen ums Leben. Was lief falsch ?

Am 27. Mai 2012 war Walter Sencia aus dem peruanischen Espinar zur falschen Zeit am falschen Ort. Der 24-jährige hatte  am Protestmarsch gegen die Kupfermine Tintaya teilgenommen. Eine verirrte Kugel, wahrscheinlich aus den Reihen der Polizei, traf ihn tödlich. „Dabei hat sich Walter doch gar nicht für Politik interessiert“, schluchzt die hochschwangere Witwe, selbst erst 20 Jahre alt, drei Monate später und zeigt ein leicht unscharfes Papierfoto, auf dem der Verstorbene im Clownskostüm eine Kindergruppe in Bann haelt. Walter Sencia hatte seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht als Clown bei Kindergeburtstagen verdient.
Die wenigsten Peruaner waren jemals in Espinar. Die gleichnamige Provinz mit ihren 72 000 Bewohnern liegt aufeiner Hochebene auf 4000 Meter innerhalb des Departaments Cusco, weit entfernt vom Touristentempel Macchu Picchu. Die Luft ist dünn, der Wind kalt, die Sonne gleissend,  die Erde karg und baumlos, die Stadt selbst gelb-grau. Nur  der Himmel scheint so tiefblau, als ob er für alle Unbill der Natur  entschädigen muss.  In Espinar zu leben ist hart. Es könnte etwas angenehmer werden durch die Ansiedlung einer grossen Kupfermine, hofften viele.
Seit 30 Jahren wird vor den Toren Espinars Kupfer abgebaut. Zuerst durch den peruanischen Staat, dann durch eine australische Firma, seit 2006 ist die Mine Tintaya Antapaccay im Besitz des Schweizer Rohstoffkonzerns X-strata.   X-strata rühmt sich seiner vorbildlichen  Sozial- und Umweltstandards im allgemeinen, und in Espinar ganz besonders. Von der Vorgängermine übernahm X-strata die freiwillige Selbstverpflichtung, mittels eines Rahmenvertrags mit der Gemeinde 3% des Gewinns fuer  Entwicklungsprojekte in  Espinar zur Verfuegung zu stellen. Immerhin 70 Millionen US-Dollar sind damit in den letzten 10 Jahren zusammengekommen.
“Auf  unser Schulprojekt sind wir richtig stolz”, sagt Marco Santos, bei Xstrata Copper zuständig für die Beziehungen mit der lokalen Bevoelkerung .   Die Ausstattung des  Zentrum für schulische Ressourcen würde  jeder Schweizer Dorfschule Ehre machen:  Indianermädchen in blauen Trainingsanzügen sprechen im Sprachlabor konzentriert die englischen Worte nach, die der Beamer an die Wand projiziert. Im Chemielabor stehen die neuesten Apparate, um den Kindern von Espinar die Grundzüge der Physik und Chemie beizubringen.  Der Raum für Frühförderung ist der  Traum jeder Heilpädagogin.  In dieses Zentrum kommen alle Schulklassen aus Espinar wochenweise, um mit gezieltem Zusatzunterricht die defizitäre staatliche Schulbildung zu ergänzen.  Gebaut wurde das Zentrum mit Geldern aus dem Rahmenabkommen,  das die Mine Tintaya Antapaccay mit der Provinz Espinar geschlossen hat.  Gebaut und gefuehrt wird das Projekt von der  „Tintaya-Stiftung“.

Genau diese ist das Problem. Die firmeneigene Sozialstiftung ist für die Durchführung der Projekte aus dem Rahmenabkommen zuständig.  Das Schulprojekt CREE zeugt für ihre Effizienz. Dennoch hat sich der Zorn der protestierenden Bevölkerung Ende Mai gegen die Stiftung Tintaya gerichtet. „Mine raus“ steht auf dem ausgebrannten Gebäude  der Stftung in Espinar.  Es scheint, Effizienz alleine genügt  in Espinar nicht, um geliebt zu werden.
Für Oscar Mollohuanca ist  die Mine ein Segen und ein  Fluch zugleich. Der  kleine Mann mit der Nickelbrille gehoert einer linken, bergbaukritischen Partei an und ist schon zum zweiten Mal von der Bevoelkerung Espinars zu ihrem Bürgermeister gewaehlt worden.  Nun residiert er in einem fünfstöckigen neuen Stadtpalast mit verspiegelter Glasfassade, wie sie dank der neuen Steueraufkommen aus dem Bergbau viele Andendörfer schmücken. Bei der Aushandlung des neuen Rahmenvertrages zwischen Gemeinde und Mine  ist das Gebahren der  Tintaya-Stiftung bis heute ein strittiger Punkt. „Die Mine benutzt die Stiftung, um politische Arbeit zu machen, und soziale Kontrolle auszuüben“, klagt Mollohuanca an.

  Mit gezielten Projektvergaben wuerden sie Bauern gefuegig machen und zum Beispiel dazu bringen, von Klagen wegen Umweltverschmutzung abzusehen. Er fordert, dass die mit Geldern aus dem Rahmenabkommen errichteten Projekte in die Hände der Provinzverwaltung übergehen, und dass die Stiftung ihre Arbeit einstelle.   Vielen Menschen in Espinar scheint die Macht der Mine suspekt zu sein: nicht nur, dass sie das grösste Wirtschaftsunternehmen im weiten Umkreis ist;  nun macht sie auch noch in Sachen Entwicklung.  Was bleibt da noch fuer einen Buergermeister zu tun uebrig ?
Die Mine ist gezwungen, sich das Wohlverhalten der Bevoelkerung zu erkaufen, weil sie gerade das nicht bieten kann, was man traditionellerweise von einem Wirtschaftsunternehmen erwartet: Arbeitsplätze. Ein Besuch in der Mine Tintaya macht deutlich, warum es eher unwahrscheinlich ist, dass die Indianermaedchen, die im Schulzentrum der Mine Englisch bueffeln, dort einst auch Arbeit finden werden. Überlebensgrosse Lastwagen und ebenso gigantische Schaufelbagger graben die Erde Tag und Nacht um. In der Hüttenanlage reichen drei Ingenieure am  Kontrollstand aus, um die ganze Kupferproduktion instand zu halten.  Der moderne Bergbau funktioniert mit vielen Maschinen und wenig Menschen. Die wenigen Arbeitskraefte findet er nicht in Espinar, sondern in den Städten Lima, Arequipa, Cusco, wo  Ingenieure ausgebildet werden.  70% der Arbeitskraft in der Mine soll laut Rahmenvertrag  aus Espinar stammen. Bisher sind es 35% - und auch das nur, weil  für den Aufbau der  neuen Mine Antapaccay temporäre Bauarbeiter gebraucht werden.
In Espinar misstrauen die Menschen jedoch nicht nur der Mine, sondern ebenso  ihrem aus der Hauptstadt gefuehrten Staat. Der, so ihre Verdacht, wuerde nicht etwa gemeinsame Sache mit seinen Buergern in Espinar, sondern mit der Mine machen. Der Verdacht ist nicht immer von der Hand zu weisen.
Ein paar Kilometer ausserhalb der Stadt lagert die Mine Tintaya  ihren Abraum in einem Staubecken. Ein Damm verdeckt den Blick darauf, man sieht nur einen  Bewaesserungskanal, der ein Rinnsal fuehrt.


 Das sei  verseuchtes Sickerwasser aus dem Abraumsee, klagen die Bauern trotz aller gegenteiliger Beteuerungen Tintayas. Die Bauern  haben hier ein paar Kuehe oder Schafe, bauen Kartoffeln und Quinoa fuer den Hausgebrauch an. Ein paar Jungen binden Stroh und bringen es mit ihrem Fahrrad weg. Einen Traktor haben die wenigsten. Mitten in der menschenleeren Landschaft tauchen auf einmal zwei Polizisten auf und verwehren den Bauern den Zutritt. Im Auftrag der Mine bewachen sie deren Gelaende. Der peruanische Staat erlaubt, dass seine Polizisten in ihrer Freizeit und in offizieller Uniform mit privaten Wachdiensten ihr schmales Staatssalaer aufbessern . In der Mine Tintaya gab es sogar einen Polizeiposten innerhalb des Firmengelaendes. Fuer die Bevoelkerung in Espinar ist der Anblick der Polizisten im Dienst der Mine ein weiterer Beweis dafuer, dass ihre Staatsmacht in der Hauptstadt Lima mit den grossen Bergwerksbesitzern  gemeinsame Sache macht.
Die Bergbauunternehmen haben in den letzten Jahren  wohl riesige Fortschritte in ihrem Umweltmanagement gemacht, aber im Management ihrer sozialen Beziehungen stehen sie erst am Anfang. Das sagt Jaime Amezaga von der britischen Universitaet Newcastle. Er  ist Umweltexperte fuer Bergbau und hat in Bergbaukonflikten in Europa und Lateinamerika als Berater gearbeitet Auch in Espinar ist er taetig.  Das Grundproblem, so sagt der gebuertige Spanier, seien nicht die Gesetze oder die  fehlenden Umwelttechnologie, sondern das Misstrauen zwischen den Parteien.
 Der Grat hin zu mehr Vertrauen  ist schmal. Setzt die Mine zuviel eigenmaechtige Sozialprojekte um, untergraebt sie den an sich schon schwachen Staat und schuert Widerstand.  Setzt sie auf den Staat als Entwicklungstreiber,  kann sie keine eigenen und vor allem keine schnellen Erfolge fuer die lokale Bevoelkerung vorzeigen, der versprochen wurde, von der Mine wuerden alle profitieren. Der einzige Ausweg  aus dem Dilemma heisst Dialog und  Respekt.

Oscar Mollohuanca leitet eine weitere Sitzung des Runden Tisches, der einberufen wurde, nachdem der Konflikt im Mai eskalierte. Alle sind sie da: die Bergwerks-Manager in dicken Daunenanoraks; die Distriktsbuergermeister in Anzug und Krawatte; die Beamten der Stadtregierung; Baeuerinnen in ihrer farbenfrohen Tracht und ihre Maenner mit schwieligen Haenden; Beamte aus der Hauptstadt, die dreinschauen, als ob sie gedanklich noch oder schon wieder in Lima sind. Es geht hoch her. Die Bauern fordern die Schliessung der Tintaya-Stiftung. Die Mine will ihre Projekte zuerst nicht aus der Hand geben. Schliesslich ein kleiner Schritt nach vorn,  die Vertreter der Mine gestehen zu, ihre Stiftung grundlegend zu reformieren.
Der jungen Witwe des Clowns Walter Sencia und den Angehoerigen der beiden anderen Toten der Proteste bietet Xstrata eine Entschaedigung von insgesamt  150 000 Euro an.  Die Moerder sind weiterhin unbekannt.

Hildegard Willer 

Nachtrag: obiger Text stammt vom Oktober 2012. Heute, ein Jahr später, ist der Konflikt immer noch nicht beigelegt. Die breit angelegte, partizipative Umweltprüfung unter Federführung des Umweltministeriums erbrachte zwar Messergebnisse, die an einigen Punkten die Grenzwerte eindeutig überschreiten. Es herrscht jedoch keine Einigung, wer der Verursacher der Verschmutzung ist. Der Bürgermeister von Espinar, Oscar Mollohuanca, ist weiterhin in Ica - mehrere Hundert Kilometer entfernt von seinem Heimatort - vor Gericht angeklagt. Die Fundación Tintaya  wurde aufgelöst.

sábado, 19 de octubre de 2013

Radio-Reportage ueber Gold-Schuerfer in den peruanischen Anden

Unter folgendem Link findet Ihrdie Radio-Reportage von Bettina Rehmann und mir


Gutes Essen und Hunger in den Anden


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Wenn die Frauen aus Chihuani, Combaya oder einem der Nachbardoerfer im bolivianischen Hochland ihre farbigen Wolltuecher auf den Boden legen und das mitgebrachte Essen zum gemeinsamen „aptapi“  ausbreiten, duerfte jedem gesundheitsbewussten Vegetarier das Wasser im Munde zusammen laufen: organisch angebaute Kartoffeln, in einer Auswahl von mindestens vier Sorten, von der lilafarbenen Huayra bis zur Peruanita; die Andenwurzel Ragacha – eine perfekte Mischung von Karotte und Kartoffel;  gefriergestampfte Chunhos, die der Andenbevolkerung auch ueber eine Trockenzeit ohne Ernte hinweghelfen, duerfen auch nicht fehlen.

Dazu handgemachter Kaese,  fingerkuppengrosse saftig gelbe gekochte Maiskoerner, daumengrosse Saubohnen und eine frisch gebackene Tortilla aus selbstgemahlenem Maismehl: das alles getunkt in wuerzige Sossen mit Kraeutern aus dem heimischen Garten .  Gegessen wird mit der Hand, weit und breit kein Geschirr, geschweige denn Plastikgeschirr zu sehen – ausser der unvermeidlichen 3-Liter-Flasche mit irgendeinem bunten suessen gesprudelten Getraenk, das im Plastikbecher herumgereicht wird.

Die Doerfer, in denn ich dieses exquisite Mahl geniessen durfte, gehoeren zu den aermsten Doerfern Boliviens und gelten als rueckstaendig.

Echarate ist das reichste Dorf Perus:  die Gemeinde im oestlichen Tiefland des Departamentes Cusco beherbergt die groessten Gasfelder Perus. Die Steuereinnahmen  aus der Erdgasfoerderung haben den indigenen Tieflandbewohnern  von Echarate zum durchschnittlich hoechsten Prokopf-Einkommen verholfen.  Dennoch  hat die Unterernaehrung in Echarate gerade unter den indigenen Machiguenga zugenommen, wie die Journalistin Nelly Luna in einer Artikelserie in El Comercio berichtet. „Es ist kein Problem des Geldes“, sagt sie. Statt wie herkoemmlich auf die Jagd zu gehen oder zu fischen, kaufen die Machiguenga nun ein Sprudelgetraenk und eine Packung Cracker im naechsten Laden zum Fruehstueck.

Etwas aehnliches ist auch in den Hochanden zu beobachten, wenn auch aus einem anderen Grund: aufgrund der hohen Weltmarkt-Nachfrage nach Quinoa, verdienen viele Subsistenzbauern im bolivianischen und peruanischen Hochland zum ersten Mal  richtig Geld mit ihrem Produkt, das bisher nur zum Hausgebrauch angebaut wurde. Viele Bauern verkaufen die Quinoa lieber, als sie selber zu essen. In vielen Andendoerfern kann man deshalb keine Quinoa mehr auf dem Dorfmarkt kaufen – oder wenn dann zu horrenden Preisen. Mit dem Erloes aus dem Quinoaverkauf fuer den Export kaufen viele Bauern nun das, was bisher unerschwinglich war und in der Werbung als Inbegriff eines modernen Lebens gilt: Nudeln, Thunfisch aus der Dose, eines der bunten Cola-Getraenke und die unvermeidlichen Cracker als Brotersatz.

Es ist ein Paradox – und sicher nicht das einzige – des sogenannten Fortschritts, dass mehr Geld nicht automatisch zu besserer, sehr wohl aber oft zu schlechterer Ernaehrung fuehrt.