"Schliessen Sie Ihre Hand bitte zur Faust". Gehorsame befolge ich die Aufforderung der Krankenschwester und ahne schon, was als nächstes kommt: "Ihre Venen liegen zu tief, die sind schwer zu treffen". Gekonnt knetet sie an meiner Armbeuge herum, setzt die Nadel an - und trifft aufs erste Mal. Ich liege auf einer Liege im Keller des Polizeihospitals von Lima und schaue zu, wie mein Blut aus mir heraus- und in einen Beutel tropft.
Dass mein Blut etwas Besonderes ist, habe ich erst in Peru erfahren: ihm fehlt der Rhesus-Faktor, ist also Rhesus-negativ. Das ist in Deutschland nichts Besonderes, aber in Peru sind nur rund 1% der Bevölkerung Rhesus-negativ. Deshalb sind negative BlutspenderInnen überaus gefragt und wir Negativen sind sowas wie die Blaublütler unter ihnen.
So wie heute früh bin ich schon oft angerufen worden: ob ich nicht Blutspenden könnte, es handele sich um einen Notfall. Im Unterschied zum anonymen Blutspenden beim Roten Kreuz in Deutschland, weiss ich in Peru sofort, wer mein Blut bekommt. Heute ist es für eine 85-jährige Oma, Witwe eines Polizisten, mit einem gutartigen Gehirntumor, der bereits ihr Sehvermögen angegriffen hat. Seit 2 Wochen liegt sie im Polizeihospital - in Peru haben die Polizisten ihr eigenes Krankenhaus - und wartet auf ihre Operation. Die kann erst dann stattfinden, wenn ihre Verwandten genügend Blutspender gefunden haben, um die Blutbank des Spitals aufzustocken. Leider findet man die Rhesus-negativen Blutspender in Peru nicht immer in der Familie oder der Nachbarschaft. Deswegen bin ich Mitglied des "Clubs der Rhesus-Negativen": es ist eine Datenbank von freiwilligen Blutspendern, an die jeder gelangen kann.
Im Laufe der Jahre habe ich schon allen möglichen Menschen mein Blut gespendet:
einer jungen Frau, die nach einem Kaiserschnitt noch tagelang im Hospital liegen musste, bis ihre Angehörigen eine Blutspenderin gefunden hatten; einem 14-jährigen Mädchen mit Gehirntumor; einer 38-jährigen Friseuse mit Gebärmutterkrebs im Anfangsstadium, die erst mit ihrer Chemotherapie beginnen durfte, nachdem sie eine rhesusnegative Blutspenderin aufgetan hatte; einem 60-jährigen Krebspatienten. Fast immer lerne ich die besorgten und überaus dankbaren Angehörigen der Patienten kennen, denn die müssen sich um den Blutnachschub kümmern, damit ihre Liebsten behandelt werden.
Ausser ganz unterschiedlichen Menschen habe ich auf diese Art und Weise inzwischen fast alle staatlichen Krankenhäuser Limas kennengelernt. Deren Ruf ist im allgemeinen recht schlecht: alt, schlecht verwaltet und ohne Ausstattung seien sie. Nicht immer stimmt dies. Das Hospital Maria Auxiliadora am Südrand Limas erschien mir recht sauber und funktional, ebenso das staatliche Krebsklinikum. Heute dagegen hat es mich in den Keller des Polizeispitals verschlagen. Während mir das Blut abgezapft wird, schaue ich auf verrostete Rohre, die quer über die Decke laufen. Beim Herweg durch die Kellergänge werfe ich einen Blick in vorsintflutliche Waschräume, die Farbe blättert allenthalben und der Rost scheint durch. Der Arm wird mir mit einem Gummihandschuh abgebunden - weil es keinen Abbindeschlauch gibt ?
Rosa Dávila, die Tochter meiner Blutsverwandten, erzählt, dass die Apotheke im Spital nur wenige der ihrer Mutter verschriebenen Medikamente zur Verfügung hat. Den Rest müssen sie zukaufen. Wenn es nach ihrem Krankenhaus geht, ist es um die peruanischen Polizisten nicht gut bestellt und ich kann verstehen, dass die Korruption unter ihnen besonders grassiert.
Ob neues oder altes, sauberes oder schmuddeliges Krankenhaus: immer treffe ich auf eine Bürokratie ohnegleichen. Auch heute muss ich 15 Minuten warten, bis mir die 1. Blutprobe abgenommen wird, dann nochmals 90 Minuten, bis sie mir ein weiteres Röhrchen Blut abzapfen, um es auf HIV, Hepatitis, Hämoglobingehalt zu testen. Dann soll ich doch bitte nachmittags wiederkommen, zur eigentlichen Spende, wenn die Ergebnisse der Blutuntersuchung vorliegen. Und dabeist es bei mir besonders schnell gegangen: weil ich darauf gepocht habe, weil ich weisshäutige Ausländerin bin, weil ich Rhesus-negativ bin..... die Peruaner, die mit mir auf ihre Blutspende warten, sind schon stundenlang hier und zucken nur fatalistisch die Schultern, wenn ich sie dazu aufstacheln möchte, eine zügigere Behandlung einzufordern: "ja, in Ihrem Land ist das anders. Wir sind halt unterentwickelt". Wie die Unterentwicklung doch als Entschuldigung für alles herhalten muss...
Warum übrigens in Peru keine Blutbanken aufgebaut werden, so dass der ganze Blutspendezirkus bei Notfallpatienten überflüssig würde ? "Die Leute wittern sofort ein Geschäft, und wollen ihr Blut nicht gratis hergeben", sagt die Krankenschwester in der Blutbank zur Erklärung. Es ist genauso wie auch die Beziehungen hier im Grossen funktionieren: unter Verwandten und engen Nachbarn wird Solidarität geübt, ansonsten herrscht Misstrauen und Eigennutz.
Mein Blutbeutel ist voll. 10 Minuten muss ich noch auf der nackten Liege ruhen, bevor die Krankenschwester mich nach Hause gehen lässt. Mir geht es blendend, auch mit 250 Milliliter Blut weniger im Körper. Im Gegenzug habe ich wieder einen Blutsverwandten in Peru hinzugewonnen.
martes, 31 de julio de 2007
Suscribirse a:
Enviar comentarios (Atom)
1 comentario:
Spannend. Über so einen Blog kriegt man noch Seiten von dem/der anderen mit, die man beim Mittagessen vielleicht doch nicht bespricht! Toll, dass Du jetzt auch schreibst, und die Alltagserfahrungen finde ich oft am spannendsten! Viel Spaß weiter auf dem Blog-Trip - bis bald, herzlich
Susanne
Publicar un comentario