lunes, 31 de diciembre de 2012

Anden-Salat





Wer meint, dass Salat nur auf  in flachen holländischen Treibhäusern wächst, den belehrt Laureano Casas eines Besseren. Auf 2500 Meter Höhe baut der Bio-Landwirt auf seinen Terrassen den knackigsten und schmackhaftesten Salat an, den es in Lima zu kaufen gibt. Und das zwei Autostunden von der Hauptstadt Lima entfernt, da wo die Strasse in einer steilen Schlucht in das Zentralmassiv der Anden hochsteigt, und nur kahle hochaufragende Berge den Weg säumen.  Eine gute Stunde wandert man vom Dorf San Jeronimo de Surco rund 500 Höhenmeter die steilen Berge hoch und danach auf einem schmalen Grat immer am Rande des Abgrunds um den Berg herum, bis die grünen Terrassen von Laureano und Teresa Casas erscheinen. Inmitten der kahlen Berghänge stehen Gemüserabatten voller Ruccola-Salat, Radieschen, Karotten, Löwenzahn, Baby-Spinat und Lattich.

Jeden Tag steigen Laureno und Teresa zu Fuss zu ihren Feldern hoch -  Teresa auch mal auf dem Esel - um dort zu säen, Unkraut zu jäten, hacken und ernten. 

62 Jahre alt ist der Gemüsebauer aus dem Dorf San Jeronimo de Surco  und seit 20 Jahren setzen er und seine Frau Teresa auf Bio.  Eine Nicht-Regierungsorganisation hatte damals den ökologischen Anbau in den Dörfern der "Sierra Central", rund 2 Stunden von der Hauptstadt Lima entfernt, propagiert. Bei Laureano Casas stiess diese Botschaft auf offene Ohren, "ich hatte immer viel gelesen, wollte Neues ausprobieren", erzählt der schlaksige hochgewachsene Mann. Das Neue hiess, auf die Schädlingsvertilgungsmittel zu verzichten. Zuerst war es schwierig Abnehmer zu finden, die Familie mit ihren vier Kindern konnte mehr schlecht als recht vom ökologischen Gemüseanbau leben. Bis im Jahr 2001 ein paar Produzenten begannen im reichen Stadtteil Miraflores in Lima jeden Samstag Bioprodukte auf einem eigenen Bio-Markt zu verkaufen. Schnell entwickelte sich der Markt zum Anziehungspunkt für alternativ lebende Peruaner ebenso wie für die vielen in Miraflores lebenden Ausländer. Heute bauen Lareano und Teresa Casas auf 13 Hektar - verteilt auf unzählige kleine Terrassenfelder - nicht nur Gemüse, sondern auch Obst an : Äpfel. Chirimoya, Avocado. "Wir können die Nachfrage gar nicht bedienen", erzählt Laureano, "um 11 Uhr morgens haben wir manchmal schon keine Ware mehr". Warum dann nicht mehr anbauen ? Das Problem sind die Arbeitskräfte. Auch bei guter ortsüblicher Bezahlung (10-15 Euro Tageslohn) für Landarbeiter, scheuen die meisten Jugendlichen die anstrengende Arbeit im Freien. Sie waschen lieber - selbst für weniger Geld - Lastwagen oder arbeiten am Verkaufsstand an der Landstrasse.
Jimmy, der Sohn von Laureano und Teresa, dagegen findet Freude an der Landwirtschaft. Er und seine Freundin werden den Betrieb der Eltern übernehmen. Vor kurzem hat er in einen kleinen Laster investiert, damit kann er die Ware - die sie auf mehreren Eseln jeden Freitag und Samstag abend ins Tal herunterbringen - selber nach Lima fahren und auch Frachtdienste für andere Gemüsebauern übernehmen.

Noch ist Biogemüse und -obst in Lima ein Nischenprodukt, aber angesichts des steigenden Einkommens der Städter tritt auch das Bedürfnis nicht nur nach genügend sondern auch gesunder Nahrung ins Bewusstsein von immer mehr Peruanern. Für Laureanos und Teresa Casas und ihre Familie hat sich die Entscheidung für ökologischen Landbau gelohnt - in 20 Jahren konnten sie ihr Einkommen mindestens vedoppeln.

lunes, 24 de diciembre de 2012

Kleine Bücher, grosse Geschichten



Beide haben den Tod schon als Kinder viel zu oft miterlebt; beide wissen wie es ist, wenn der Hunger alle anderen Sinne und Gedanken betäubt;  beide konnten erst in späten Jahren ihre Schulbildung beginnen bzw. vollenden. Beide haben erst auf Drängen Dritter ihr Leben schriftlich niederlegt in zwei  kleinen Büchlein, die im Dezember in Lima vorgestellt wurden. Die beiden Titel könnten unscheinbarer nicht klingen: „Erinnerungen eines unbekannten Soldaten“ von Lurgio Gavilán das eine ; „Kleine Mosaiksteine aus meinem Leben“ von Pilar Coll das andere.  Hinter den nichtssagenden Titeln stecken zwei ausserordentliche Lebensgeschichten.


Mit 14 Jahren war Lurgio Gavilán bei vielen Morden dabeigewesen und erwartete nun bange seinen eigenen Tod. Eine Militärpatrouille hatte den Kind-Soldaten des „Leuchtenden Pfades“ 1985 in den Bergen von Ayacucho gefangengenommen.  Auch der ihm seit zwei Jahren eingehämmert Glaube, dass es eine Ehre sei, für Marx, Mao und vor allem für den Kameraden Gonzalo alias Abimael Guzmán, den Anführer des „Leuchtenden Pfades“ zu sterben, verhinderten nicht seine Tränen angesichts der Gewehrkugeln, die ihn gleich durchbohren würden.  Es kam anders: der Leutnant verschonte den Jungen und nahm ihn mit in die Kaserne. Mehr noch: er schickte den damals nur quechuasprechenden und des Lesens und Schreibens Unkundigen  in die Schule. 10 Jahre lang wurde die Kaserne zur Heimat Lurgios. Er selbst brachte es bis zum Instruktor der Soldaten in der Aufstandsbekämpfung. So wie er als Kind die Gräueltaten des „Leuchtenden Pfades“ miterlebte oder mit-ausführte,  war er Zeuge oder auch Mittäter der Grausamkeiten, die die Militärs gegenüber Gefangenen und der Zivilbevölkerung begingen. Überraschend nahm das Leben des jungen Soldaten eine weitere Wendung: 1995 trat Lurgio als Novize in den  Franziskanerorden ein. Auch dort war das Leben – ähnlich wie beim Leuchtenden Pfad und der Armee – genau geregelt und diszipliniert. Mit einem grossen Unterschied: wurde bei Guerrilla und Armee eingebläut, den jeweiligen Gegner zu vernichten, so predigten die Franziskaner die Verzeihung. Während seiner Zeit als Novize schrieb Lurgio Gavilán erstmals seine Lebensgeschichte nieder. Nach drei Jahren bei den Franziskanern erkannte er, dass sein Weg nicht im Ordensleben lag und ging zurück nach Ayacucho, wo er kurz darauf ein Studium der Ethnologie aufnahm.

Es ist nicht bekannt, ob Lurgio Gavilán jemals Pilar Coll kennenlernte. Er hätte sie kennenlernen können. Zum Beispiel im Juli 1987, als Pilar Coll in Ayacucho festgenommen wurde, in derselben Stadt, in der Lurgio Gavilán damals als Soldatenkind die Schulbank drückte.   Pilar Coll hatte das im selben Jahr gegründete Menschenrechtssekretariat übernommen und reiste ins damalige Notstandsgebiet Ayacucho. 30 Stunden lang wurde sie von den Militärs dort gefangengenommen, und wurde erst auf Druck aus Lima wieder freigelassen. Menschenrechte zu verteidigen war in jenen Jahren ein Himmelfahrtskommando: misstrauisch beäugt sowohl von der Guerrilla wie auch von der Armee,  gingen die meisten Menschenrechtsanwälte nur bewaffnet auf die Strasse. Nicht so Pilar Coll: „Einen Leibwächter wollte ich nie haben. Wenn mich einer meiner Kollegen fragte: „schaust Du auf die Strasse, ob Du was Verdächtiges siehst, bevor Du das Haus verlässt ? – Nein. Schaust Du auf der Strasse, ob Dir jemand folgt ?  - Nein. Wechselst Du Deinen Weg zum Büro ? – Nein.“ Erst im Nachhinein wurde Pilar Coll der Gefahr bewusst, der sie als erste Generalsekretärin der Menschenrechtsverbände ausgesetzt gewesen war.  Ihr Auftreten half ihr, dass selbst hohe Militärs sie respektierten. Denn bei der 1929 geborenen Spanierin wusste man nie, ob man es mit einer Nonne oder mit einer  katholischen Dame aus gutbürgerlichem Hause zu tun hatte. Beides stimmt, und greift doch viel zu kurz .
Wie Lurgio Gavilán ist auch Pilar Coll ein Bürgerkriegskind.  Ihre Mutter war bei der Geburt eines der 7 Kinder gestorben; Ihr Vater, ein Grundbesitzer aus Aragón, wurde von den republikanischen Garden ermordet,  als Pilar Coll 7 Jahre alt war. Die Familie durfte den Leichnam des Vaters nicht begraben,  wurde aus ihrem Besitz verjagt, und lebte Jahre des Schreckens und Armut.  Est mit 21 Jahren konnte Pilar die Sekundarschule nachholen, danach studierte sie Jura in Barcelona und trat in einen katholischen Laienorden ein, der sie 1967 nach Peru schickte. Pilar Coll wurde schnell Teil der damals entstehenden Befreiungstheologischen Bewegung und übernahm verschiedenste Aufgaben in der kirchlichen Sozialarbeit. Als sie zur ersten Generalsekretärin der Menschenrechtskoordination ernannt wurde, war sie 58 Jahre alt. Als sie das Amt an ihre Nachfolgerin übergab, war sie 63 Jahre jung und fand eine neue Mission: sie betreute die Gefangenen im Frauengefängnis, vor allem diejenigen, die aus politischen Motiven oft langjährige Haftstrafen absassen. Keine Krankheit, keine Beschwerlichkeiten konnten die alte Dame davon abhalten, ihre „Mädels“ im Gefängnis zu besuchen.

Beide Autobiographien bestechen duch ihren schlichten Stil,  wie wenn der Autor bzw. die Autorin ihr eigenes Leben möglichst wenig hervorheben wollen. Die Lebensgeschichten von Lurgio Gavilán und Pilar Coll geben nicht nur Einblick in eine der grausamsten und zugleich so vielschichtigen Perioden des modernen Perus, sondern hinterlassen die Leserin auch staunend und ermutigt zugleich: wie schafft es eine Pilar Coll, deren Vater von den Kommunisten ermordet wurde, später in Peru gerade jene Kommunisten unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu verteidigen ? Wie konnte der Ex- Senderist und Soldat Lurgio Gavilán Empathie und Solidarität bewahren, obwohl er als Kind und Jugendlicher schlimmsten Gräueltaten ausgesetzt war oder sogar selber begangen hatte ?
Die beiden Autobiographen hüllen sich darüber in Schweigen.  Einen kann man noch fragen. Lurgio Gavilán lebt heute in Mexiko, wo er seine Doktorarbeit in Ethnologie schreibt.
Pilar Coll war am 14. September 2012 wie jeden Donnerstag im Frauengefängnis, als ihr übel wurde und sie mit einem Blutgerinnsel ins Krankenhaus eingeliefert wurde.  Am Tag darauf sollte sie entlassen werden. In derselben Nacht, im Alter von 83 Jahren und sechs Wochen nachdem sie ihre „Kleinen Mosaiksteine aus meinem Leben“ fertiggeschrieben hatte,  erlitt sie einen tödlichen Herzinfarkt.