viernes, 20 de mayo de 2011

Peruanische Trugbilder

Eine persönliche Wahlanalyse

Wenn ich gefragt werde, warum ich so gerne in Peru lebe, antworte ich schon mal, dass ich hier einfach nicht älter zu werden scheine. Vor 12 Jahren kam ich erstmals nach Peru, 1999, und protestierte auf den Strassen gegen die korrupten und anti-demokratischen Machenschaften des damaligen Präsidenten Alberto Fujimori. Als ich vor drei Monaten nun das zweite Mal zurück nach Peru kam, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich vielleicht bald wieder auf die Strasse gehen würde, um gegen seine Tochter Keiko Fujimori zu protestieren. Das Wahlergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen legt das nahe: der Linksnationalist und Ex-Offizier Ollanta Humala gewann mit knapp 32% . Seine Gegnerin in der Stichwahl am 5. Juni wird Keiko Fujimori sein, die Zweitplazierte mit 23% . Sie ist die Tochter eben jenes Alberto Fujimori, die im Wahlkampf offen sagte, wie stolz sie auf ihren Vater sei , und dass der alles richtig gemacht habe. Alberto Fujimori verbüsst derweil eine 25-jährige Gefängnisstrafe, weil seine Todesschwadronen Studierende und Festbesucher ermordet hatten.

Sollte sich Peru in den vergangenen 10 Jahren seit dem Sturz Fujimoris denn gar nicht verändert haben ? Gaukeln zwei ordentlich beendete demokratische Legislaturperioden unter den Präsidenten Alejandro Toledo und Alan García nur ein Trugbild eines modernen, prosperierenden Perus vor ?

Die Frage bringt meine tiefe Verwirrung zum Ausdruck. Denn ein Blick auf die Hauptstadt Lima macht klar, dass sich hier in den letzten 10 Jahren allerhand verändert hat. An jeder Ecke werden neue Hochhäuser gebaut, die Wohnungspreise haben sich verdreifacht. Die Strassen sind voll neuer Autos, in den Supermärkten muss man anstehen, wenn man ein neues Handy kaufen will. Und dies beileibe nicht nur in den als reich geltenden Vierteln, sondern auch in den neuen Einkaufszentren in den ehemaligen Armenvierteln. Das Bild wiederholt sich, wenn man in die nächst grösseren Städte Arequipa oder Trujillo kommt.

Vom neuen Selbstbewusstsein der Peruaner gar nicht zu reden: da ist der Boom ihrer Gastronomie; ein stetes Wirtschaftswachstum von bis zu 8% , das selbst Brasilien Konkurrenz zu machen droht; und seit kurzem zählt Peru mit Mario Vargas Llosa auch einen Nobelpreisträger in seinen Reihen. Warum um Gottes willen wollen die Peruaner zurück zum korrupten Fujimori oder aber sich einem ehemaligen Militär in die Hände begeben, von dem man nicht genau weiss, ob er Hugo Chávez oder Lula näher steht ?

Eine Antwort findet man, wenn man aufs Land fährt. Dort, im Hinterland von Cusco, Puno, Puerto Maldonado, Cajamarca wird der neue Reichtum Perus geschöpft: moderne Bergbauunternehmen, viele von ihnen in ausländischer Hand, bauen Gold, Kupfer und Silber ab. Die laendliche Bevölkerung wurde gar nicht nach ihrer Meinung gefragt, ihre Lebensbedingungen sind die gleichen, wie schon vor 10 Jahren, 20 Jahren, in einigen Fällen 50 Jahre. Hier im Hinterland finden die sozialen Konflikte zwischen Dorfgemeinschaften und der Zentralregierung im Verbund mit ausländischen Investoren statt. Es sind Verteilungskonflikte, die mit ungleichen Waffen geführt werden. Drei Tage vor der Wahl am 10. April wurden im Süden Perus drei Demonstranten von der Polizei erschossen. Sie hatten seit Wochen und Monaten gegen das geplante Projekt einer Kupfermine im Einflussgebiet ihres Bewässerungsgebietes protestiert. An die 200 solcher Konflikte zählt die staatliche Ombudsstelle in Peru, im ganzen Land verstreut. Zwar sind auch die Einnahmen der Lokal- und Regionalregierungen durch den Bergbau gestiegen, aber die Unfähigkeit zu effektivem Mitteleinsatz ist auf diesen Ebenen gross. Vielen Menschen vor Ort kommt es wie ein Affront vor, dass die Grossprojekte nicht direkt mit ihnen ausgehandelt werden. Das entsprechende „Gesetz zur Befragung“ wird auf Betreiben der Regierung immer noch zurückgehalten.

In diesen Gebieten im Süden des Landes findet Ollanta Humala vor allem seine Anhänger. Der heute 48-jährige ehemalige Offizier hatte 2000 zusammen mit seinem Bruder Antauro gegen den in den letzten (politischen) Zügen liegenden Fujimori geputscht, war 2005 nur knapp Alan García im Kampf um den Präsidentensessel unterlegen und hatte die letzten fünf Jahre damit verbracht, sein Häufchen getreuer Parlamentarier zusammenzuhalten. Als er sich im Januar in gewandelter Aufmachung – kein Hugo-Chávez T-Shirt, sondern bürgerlicher Anzug und Krawatte - und neuem gemässigten Diskurs als Präsidentschaftskandidat vorstellte, glaubt kaum jemand, dass ihm mehr als ein Achtungserfolg beschieden sein würde.

Der Sieg schien sicher für Alejandro Toledo, den Ex-Präsidenten aus dem Mitte-Links-Spektrum. Doch er und seine Mit-Konkurrenten aus dem bürgerlichen Lager, Pedro Pablo Kuczynski und Luis Castaneda, hatten verkannt, wieviele Bürger vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossen waren und bekamen die Quittung. Humala zog an ihnen allen vorbei – und Keiko Fujimori auch.

Gemeinsam kamen Toledo, PPK und Castaneda, die Kandidaten des sogenannten bürgerlichen Lagers, auf 45% der Stimmen. Da sich die Stimmen jedoch auf drei Kandidaten mit recht ähnlichem Programm verteilten, profitierte Keiko Fujimori als Zweite davon. Der dritte wurde PPK mit 18% der Stimmen. Die bürgerliche Mitte hatte sich selbst ausgebootet.

Mario Vargas Llosa, der inzwischen sakrosankte Nobelpreisträger liberaler Praegung, tobte mit seiner Feder, weil sich die drei Kandidaten nicht auf eine Kandidatur geeinigt hatte. Und mit ihm die enttäuschten Anhänger des bürgerlichen Lagers. Vor allem bei den jugendlichen Vertretern der aufstrebenden Mittelschicht, die PPK gewählt hatten, kamen rassistische Parolen auf, im Sinne von „ich zahle meiner Hausangestellten lieber die 20 Dollar (in Peru ist Wahlpflicht, und wer ihr nicht nachkommt, muss ein Bussgeld zahlen) , damit sie zu Hause bleibt und nicht Humala wählen geht“ .

Das Wahlergebnis der Extreme – Humala gegen Fujimori – blendet aus, dass 45% der Wähler weder für Humala noch für Fujimori gestimmt haben. Dennoch muss man sich fragen, wie ein gutes Fünftel der Peruaner dazu kommt, die Tochter jenes Präsidenten zu wählen, der Peru den grössten bekannten Korruptionsskandal beschert hat. Die Antwort liegt im Klientelverhältnis, das Fujimori vor allem mit armen Stadtbewohnern aber auch auf dem Land aufbauen konnte. In nicht wenigen abgelegenen Orten erinnert man sich an Fujimori, weil er der einzige Präsident Perus war, der sie jemals besucht hat. Die Erinnerung, dass unter Fujimori die blutigen Angriffe des „Leuchtenden Pfades“ zu einem Ende kamen, ist bei vielen lebendig. Von daher sind die 23% für Keiko Fujimori keine grosse Überraschung.

Für wen aber werden sich in der Stichwahl die 45% der bürgerlichen Mitte entscheiden ? Humala und Fujimori haben schon angefangen sich gegenseitig an Wahlversprechen zu überbieten: Humala will auf keinem Fall dem ALBA beitreten und hat eine Reihe angesehener Intellektueller in seinen Beraterstab aufgenommen; Keiko hat erstmals zugegeben, dass ihr Vater Alberto Fehler gemacht habe. Sogar Zusatzsteuern moechte Keiko den Bergbauunternehmen abknoepfen, ein Vorschlag, der bisher unter allen Marktliberalen wuetende Ablehnung hervorgerufen hatte. Und der Wahlkampf beginnt erst. Die Frage ist, weniger, was die beiden Kandidaten sagen, sondern wem die bürgerliche Mitte den Wandel abnehmen wird. Mario Vargas Llosa ist bereits vorangegangen mit gutem Beispiel. Getreu dem Motto „Bei Humala hat man Grund zum Zweifeln, bei Fujimori weiss man, was man bekommt“, hat er kundgetan, dass er für Humala stimmen wird. Toledo und Kucynski zögern noch, gerade die Kuczynski-Anhänger dürften sich eher zu Keiko Fujimori hingezogen fühlen, die bereits angekündigt hat, dass sie nichts am Wirtschaftsmodell ändern möchte.

Humala sagt, dass er Lula nacheifern möchte, und nicht dem in Peru äusserst unbeliebten Hugo Chávez. Brasilianische Berater der PT hat er bereits in seinem Team, er kann auf die Unterstützung der brasilianischen Regierungspartei setzen. Angeblich soll sein Wahlkampf mit brasilianischen Geldern finanziert werden. José Dirceu, einflussreicher PT-Politiker frohlockt bereits in seiner Kolumne, dass der Linksruck in Lateinamerika nun in Peru weitergehe. Brasilien hat grosse geostrategische und wirtschaftliche Interessen im Andenland. Der Zugang Brasiliens zum Pazifik, und damit zum grossen chinesischen Markt, führt über Peru und seine neuen Amazonas-Highways. Fünf grosse Wasserkraftwerke am Ostabhang der Anden sollen zudem die brasilianische Stromversorgung gewährleisten. Die lokale Bevölkerung hat bereits ihren Widerstand gegen die Vorhaben angekündigt. Sollte Humala gewinnen, koennte er hier sein erstes Problem haben, denn er hat sich klar fuer ein Vetorecht der lokalen Bevoelkerung bei Grossprojekten ausgesprochen.

Trotz der Unterstützung Brasiliens für Humala, ist der Wahlausgang noch völlig offen. Die Panik der bürgerlichen Mitte, dass Humala sich als peruanischer Hugo Chávez entpuppen könnte, ist gross und wird von ihren Medien bewusst geschürt. Für sie erscheint Keiko als das kleinere Übel und sie warten nur auf ein Lippenbekenntnis Keikos, dass sie sich von ihrem wenig hoffaehigen Vater distanziert. Die Verfechter der demokratischen Institutionalität hoffen derweil, dass der ehemalige Offizier Humala sich an demokratische Spielregeln halten möge und keine Ambitionen zeigt, die Reihe lateinamerikanischer Militärdiktatoren zu erweitern.

Das Peru von 2011 ist beileibe nicht dasselbe wie vor 12 Jahren. Aber die erste Runde der Präsidentschaftswahlen hat alte Geister wieder auferstehen lassen, von denen viele irrtuemlich glaubten, sie gehoerten nach 10 Jahren Demokratie und Wirtschaftswachstum bereits der Vergangenheit an. Oder in den Worten eine Bloggers: „Dass die Leute jetzt Handys und Autos kaufen koennen, heisst noch lange nicht, dass ihnen Demokratie wichtig ist“.

(veröffentlicht in Ila Nor. 345, Mai 2011)

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