jueves, 27 de marzo de 2008

Wasser - Agua


Mehr verschlafen als interessiert hörte ich heute früh im Bett die Nachrichten: ein toter Häftling, eine versuchte Vergewaltigung, ein Verkehrsunfall und als Sensation ein schwangerer Mann. Das übliche Gemisch aus Horror, Crime und Sex, das hier als berichtenswert gilt. Ich merke erst auf, als ich auf einmal das Wort "corte de agua" höre. Das Wasser wird abgestellt. In mehreren Stadtteilen Limas würde heute von 9.30 am bis um 2.30 früh das Wasser wegen Reparaturarbeiten abgestellt. Mein Wohnviertel ist auch darunter. Ein Blick auf die Uhr: 7.30 ; nichts wie raus aus dem Bett und Wasser horten. Alle leeren Plastikflaschen, die ich finden kann, werden mit Wasser gefüllt. Dann schnell alles Geschirr vom Vortag spülen. Der Wasserreserveeimer auf der Dachterrasse ist leer - und aus dem Wasserhahn tröpfelt immer weniger Wasser. Der "Corte", die Wasserabstellung hat schon begonnen. Immerhin schaffe ich es noch unter die Dusche, solange ein paar Tropfen herauskommen. Um 8.15 ist die Leitung trocken - eine der wenigen Dinge, die hier vor der angekündigten Uhrzeit passieren können. Meine zwei Freundinnen, die sich für 11 Uhr morgen angekündigt haben, werden halt nicht duschen können - soviel Wasser konnte ich nicht mehr horten.

Dass Wasser kein selbstverständliches Gut ist, spürt man erst, wenn es mal fehlt. Dass es in der Grosstadt Lima nicht öfters daran fehlt, grenzt eigentlich an ein Wunder. Denn Limas 8 Millionen Einwohner leben sprichtwörtlich in der Wüste. In geographischer Hinsicht sind sich Kairo und Lima verdammt ähnlich. Das wird jedem Ausländer sofort klar, wenn er die kargen Sandhügel rund um die Stadt betrachtet oder die staubigen Pflanzen und traurigen Palmen ansieht, die trotz ausgiebigen Giessens nie richtig saftig grün ausssehen. Deshalb ist es verwunderlich, dass sich die Bewohner Limas bisher kaum Sorgen um ihre zukünftige Wasserversorgung machen. Selbst in den Armenvierteln, die nur unzulänglich mit Wasser versorgt sind, und in denen man kaum ein grünes Blatt erblickt, wird das Problem darauf reduziert, dass man Leitungen legen soll oder das Wasserunternehmen korrupt ist. Was aber, wenn einmal kein Wasser mehr aus der Leitung kommt, weil es keines mehr gibt ?

Lima speist sich mit Wasser der Flüsse Rimac und Chillón. Auf dem Pass Ticlio, auf 4800 Meter Höhe, entspringen die Bächlein, die nach und nach den Fluss Rimac bilden. "Noch vor ein paar Jahren habe ich beim Überqueren des Passes Schnee gesehen", erzählt Erzbischof Pedro Barreto. Heute muss man schon eine Brille aufsetzen, um ein paar Schneefelder in der Ferne noch zu erkennen. Die Tropengletscher sind in den letzten 5 Jahren um 22% geschmolzen - der peruanische Ticlio macht da keine Ausnahme.
Kurz unterhalb des Ticlios fliessen dann Abwässer aus Bergwerken in die kleinen Bäche; weiter unten ist ein Tunnel, in den Bergbauschutt seit Jahrzehnten gelagert wird und der inzwischen ins Grundwasser gesickert ist; noch weiter unten im Rimac-Tal, da wo die äussersten Siedlungen Limas beginnen, fliessen Industrieabwässer, Haushaltabfälle und Agropestizide ungefiltert in den Fluss. Das heisst, das Wasser wird nicht nur weniger: es kommt auch hochgradig verschmutzt in Lima an.
Wenn Lima das Wasser ausgeht, wird hier auch das Licht ausgehen: Peru ist durch seine Geographie, die steilen Andenabhänge, in der Lage, ein gutes Drittel seines Energiebedarfes durch Wasserkraftwerke zu decken. Frage ist nur, wie lange noch, wenn das Wasser zurückgeht.

All diese Fragen sind bisher in der peruanischen Gesellschaft und Politik tabu. Denn: Peru ist eine Gesellschaft im Modernisierungsschub. Durch anhaltendes Wirtschaftswachstum wächst auch der Bedarf nach Wasser und Energie, nicht nur für die Industrie, sondern gerade auch für den persönlichen Konsum. Da ist es nicht populär, wenn Politiker zum Haushalten mit Wasser und Energie anhalten.

Gut, dass die katholische Kirche - endlich - hier ihrer prophetischen Rolle gerecht wird: heute hat Erzbischof Barreto die landesweite Kampagne "Wasser, Geschenk Gottes für das Leben" eröffnet. In allen katholsichen Gemeinden sollen die Christinnen und Christen für den Umgang mit der Ressource Wasser sensibilisiert werden.

sábado, 16 de febrero de 2008

Der Ökobauer


"Jetzt habe ich wieder Hoffnung gewonnen, dass man doch was gegen die Umweltverschmutzung tun kann", sagte Soledad, eine 22-jährige Radiojournalistin aus Jaén. Hoffnung gegeben hat ihr die Begegnung mit einem Mann, der mit seinem Gesicht das ausstrahlt, was er sagt: Alejandro Córdova, Bauer, fast 70 Jahre alt, 6 Kinder, aus dem kleinen Ort San Antonio hoch oben auf den Höhen des Rimac-Tales.

Getroffen habe ich Alejandro Córdova, als ich mit 12 Radiojournalisten aus ganz Peru, die in Lima an einem Kurs "Umweltjournalismus" teilnahmen, das Flusstal des Rimac hochfuhr. Von 0 auf 5000 Meter, innerhalb von nicht mal 4 Stunden - diese Vielfalt an Klimazonen innerhalb so kurzer Zeit, das muss ein anderes Land Peru erst mal nachmachen. Leider macht der Rimac Peru weniger Ehre. Er ist einer der am meisten verschmutzten Flüsse des Landes. Die Gletscher auf 5000 Meter gehen immer mehr zurück, dafür konnten wir sehen, wie die angrenzenden Bergwerke Schwermetalle aufwirbeln und damit die Bäche verseuchen - dieselben Bäche, die 160 Kilometer weiter unten als Rimac ins Meer fliessen.

Alejandro Córdova treffen wir auf der Mitte des Weges, im Ort San Mateo, auf 3200 Meter Höhe gelegen. "Der Rímac ist der wichtigste Fluss ganz Perus", sagt er, als wir ihn im Gemeindesaal treffen. "Schliesslich versorgt er ein Drittel aller Peruaner mit Wasser - denn ein Drittel lebt in der Hauptstadt Lima". Alejandro erzählt davon, wie schon seine Vorfahren um die Zusammenhänge der Natur in den unterschiedlichen Klimazonen wussten, und wie er dieses Wissen bis heute lebendig erhält . "Auf 4500 Metern Höhe kann man eine alte Grassorte anpflanzen, damit die Bodenerosion aufgehalten wird". Seine Augen leuchten, wenn er von seinen Öko-Experimenten erzählt, und dass seine Produkte inzwischen von Biolatina als Öko-Produkte zertifiziert sind.

Durch den jahrelangen Erzabbau, sowie durch die Industrien, die ihre Abwässer in den Fluss leiten, ist im ganzen Flussteil schon viel Boden verseucht. Eine Lösung, so Alejandro Cordova, wird sich erst dann finden, wenn die verschiedenen betroffenen Gemeinden und Provinzen zusammenarbeiten, um ihren Fluss zu sanieren. Dies ist in Peru bisher nicht der Fall. Die politischen Zuständigkeiten richten sich nicht nach den natürlichen Gesetzmässigkeiten - so dass es für einen Flusslauf eine zuständige Behörde gäbe. Genau dafür setzt sich Alejandro Córdova ein. Als Bewohner San Mateos kann er dabei auf eine einmalige Geschichte verweisen: bereits im Jahr 1934 protestierten die Bauern von San Mateo gegen eine lokale Erzausbeutung, weil der Abraum ihre Tiere krankmachte. Der Protest der Bauern endete damals im Kugelhagel der gerufenen Soldaten. 4 Einwohner San Mateos starben.
Seit ein paar Jahren wird ihr Todestag in San Mateo als lokaler Gedenktag begangen. Und zugleich wird der neueren Geschichte gedacht, einer aus diesem Jahrhundert: die Kinder eines Ortsteils klagten seit 2002 unter vielfachen Beschwerden, weil sie neben einer Abraumdeponie aufwuchsen. Messungen ergaben hohe Bleigehalte im Blug, und Schadstoffe, die aus der angrenzenden Abraumhalde kamen. Niemand wollte sich für die Entfernung der giftigen Erzabfälle verantwortlich zeigen - bis die Bewohner von San Mateo, im Namen ihrer Kinder, vor den Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Rica zogen. Der hiess den peruanischen Staat an, den Giftmüll zu beseitigen - heute wachsen auf der ehemaligen Giftmülldeponie wieder Gras und erste zaghafte Blumen.

Alejandro Cordova ist davon überzeugt, dass sich der Einsatz für ein menschenwürdiges Leben und für eine natürliche Umwelt auszahlt - genau diesen Glauben strahlt er aus, und hat damit unseren Journalismus-Studierenden mehr beigebracht als 10 Universitätsprofessoren zusammen.

jueves, 24 de enero de 2008

Entwicklungshilfe

Letzte Woche erhielt ich wieder einen der Notanrufe: ob ich nicht Blut spenden könne, Rhesus negatives, für eine alte Frau, die auf eine Operation in einem Krankenhaus im Norden Limas wartet. Der Sohn der Patientin würde mich auch abholen und wieder nach Hause bringen. Natürlich sagte ich zu - wenn ich schon mal nur mit meinem Blut was Gutes tun kann, wie sollte ich mich da weigern ?
Am Donnerstag waretet pünktlich ein schrottreif aussehendes Auto mit Chauffeur auf mich - José hiess der Sohn der Patientin, der mit seinen Geschwistern seit Tagen auf der Suche nach Rhesus negativen Blutspendern war. "Ein einziger Neffe hatte die gleiche Blutgruppe, und wegen einer Tätowierung haben sie ihn nicht akzeptiert. Ich hätte ihn schlagen können, in dem Moment", erzählt José von der Mühe, passende Blutspender aufzutreiben. Und wegen des Autos solle ich mir keine Gedanken machen, das würde uns schon hinbringen. Sein letztes funkelnagelneues Auto sei ihm gestohlen worden, da fahre er doch lieber die Schrottkiste.

Aber nicht davon will ich berichten. Sondern von unserer Autofahrt Richtung Nordlima. Ein Stau nach dem anderen bot uns Gelegenheit zu einem intensiven Erfahrungsaustausch. Deutsche sei ich also, meinte José. Er habe auch Deutsche kennengelernt, als er in den 80-er Jahren in der Personalabteilung der Stadt Lima arbeitete. Damals sei der linke Alfonso Barrantes Bürgermeister gewesen. Aber zurück zu den Deutschen. Einen Willi und noch jemanden, sehr nette sympathische Leute. Für die deutsche Entwicklungshilfe hätten sie die Stadt beraten, um die Abfallbewirtschaftung Limas neu zu organisieren. Ich bin erstaunt, davon hatte ich nie gehört. Mit der Abfallentsorgung macht Lima heute nicht viel her. Und, mal ganz ehrlich, hat das Projekt etwas gebracht ?, frage ich meinen Chauffeur. José schaut etwas verlegen drein, wie wenn er damit ringt, ob er mir jetzt die Wahrheit sagen oder sie doch lieber beschönigen soll, weil er mich nicht beleidigen will. "Also ehrlich gesagt, war das alles für die Katz. Zuerst waren die Entwicklungshelfer sehr engagiert, wollten vieles ändern. Aber als sie gesehen haben, dass sie nicht weiterkamen bei den verkrusteten Verwaltungsstrukturen, haben sich ihre Aktivitäten immer mehr in die Hotels des schicken Viertels Miraflores verlagert. " Gesprächsrunden und Cocktails, auf denen man über Abfallbewirtschaftung und Armutsbekämpfung geplaudert habe, hätten dann die eigentliche Arbeit auf der Gemeinde ersetzt. Zu den Veranstaltungen seien dann die Sekretärinnen geschickt worden, damit jemand von der Stadt teilgenommen habe.
Aber das sei vor zwanzig Jahren gewesen, damals sei er auch noch Kommunist gewesen. Wie seine Mutter, die jetzt das Blut braucht. Die war Näherin in einer Fabrik und engagiertes Gewerkschaftsmitglied. Er, José, habe schon lange dem Kommunismus abgeschworen und glaube an den freien Markt. Ich solle mir doch nur das Angebot in den Kaufhäusern anschauen, die auch in den Armenvierteln nun aus dem Boden spriessen. Das habe es in den 80-er Jahren nicht gegeben. Ob es ihm selbst denn auch besser gehe ? Nein, er merke noch nicht viel davon , aber die Entwicklung brauche eben Zeit, das würde schon noch kommen.

miércoles, 16 de enero de 2008

Wunschmarkt - Feria de los Deseos







Das Neue Jahr 2008 habe ich mit einem Rundgang durch die „Feria de los Deseos“ begonnen - den Markt der Wünsche. Jedes Jahr nach Weihnachten kommen „Curanderas“ von den Hochanden nach Lima und bieten auf dem „Markt der Wünsche“ ihre Dienste an. Eine „Curandera“ ist eine Kräuterfrau, Heilkundige und Schamanin. Das Dienstleistungsangebot der Schamaninnen ist gross: sie lesen Dir die Zukunft aus Koka-Blättern oder vertreiben ein Trauma oder eine Krankheit dadurch, dass sie ein Ei über Deinen Körper streichen. Auch ein Meerschweinchen oder ein Gürteltier erfüllen diese Funktion: sie ziehen die schlechten Energien und Krankheiten vom Menschen ab. Als Schutz und Abwehr von zukünftigem Übel soll man sich mit einem Sud aus Heilblüten waschen, oder man kauft sich eines der unzähligen Amulette, die feilgeboten werden. Es gibt Amulette gegen und für alles: zum Schutz von Haus, Hof und Tier; zur Abwehr von Krankheit oder Diebstahl; um einen Menschen in sich verliebt zu machen oder um ein Liebespaar zu trennen. „ Du musst das Amulett an einem besonderen Platz bei Dir zu Hause aufbewahren“, erklärt die Verkäuferin. Im Grunde genommen handelt es sich hier um die Hausrats-, Unfall- und Krankenversicherung der Armen. Eine richtige Versicherung mit monatlichen Raten können sie sich nicht leisten, aber ein Amulett 50 Cent, das ein Jahr lang gültig ist – das liegt drin.

Beim „Markt der Wünsche“ in Lima vermischen sich altes Heilwissen mit Kommerz und billigem Aberglauben. Dahinter steckt jedoch eine alte Weisheit der Andenvölker: eine Krankheit ist selten nur körperlich bedingt, sondern ist durch ein Trauma oder einen Übeltäter ausgelöst. Als ich die Schamanin frage, ob sie den Husten eines 4-jährigen Mädchens kurieren kann, schaut sie mich verständnislos an: „ Sie meinen, ob man den Schrecken heilen kann“ – ein Husten ist eben nicht einfach ein Husten, sondern ein sichtbarer Ausdruck von etwas, was in der Seele nicht stimmt – und dies wiederum kann durch ein Trauma von aussen verursacht sein. Deswegen muss die Schamanin das Trauma wegnehmen. Vieles von der andinen Heilkunst würden wir heute unter dem westlichen Begriff „Psychosomatik“ fassen.

Aber das wichtigste ist der Glaube: so wie auch die Mutter Gottes in Lourdes nur denen hilft, die an sie glauben, so wird auch die andine Heilkunst nur denen helfen, die nicht von zuviel westlicher Skepsis befallen sind.

(aus meinem Rundbrief El Puente 12)

lunes, 24 de diciembre de 2007

In der Umweltküche des Bischofs


Pedro Barreto, der katholische Erzbischof von Huancayo, muss seinen Kaffee nun woanders trinken. Die Küche des Erzbistums dienst nämlich seit einigen Monaten als Labor für Umweltmessungen. Statt Kaffeepulver findet man in den Küchenschränken nun Döschen mit Bodenproben und Tüten mit allerlei Pülverchen, die ich lieber nicht für die Zubereitung von Essen verwenden würde. Im Kühlschrank stehen Reagenzgläser mit Wasserproben und andere Mittelchen. Die Präzisionswaage daneben soll sogar ein leichtes Erdbeben aushalten, ohne dass sie dekalibriert. Alles in allem ein Labor, wie man es in Universitäten, Forschungsinstituten oder Umweltbehörden erwarten würde. Wie aber kommt es in die Küche des Bischofs ?

Das ist eine lange Geschichte. Aber sie fängt so an, dass in der Sierra Central, also den Zentralanden, direkt westlich von der Hauptstadt Lima gelegen, seit langen Jahren Erze abgebaut werden: Blei, Zink, Silber , Kupfer - alles was das Herz, und vor allem was die Fabriken in China, Japan und Europa brauchen, um die Welt mit ihren Konsumartikeln zu beliefern. Da die Metallpreise momentan sehr hoch sind, lohnt es sich auch noch, aus sehr verunreinigtem Erz die Edelmetallanteile herauszuschmelzen. Und dies geschieht in einer alten Metallschmelze im Ort La Oroya, auf halbem Weg zwischen Lima und Huancayo gelegen. Im Jahr 1922 wurde die Schmelze gebaut und seitdem bläst sie Gift in die Luft von La Oroya. Mit der Folge, dass die Kinder von La Oroya - dort wohnen immerhin über 30 000 Menschen - bleiverseucht sind.

Als Bischof Barreto vor gut 4 Jahren sein neues Amt antrat und La Oroya besuchte, spürte er am eigenen Lieb, wie die Schwefeldämpfe sich in seinen Lungen festsetzten und wie er vor lauter Husten kaum zum Sprechen kaum. Da der peruanische Staat bis jetzt nicht dazu zu bewegen ist, seine Mitbürger in La Oroya vor dem Giftausstoss zu bewahren, in dem er die umweltverträgliche und teure Aufrüstung der Schmelzhütte einfordert, hat Erzbischof Barreto im Namen der Kirche und des Evangeliums gehandelt. Seitdem messen Biologen, Umweltingenieure und Chemiker im Auftrag der Kirche die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden - um damit gesicherte, unabhängige Daten zur Hand zu haben, die nicht geleugnet werden können.
"Wenn der Staat diese Messungen macht, dann nimmt ihnen niemand hier die Resultate ab, weil sie meinen, dass der Staat mit der Fabrik unter einer Decke steckt ", sagt Paula Meza, die Leiterin des Labors. "Wenn die Messergebnisse von der Kirche kommen, haben sie mehr Glaubwürdigkeit".

Und aus genau diesem Grund wird Erzbischof Barreto auch weiterhin seinen Kaffee woanders trinken und seine Küche als Umweltlabor zur Verfügung stellen.

jueves, 1 de noviembre de 2007

Tanz auf dem Grab























Für Edmundo León, der heute 60 geworden wäre, und der heute sicher in seinem Grab mitgetanzt hat

José M. Cartagena hat nur zwei Tage gelebt. Dies steht auf derTafel über seinem Grab. Jemand hat ein paar frische Blümchen zwischen die Steine gestellt, zum Gedenken an das "Engelchen", wie verstorbene Babies genannt werden.
Rings um das Grab von José M. Cartagena ist heute buntes Treiben. Es ist der 1. November in Lima, Allerheiligen, und die Migranten aus den Anden besuchen an diesem Tag ihre Verstorbenen auf dem Friedhof. "Nueva esperanza" - "Neue Hoffnung" heisst das Viertel weit ausserhalb Limas. Hier ruhen die Armen und Ausgestossenen, jene, die in der peruanischen Gesellschaft nicht anerkannt werden; hier, wo keine künstliche Bewässerung für grünen Rasen für die letzte Ruhe sorgt, sondern wo die Natur Limas unbeschönigt ihr Gesicht zeigt: karg, sandig, grau, wüst. An jenem 1. November ist der Friedhof von Nueva Esperanza dennoch voller Leben. Ganze Familien kommen hierher, um ihre Toten zu besuchen. Sie bringen ihnen Essen und Trinken mit, sogar Musik und Tänze. Um jedes Grab scharen sich Familienangehörige, lassen die Bierflasche kreisen und packen die vorgekochten Schmankerln aus. Vorzugsweise die Gerichte, die der oder die geliebte Verstorbene am liebsten hatte. Die Familie vor mir hat "nur" Bier mitgebracht. "Wir kommen hierher wegen unserer Grossmutter. Vor 17 Jahren ist sie schon gestorben", erzählt mir ein bereits leicht angetrunkener José.

Aber bevor mit den Verstorbenen getrunken und gegessen wird, muss ihre letzte Wohnstätte repariert und dekoriert werden. Farbeimer und Pinsel sind überall im Einsatz, Blumen werden herangeschleppt, Mauern für Mausoleen hochgezogen oder neu angestrichen. Die Toten sollen an ihrem Tag ein schönes Zuhause haben. Da ist für den einen oder anderen sogar ein kleiner Nebenverdienst drin, so wie für Wolfgang (er heisst tatsächlich so), ein junger Mann aus der Nachbarschaft, der seit ein paar Tagen mit dem Anstreichen von Gräbern sein Geld verdient. Gegen Nachmittag strömen immer mehr Leute auf den angeblich grössten Friedhof Lateinamerikas, der sich über mehrere Hügel erstreckt. Karrussels, Essens- und Verkaufsstände machen Allerheiligen zu einem Volksfest. Das es ja schliesslich auch ist - ein Fest mit den toten Angehörigen, das selbst die allertotesten Sinne wieder erweckt. Vor einigen Gräbern spielen ganze Musikkappellen die Lieblingsweisen der Toten und Lebenden. Sogar ein Scherentaenzer - ein "Danzante de Tijera" - samt Harfenspieler tanzt auf dem Grab seiner Grossmutter aus dem Departament Huancavelica. Der Scherentanz ist ein ganz besonderer Tanz, die männlichen Tänzer müssen Eingeweihte sein, es ist eine Art Schamanentanz, der sich dadurch auszeichnet, dass die Tänzer mit einer Schere in den Händen zum Rhythmus klappern, während sie akrobatische Sprünge vollführen. Ob die Oma im Grab das Scherenklappern wohl gehört hat ? Wenn nicht, dann lockt sie vielleicht der Duft des guten Essens, das auf ihrem Grab abgestellt wird. Neben den Liebslingsspeisen der Toten stehen da Brote in Kinderform - die sogenannten Tánta - Wawas - Blumen, Obst, Süssigkeiten und natürlich Bier, Kola und billiger Wein. Gegen Nachmittag, wenn das Essen ausgepackt und schon mehrere Bierflaschen herumgegangen sind, wird die Atmosphäre mehr als feucht-fröhlich.
Ob die Besucher des Friedhofs wohl auch beten für ihre lieben Toten ? In all dem sinnenfrohen Trubel, in den sich auch die eine oder andere Träne um einen jüngst Verstorbenen mischt, geht mir die Erinnerung an das, was wir in Europa Pietät vor den Verstorbenen nennen, vergessen. Dafür schleicht sich ein anderer Gedanke ein: wenn dereinst auf meinem Grab so viel getanzt, gegessen und gefeiert wird wie heute in Nueva Esperanza, dann ist der Tod vielleicht gar nicht so schlimm.








martes, 16 de octubre de 2007

Der Schutzengel von Chincha


Schwester Gloria Muchaypinha lächelte mir zum Abschied noch aufmunternd zu, bevor sie sich um 8 Uhr morgens wieder der Verteilung der Lebensmittel für die Erdbebenopfer widmete. Hier in Chincha, gut 3 Stunden Busfahrt südlich von Lima, hatte das Erdbeben vom 15. August schwere Schäden hinterlassen, und die Schwestern der Pfarrei "Virgen de Fatima" organisieren nicht nur die Verteilung der Hilfsgüter, sondern sprechen auch den Opfern Mut zu, organisieren Jugendgruppen ebenso wie Notküchen. Am Tag zuvor hatte ich Schwester Gloria bei ihrer Arbeit begleitet, um über die Nothilfe der Kirche berichten zu können, und nun war ich auf dem Weg ins 20 km entfernte Pisco, dem Epizentrum des Erdbebens, um den dortigen Pfarrer zu interviewen. Auf dem Markt von Chincha wartete schon der Bus, ein heruntergekommenes, grünes Gefährt, das bereits gut gefüllt war mit Passagieren. Um so besser, denn das bedeutete, dass der Bus gleich losfuhr. Ich ergatterte einen Sitz im hinteren Viertel des Busses, und warf noch einen kurzen Blick auf die zwei Reihen Männer hinter mir, die mich ausdruckslos anstarrten. Eine "Gringa", also eine europäische oder nordamerikanische Ausländerin, ist auf dieser Route und in diesem Bus nicht oft anzutreffen. Vom Bus aus rief ich vom Handy den Pfarrer in Pisco an, dass ich etwas später eintreffen würde. Und dann waren meine Gedanken und Sinne auch schon ganz von dem Panorama eingenommen, das ich durch das Busfenster erblickte: eingestürzte Häuser, handgeschriebene Schilder mit der Aufschrift "Notküche", Schutthaufen, all dies Anzeichen für die Wucht des vor zwei Monaten erfolgten Erdbebens. Ab und zu tastete ich nach meinen Siebensachen. Als erfahrene Perureisende habe ich meinen Rucksack auf den Knien, und meine Wertsachen - Kamera, Geld, Ausweise und Handy - in den Innentaschen meines Anoraks verstaut. Diebstahlsicher. Nach rund 15 Minuten Fahrt werde ich aus meinen Gedanken gerufen:"Senhora, schauen Sie nach, ob Ihre Sachen noch da sind", ruft mir der Fahrgast hinter mir zu. Meine erste Reaktion- "unmöglich, dass man mir was klaut" -, macht gleich danach dem Entsetzen Platz: meine funkelnagelneue 12-Millionen-Pixel-Kamera ist nicht mehr in der Innentasche. Und mein Sitznachbar ist auch weg. Mit meiner Kamera. "Halten Sie an", schreie ich dem Chauffeur zu und stürze zum Ausgang. Andere Fahrgäste hinter mir her. Der Bus hält, wir stürzen heraus und nehmen die Jagd auf. Ich habe den Dieb nicht gesehen, aber die Fahrgäste hinter mir sehr wohl. Es sind junge kräftige Männer und sie holen schnell einen dicklichen Mann ein. Dann sehe ich aus 100 Meter Entferung, wie einer der Männer in einer Hand mit einer Pistole herumfuchtelt, und in der anderen meine Kamera hat. Als ich die Gruppe erreiche, kommt mir der Diebesjänger entgegen. Er hält immer noch die Pistole in der Hand, auf mich gerichtet, und im ersten Moment glaube ich, er wolle von mir nun eine Belohnung oder was auch immer erpressen. "Hier ist Ihre Kamera. Ich bin Polizist, auf dem Weg zu meiner Arbeit", löst er das Rätsel . Der Bus ist inzwischen umgekehrt und sammelt uns - eine Gruppe von rund 6 Fahrgästen - wieder auf und die Fahrt geht weiter wie gehabt. "Der Dieb hat sich verdächtig benommen, und als er Sie am Handy sagen hörte, dass Sie eine ausländische Journalistin seien, er dachte , da gäbe es was zu holen", erklärt mir der Polizist.
Ich bedanke mich überschwenglich bei meinen Schutzengeln und wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle Pisco, wo ich meine Interviews und Fotos mache. Auf dem Rückweg halte ich noch im Dorf San Clemente. Dort wollen Maria, eine Radiojournalistin aus Pisco und ich, den hiesigen Pfarreirat über ihre Notfallhilfe interviewen. Wir steigen vor der Polizeistation aus und fragen dort nach dem Weg zur Notküche. "Woher kommen Sie ?", fragt plötzlich ein Polizist, der abseits stand und zugehört hatte. Es war niemand anderes als mein Schutzengel-Polizist vom Morgen, nun in Uniform, deshalb hatte ich ihn nicht gleich erkannt. Maria wollte gleich ein Interview mit ihm machen, und es im Radio als Beispiel für einen "guten" Polizisten bringen. Der Polizist winkte ab. Das könnte ihm bei seinen Oberen mehr Ärger bereiten, weil er keine Anzeige gegen den Dieb erstattet habe. Wie er denn heisse, fragte ihn Maria. "Muchaypinha", sagte er. Bei mir klingelte es, als ich den Namen höre..... ob er etwas mit Schwester Gloria Muchaypinha in Chincha zu tun habe, frage ich ihn. Natürlich, sagt er, das ist meine Schwester. Ob ich sie denn auch kennen würde ?