Die Strecke Cusco - Puno ist das peruanische Gegenstück zur Autobahn München-Frankfurt in Deutschland: eine Hauptverkehrsstrecke im Süden des Landes, dicht befahren von Lastwagen, Bussen und dem einen oder anderen Pkw. 6 Stunden Busfahrt sind es normalerweise von Cusco nach Puno, und die Busse fahren alle halbe Stunde. Nur nicht an jenem 1. Juli, an dem ich dringend von Cusco nach Puno reisen musste. Die Verkaufsstände der Busgesellschaften hatten geschlossen: Streik in Ayaviri, hiess es. Ayaviri ist eine Kleinstadt mitten auf der Strecke, und die Streikenden hatten die Strasse bei Ayaviri blockiert. Also kein Durchkommen möglich. Wie lange der Streik dauern würde ? Niemand weiss was Genaues. " Heute abend um 11 Uhr fährt der nächste Bus", verrät mir ein junger Mann. Am einzigen offenen Verkaufsstand drängelnd sich die Leute. "30 Soles bis nach Puno, und ohne Gewähr, ob wir weiter als Ayaviri kommen", gibt die Verkäuferin Auskunft. 30 Soles ist fast das Doppelte des normalen Fahrpreises - normalerweise mit Garantie, in Puno anzukommen. "Aber das Weiterkommen in Ayaviri ist kein Problem. Ihr steigt an der Sperre aus, lauft 2 Kilometer bis zum anderen Ende der Blockade, und da warten dann Busse, die nach Puno fahren". Nicht gerade eine tolle Aussicht, aber 2 Kilometer Fussmarsch sind noch erträglich, denke ich und schnappe mir eines der begehrten Tickets. In Voraussicht der nächtlichen Hochanden-Wanderung kaufe ich mir auf dem Schmuggelmarkt in Cusco noch ein paar Handschuhe zu 1 Euro (made in China), eine Alpacamütze zu 3 Euro und eine Taschenlampe made irgendwo in Asien. Zu dem Zeitpunkt bin ich noch zuversichtlich, dass ich bald und bei guter Gesundheit in Puno ankommen würde. Hätte ich es nur mal besser gewusst.....
Um 23 Uhr ist unser Bus abfahrbereit: ein Zweistöcker, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Wie bessere Tage merken wir bald nach der Abfahrt in Cusco. Nach kaum 15 Minuten Fahrt hält er mitten auf der Strecke an. Die Tür zur Fahrerkabine bleibt abgeschlossen. Durch das Fenster sehen wir, wie der Chauffeur sich an einem Seitenteil des Busses zu schaffen macht. Nach 20 Minuten geht es wieder weiter. Das ganze wiederholt sich noch einige Male, so dass ich befürchte, dass der Bus es nicht mal nach Ayaviri schaffen wird, sondern schon vorher seinen Schnauf aufgibt. Inzwischen wird mir auch klar, dass an diesem Abend nur Seelenverkäufer-Busse die Strecke nach Puno fahren. Solche, die bei normaler Konkurrenz keinen Passagier anlocken können, die aber bei Streiks und anderen Notlagen ihr Geschäft wittern.
Meine Sitznachbarin Nery ist eine Studentin der Zahnmedizin aus Cusco. Morgen hat sie Prüfungen an ihrer Uni in Juliaca, der grössten Stadt Punos. Begeistert von der Aussicht auf den nächtlichen Fussmarsch ist sie nicht, aber auch nicht überrascht. Ein Streik mit Strassenblockade ist in der Gegend nicht unüblich. Wesentlich besorgter ist da schon der junge Mann, der uns gegenüber sitzt: um 7 Uhr Morgen hat er ein Busbillet, um heim nach La Paz zu fahren. Ober er den Bus wohl noch kriegen wird ?
In warme Decken gewickelt zuckeln wir im Bus über die Andenhochebene und doesen vor uns hin, als auf einmal Leben in unsere Fahrgemeinschaft kommt. Wir sind an der ersten Strassensperre angelangt. Es ist 2.30 morgens. Vor uns stehen drei Männer, hinter ihnen eine alte Tonne, in der ein wärmendes Feuer lodert. Die Strasse ist mit Felsblocken gesperrt. Eine Abordnung von 3 Passagieren verhandelt mit den Streikenden. Gegen einen Obolus - wir sammeln dafür - lassen sie ihre Streikgesinnung Gesinnung sein und lassen uns durch. Allerdings nur 1 Kilometer weiter. Dann ist endgültig Schluss. Eine lange Schlage von Lastwagen steht vor uns. Ihre Fahrer schlafen oder haben sich in die Büsche geschlagen. Nun beginnt also der Fussmarsch. Meine Nachbarin drückt mir noch ihre Decke in die Hand, und weg ist sie...... Zusammen mit einigen Rucksacktouristen aus Frankreich mache ich mich auf den Weg. Gerade bei dieser Reise habe ich meinen Rucksack zu Hause gelassen und mir einen Rollkoffer mitgenommen. Den darf ich nun auf der nächtlichen Strasse hinter mir herziehen, an der kilometerlangen Lastwagenschlange entlang. Es ist empfindlich kalt, einige Grade unter Null, nur Bewegung verhindert, dass ich vor Kälte schlottere. Vor uns eine weitere Blockade, dieses Mal steht eine Gruppe von rund 20 Männern auf der Strasse, in Decken eingewickelt debattieren sie untereinander. "Warum streiken Sie überhaupt ?" frage ich einen der Anführer. "Gegen die Umweltverschmutzung", antwortet mir der Mann mit den indianischen Gesichtszügen und , wie alle seine Mitstreiter, mit Mütze und Schal vermummt. "Wir sind Bürgermeister und Bauern aus der Gegend und sind dagegen, dass das Bergbauunternehmen Arasi unseren Fluss verschmutzt". Und was wollen sie konkret mit der Blockade erreichen ? "Wir haben mehrere Beschwerdebriefe nach Lima geschickt, aber niemand hat geantwortet. Wir wollen, dass das Unternehmen und der Bergbauminister mit uns redet und uns anhört". Der Dorfbürgermeister ist recht freundlich und freut sich, dass einer der Touristen sich für ihre Anliegen interessiert. Dennoch: ob man deswegen das Recht hat, eine Hauptverkehrsstrasse zu blockieren ? Ich stelle die Frage besser nicht und wünsche Ihnen statt desssen viel Erfolg beim Minister. Und ziehe meinen Koffer weiter über die Landstrasse. Inzwischen haben mich die anderen Passagiere weit abgehängt und ich bin morgens um 3 auf weiter Flur alleine unterwegs. Mein Arm schmerzt schon vom Kofferziehen, und kein Ende ist abzusehen. Kein Autos ist unterwegs, nicht einmal eines der hier ueblichen Dreiradtaxis. Aus dem Dunkeln taucht ploetzlich ein Fahrradfahrer neben mir auf. Er wuerde mich begleiten, sagt er. Und er koenne mich auf dem Fahrrad mitnehmen. Die Dreiradtaxis und alle anderen Fahrzeugbesitzer wuerden sich nicht heraustrauen, weil ihnen die Streikenden sonst die Reifen aufschlitzen wuerden.
Zuerst straeube ich mich gegen sein Angebot, aber der Weg nimmt kein Ende und mein Koffer wird nicht leichter. Schliesslich setze ich mich auf den Gepaecktraeger und wir fahren, ich den Koffer hinterherziehend, an anderen wandernden Passagieren vorbei. Nach rund zwei Kilometern ist Schluss. "Da gleich hinter der Ecke ist die Sperre und danach gibt es Buss", prophezeit mein Fahrrad-Chauffeur. Zusammen mit Indianerfrauen, die ihre Handelsware in Tuecher gewickelt auf dem Ruecken tragen, erklimme ich die Anhoehe bis zur naechsten Ecke. Dort wartet wieder ein Streikposten: dieses Mal muessen wir Passagiere uns die offiziellen Streikparolen anhoeren, bevor wir durchgelassen werden. Und dahinter -----weit und breit kein Bus, auch kein Auto, nicht mal eines der Dreiraeder, die sich sonst um die Passagiere reissen. Wir laufen weiter auf der fahrzeugleeren Strasse, was bleibt anderes uebrig. Nach rund drei weiteren Kilometern kommen wir an eine Mautstation. Izwischen ist es Morgengrauen, bitterkalter Morgengrauen. Eigentlich wunderschoen anzusehen, wie die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Rauhreif sich hervorwagen. Wenn man dazu einen heissen Kaffee dazutrinken koennte und ein Fahrzeug danebenstuende. Aber nichts: 26 Kilometer sind es bis zum naechsten Dorf, und keiner der dortigen Chauffeure will uns an der Matustation abholen. Die Polizisten hier wissen von gar nichts und helfen auch nicht weiter.
Also laufen wir weiter: ein paar junge Leute haben sich inzwischen angefreundet und scheinen ueber den erzwungenen Fussmarsch nicht allzu traurig zu sein. Neben mir laufen zwei aeltere Frauen, Haendlerinnen, die ihre Ware aus Cusco auf dem Ruecken schleppen. "Schrecklich, aber was koennen wir tun ?" seufzt die eine fatalistisch. Wir ueberholen eine Mutter, die ihrem rund 8-jaehrigen Sohn zuredet, doch weiterzulaufen. Aber das Kind weit nur und weigert sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Fast abgestumpft laufe ich auch an ihnen vorbei. So aehnlich muss es auf einem der vielen Fluechtlingstrecks zugehen, die weltweit sich voranschleppen auf der Suche nach Frieden, Wasser, Land oder einfach einem besseren Auskommen. Auch ich komme mir langsam vor wie eine Ausgesetzte, ausgesetzt und verlassen auf einer leere Landstrasse auf 4000 Meter Hoehe in den peruanische Anden. Ploetzlich taucht vor uns, wie eine Fata Morgana, der Umriss eines Autos auf. Alle Mitmarschierenden streifen ihre Lethargie ab und rennen auf das Fahrzeug zu. Die haendlerinnen mit ihren vollgestopften Packtuechern, Kinder und Jugendliche: alles draengt sich in einen Toyota-Kastenwagen, eigentlich fuer 5 Personen gedacht. Nun sitzen sicher 10 Personen drin. Ich habe es leider nicht geschafft, mir einen Platz zu ergattern. Nach 10 Minuten kommt das naechste Fahrzeug, auch hier bin ich zu spaet, verdammter Rollkoffer, da kann ich beim Sturm auf das Auto einfach nicht mithalten. Aber immerhin funktioniert hier mein Handy. Juliaca, die naechste Stadt, ist noch gut 60 Kilometer entfernt. Ich rufe eine Freundin dort an, sei soll mir bitte aus Juliaca ein Taxi schicken, koste es was es wolle. Aber der freie Markt funktioniert heute nicht: kei Taxifahrer ist bereit, die Streikenden zu erzuernen und Steine in der Windschutzscheibe und aufgeschlitzte Reifen in Kauf zu nehmen. Also hilft nur: Weiterlaufen. Noch 20 Kilometer zum naechsten Dorf, dazwischen nicht mal ein Huettchen. Um 10 Uhr vormittags schafe ich es endlich, zusammen mit einem argentinische Touristen auf den Vordersitz eines der wenigen Taxis zu klettern. Den Inka-Trail habe er gemacht, meint der Argentinier. Nun bekommt er den Inka-Trail noch kostenlos als Nachschlag dazu, lache ich. In 20 Minutnen ist das Auto in Pucarà, ein kleines verschlafenes Staedtchen, das wegen seiner Keramikstiere ene gewisse nationale Bedeutung hat. Die Haupstrasse in Pucar¡a sieht heute aus wie nach dem Krieg: ueberall havarierte Passagiere, und kein Fahrzeug! Immerhin gibt es hier ein Restaurant und ich bekomme einen heissen Kaffee. Auch eine halbe Stunde spaeter, eine Stunde spaeter: kein Auto nach Juliaca. Ich frage die Gaststaettenbesitzerin schliesslich nach einem Bett. Sie solle mich bitte wecken, wenn der Streik vorueber sei. Nachmittags um 3 Uhr ist die schliesslich der Fall. Die Streikposten lassen Autos und Busse durch. Und auf einmal funktioniert das Geschaeft wieder: die Busbesitzer kommen aus ihren Loechern und buhlen um die Passagiere. Auf einer staubigen Erdstrasse fahren wir schliesslich auf einem Umweg nach Juliaca und um 6 Uhr nachmittags treffe ich schliesslich in Puno en. 20 Stunden war ich unterwegs fuer die 7-StundenStrecke. Gut 6 Stunden davon zu Fuss.
In Puno erfahre ich dann, dass die Bauern in Ayaviri sozusagen vorsorglich gegen die Umweltverschmutzung gestreikt haben. Das Bergwerk hatte erst vor drei Monaten seine Arbeit aufgenommen, aber die Bauern wollten sich gegen eventuelle zukuenftige Beschaedigungen ihres Wassers absichern. Kurz danach machten andere Bauern 4o Kilometer weiter die Strasse dicht: dieses Mal gegen die bereits bestehende Umweltverschmutzung durch informelle Bergleute. Der Minister kam schliesslich aus Lima angereist und tagte in Puno mit den Streikfuehrern. Anschliessend streikten die Lehrer und legten das Land fuer weitere Tage lahm. Ich konnte gerade noch mit dem Flugzeug Puno verlassen, zusammen mit dem Minister, bevor die streikenden Lehrer am anderen Tag die Flutlichter der Landebahn mutwillig zerstoerten.
martes, 17 de julio de 2007
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