martes, 17 de julio de 2007

Schule im Jahr 2037


Wenn ich bestimmte Zustände in Peru beklage, dann bekomme ich manchmal zur Antwort: "Wir sind hier eben nicht in der Schweiz". Als ob Peru nicht das Recht habe, Gerechtigkeit und Wohlstand anzustreben, für welche die Schweiz steht.

Nachfolgende Geschichte von Wilfredo Ardito ueber eine Schulutopie in den peruanischen Anden beschreibt genau das: Schweizer Zustände mit peruanischen, indianischen Hauptdarstellern.

Eine Provokation und eine Utopie ? Vor allem eine Aufforderung, sich mit der jetzt herrschenden Situation nicht abzufinden.


Peru: Schule im Jahr 2037, in irgendeinem Dorf der peruanischen Hochanden


Von Wilfredo Ardito Vega


- José Gabriel, lass jetzt den Computer. Gleich kommt der Schulbus und Du hast noch nicht gefrühstückt! – rief seine Mutter, während sie die Mikrowelle öffnete, um den warmen Orangensaft herauszuholen.

- Mama, ich gewinne gerade gegen meinen Freund aus Tibet!

- Lass ihn in Ruhe, Du weisst, dass er jetzt schlafen gehen muss!

José Gabriel nimmt eilig sein Frühstück ein, denn schon klingelt es an der Tür, welche sein Vater mit der Melodie aus dem Krieg der Sterne programmiert hat.

Er zieht seinen warmen Anorak an, den seine Eltern ihm im Kaufhaus Saga Falabella in Sicuani gekauft haben, denn draussen ist es 6 Grad unter Null. Dann setzt er seine Alpaca-Mütze auf, verabschiedet sich von seiner Mutter und rennt zum Schulbus.

- Allinllachu ? Wie geht es ? – begrüsst ihn Richard, der Busfahrer. Zu Beginn des Jahrhunderts, als José Gabriel noch nicht geboren war, war es bei den Bauern noch Mode, ihre Kinder mit englischen Namen zu taufen.

Der Schulbus fährt durch die kahle Hochebene und hält immer wieder an, um Kinder einsteigen zu lassen. Sie kamen früh in der Schule an und José Gabriel hatte noch Zeit für ein kleines Basketball-Match in der Turnahalle und sich im Waschraum mit lauwarmem Wasser zu duschen.

In seiner Klasse hatten alle Kinder indianische Gesichtszüge. Nur zwei weisse Kinder waren darunter. Es waren zwei Austauschschüler aus Lima. Sie waren gekommen, um ihr Quechua zu verbessern und um die Sonne im Hochgebirge zu geniessen, solange in Lima neblige Kälte herrschte.

Die erste Schulstunde war Geschichte Perus. Die Lehrerin fragte die Kinder in Quechua:

- Habt Ihr nachgefragt, wie Eure Eltern und Grosseltern früher gelebt haben ?

- Meine Mama sagt, damals haetten sie keine Heizung gehabt, sagt José Gabriel.

- Und auch keinen Strom und Solarenergie, ergänzt seine Sitznachbarin Kusi.

- Und in den Häusern gab es kein Bad, meint Cahuide.

- Und es gab auch keine Müllabfuhr, schreit Ollanta.

- Wie ekelhaft! – die kleine Chaska verzieht den Mund so erschrocken, dass alle loslachen.

- Das stimmt wirklich, Kinder – erklärt die Lehrerin. – Das Leben war damals sehr schwierig für die Bauern. Aber ging es allen Peruanern so schlecht ?

- Natürlich nicht – Inti, der Klassenprimus, meldete sich. – In den Städten an der Küsten lebten die Menschen besser. Einige hatten sogar hausangestellte von den Anden und behandelten sie schlecht.

- Sie mussten zu ihren Arbeitgebern „Herr“ oder „Junger Herr“ sagen und sie mit „Sie“ anreden – wusste José Gabriel, und benutzte die entsprechenden spanischen Wörter.

- Ich habe das Museum der Apartheid im Badeort Asia, kurz vor Lima, besucht. Es war sehr interessant – wusste Sinchi zu berichten, einer der beiden Besucher aus Lima. Langsam und bedächtig kamen ihm die schweren Quechualauta von den Lippen. – Dort bekommen die Besucher eine Schürze angezogen, damit sie nachfühlen könne, unter welchen Bedingungen die Hausangestellten damals arbeiteten.

Alle Kinder schwatzen auf einmal laut los und erzählten davon, wie sie das letzte Mal ihre Sommerferien in Asia, camaná und Paracas verbracht haben. Schliesslich rief sie die Lehrerin wieder zur Ordnung:

- Haben Euch Eure Eltern auch von den staatlichen Schulen erzählt ?

- Meine Eltern mussten mehrere Stunden laufen, um zur Schule zu kommen, aber ich glaube , sie lügen. Bei der Kälte wären sie ja erfroren! – meinte Huascar.

- Meine Mama und Papa haben das auch erzählt – fügte Kusi hinzu – Gab es damals wirklich keinen Schulbus ?

- Dann wäre es doch besser gewesen, sie hätten zu Hause mit Internet gelernt – warf Cahuide ein.

- Dummkopf, damals hatte niemand Internet zu Hause – machte sich Inti lustig, und alle lachten laut los.

- Eine Frage noch – sagte Gabriela, das Mädchen aus Lima – damals gab es Privatschulen, oder so ähnlich. Was war das ?

- Dort haben die Leute bezahlt, damit ihre Kinder Unterricht bekamen – erklärte die Lehrerin. – Damals musstest Du auch für die Medikamente in den Gesundheitsposten bezahlen.

Jedes Mal, wenn sie davon erzählte, wurden die Kinder still und ihre Münder blieben vor Staunen offen. Niemand wollte laut sagen, was alle dachten. Schliesslich traute sich Atahualpa, zu fragen: - Und was passierte, wenn man kein Geld hatte ? – Niemand antwortete, weil alle die Antwort wussten.

- Was ich nicht verstehe – José Gabriel meldete sich wieder - , warum die Leute in Lima so viel Geld zum Fenster rauswarfen, wie man es in den alten Filmen sieht, und warum es ihnen egal war, dass die Leute hier vor Kälte oder vor Hunger sterben.

- Frau Lehrerin, wie kam es dass sich das geändert hat ? – wollte Kusi wissen.

- Warum werden wir heute alle als Menschen gleich behandelt ? – legte Huascar nach.

- Warum weinen Sie ? – Chaska sah, wie über die Wange der Lehrerin eine Träne lief.

- Kinder, ich weine, wenn ich daran denke, was wir alles zu erleiden hatten und niemanden kümmerte es.

Oder vielleicht weinte die Lehrerin auch, weil sie und ihre Schüler nur Teil einer erfundenen Geschichte sind und niemand weiss, ob diese einmal wahr werden wird.

(übersetzt von Hildegard Willer)

Erklärungen für den Leser und die Leserin, welche Peru nicht kennen:

Das staatliche peruanische Schulsystem ist extrem schlecht, ganz besonders auf dem Land. Die Schulhäuser auf 3000 – 4000 Meter Höhe sind kalt und zugig, und oft nicht mal mit dem Nötigsten ausgestattet. Die Lehrer sind schlecht bezahlt und viele erscheinen unregelmässig zum Unterricht. Wer immer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf eine Privatschule.

Obwohl ein Grossteil der andinen Landbevölkerung Quechua zur Muttersprache hat, wird dies in der Schule bis heute kaum unterrichtet. Quechua ist zwar offiziell zweite Landessprache, aber in der Hauptstadt Lima gibt es keine einzige Schule, in der peruanische Kinder Quechua lernen können. Kusi, Huascar, Ollanta, Chaska, Inti und Cahuide sind Quechua-Namen. Sehr wenige Kinder werden mit diesen Namen getauft.

Saga Falabella ist eine chilenische Kaufhauskette mit 3 oder 4 Filialen in Lima. In Sicuani, einer Kleinstadt von immerhin rund 30 000 Menschen, 3 Autostunden von Cusco entfernt, gibt es kein Kaufhaus.

Asia ist der Name eines elitären Badeortes südlich von Lima, bekannt durch seine rassistischen Praktiken gegenüber den indianischen Dienstboten. Im Januar diesen Jahres fand in Asia eine Protestaktion statt: rund 700 Männäer und Frauen verkleideten sich als Dienstboten und protestierten gegen die Diskriminierung.

Während ich diese Zeilen schreibe, sind die Menschen in Peru seit gut einer Woche auf den Strassen und protestieren gegen die Regierung. Obwohl die peruanische Wirtschaft ein seit Jahren anhaltendes Rekordwachstum aufzuweisen hat, deutet wenig darauf hin, dass aus unserer Geschichte bald einmal Wirklichkeit werden könnte.

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