Wie es wohl wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre ?
Ein Besuch bei Landsleuten in Lima
Eingangsbogen zur DDR
Den 3. Oktober 2009, den Tag der deutschen Einheit, habe ich dieses Jahr in der DDR verbracht. Habe einen Kleinbus bestiegen mit der Aufschrift "Alemana" , bin beim "arco" ausgestiegen und durch einen schwarz-gold-roten Bogen in die "República Democrática Alemana" eingetreten. Dort bin ich die einzige geteerte Strasse hinaufmarschiert, und mich gefragt, wie es wohl ist, 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, in der DDR zu leben. Nichts einfacher, als ein paar DDR-Bürger dazu zu befragen.
"Ich bin ein 100%iger Deutscher", lacht Francisco Cárdenas, den alle hier Pancho nennen. "Hier hergestellt und hier geboren". Dabei schaut er verschmitzt zu seiner Mutter, die gerade aus der Küche kommt. "Stimmt doch, Mama, oder ?". "Ja", bestätigt diese. "Als wir hierher kamen, gab es hier noch gar nichts, nur Sand. Du bist einer der ersten Kinder, die hier geboren wurden". Pancho Cárdenas ist heute 24 Jahre alt, in Sweatshirt und Trainingsanzug lehnt er an der Eingagstür seines Hauses. Im Erdgeschoss sind ein paar Computer zu sehen, mit der Internet-Kabine verdient sich die Mutter etwas hinzu. Pancho dagegen hat schon ein eigenes Geschäft. "Ich bin Kaufmann. Kaufe Brötchen und Gebäck und verteile sie in all den Eckläden hier in der Gegend". Die Geschäfte gingen gut, so Pancho, er arbeite zwar 12 Stunden am Tag, aber er könne sich nicht beklagen. Überhaupt sei es hier vieles besser geworden, in den letzten 10 Jahren, meint seine Mutter.
Das mit dem "besser" ist ja alles eine Sache der Perspektive. Mir fällt es eher schwer, hinter den ungeteerten Seitenstrassen, den überall in die Luft ragenden Strom- und Telefonkabeln oder den herumstreunenden Hunde ein aufstrebendes Viertel zu erkennen. Aber wenn man sich daran erinnert, dass hier vor 25 Jahren absolut nichts stand, kein einziges Haus, keine einzige Wasser- geschweige denn Stromleitung, dann muss man der DDR Respekt zollen.
Die DDR, die ich meine, sie liegt im Süden der peruanischen Hauptstadt Lima, da wo die Armenviertel sich in den letzten 30 Jahren die Sandhügel rings um die Stadt erobert haben. Ihre Namen klingen alle verheissungsvoll : Kleeblatt, Stadt des Erlösers, Neue Hoffnung, Indoamérica. Die "DDR" sollte eigentlich nicht "DDR" heissen, ursprünglich, vor 25 Jahren. Mit so viel Hoffnung verbunden war die DDR auf der anderen Seite des Atlantiks denn auch damals nicht für junge Peruaner auf der Suche nach einem Stück Land.
Crisólogo Lago ist einer, der sich noch erinnern kann, an das, was vor 25 Jahren geschah. Ein paar Meter die Hauptstrasse hinauf hat er sein kleines Schuhgeschäft. Von Hand macht er die Schuhe noch, ein in rotem Leder gearbeiter Kinderschuh liegt in seiner Vitrine, und wartet darauf, abgeholt zu werden. Der Schuster, in Arbeitsmontur, erzählt. "Wir jungen Familien hatten eine Wohnungsbaugesellschaft gegründet, ein Agent hatte uns ein Stück Land hier im damals noch unbebauten Süden Limas versprochen". Gespart hatten sie alle auf ihr Grundstück, ihr Häuschen. Bis der Agent sich mit ihrem Geld davon machte, und die geschädigten Häuslebauer beschlossen, wildes Land zu besetzen. "Bundesrepublik Deutschland" sollte ihr Viertel heissen, das sie in die Wüste setzen wollten. Die Bundesrepublik galt damals, in den 80-er Jahren, als reiches Land. Und einer der ihren, so wollte es das Schicksal, arbeitete damals als Chauffeur bei der (bundes-)deutschen Botschaft in Lima. Wenn man das Kind, also das zu gründende Viertel, nach dem Paten benennt, dann gerät der vielleicht in Spendierlaune.... dies war die einfache Hoffnung, welche die Menschen mit der Namensgebung BRD verknüpften. Dass die Botschaft der BRD den Landbesetzern beim Bau ihrer Häuser unter die Arme greifen würde mit Geld.
"Aber wieso heisst dann das Viertel DDR und nicht BRD ?" Crisólogo Lago lächelt leicht, fast hätte er die Geschichte vergessen. "Unsere Anführer gerieten in Streit und die Gruppe teilte sich". Der eine nahm seine Leute und besetzte einen neuen Sandhügel, einen Kilometer weiter südlich von der geplanten "BRD". Und da der Name "BRD" schon besetzt war, kam er auf die Idee, das Viertel "DDR" zu nennen. Schliesslich war die damals, 1984, real existierend und vermeintlich quicklebendig.
Als Patin jedoch erwies sich die DDR damals etwas knausrig. Ein paar Flugblätter war alles was die damalige DDR-Vertretung in Lima für das Wohlergehen des selbsternannten Mündels beisteuern wollte.
"Und Ihr, seid Ihr auch Deutsche, "Alemanes" ?, frage ich eine Gruppe von Kindern, die gerade von der Schule kommt. Ihre blauen Schuluniformen haben immerhin schwarz-rot-goldene Litzen. Die drei Jungs und das Mädchen schauen mich ratlos an. "Natürlich nicht, wir sind Peruaner". Aber Ihr seid doch hier geboren, in der Deutschen Republik ? Ja schon......jetzt erst merken sie die Doppeldeutigkeit der Frage. Vom anderen Deutschland, dem Deutschland jenseits des Atlantiks, wissen sie nichts. Nicht mal, dass die peruanischen Fussball-Idole Claudio Pizarro und Pablo Guerrero in Deutschland kicken, bzw. dass "Bayern München" und "Hamburger SV" etwas mit Deutschland zu tun haben. Warum ihr eigenes Viertel nach einem fremden Land benannt ist, wissen sie ebenfalls nicht.
Ihre Lehrerin, Maria Ochoa, dagegen kann sich noch gut an die ersten Jahre der Besiedlung erinnern, "damals als wir hunderte von Metern laufen mussten, um einen Eimer Wasser zu füllen, weil es keine Wasserleitung gab". Ins Grübeln kommt sie allerdings, wenn sie den richtigen Namen des Viertels nennen soll. "Ist es Deutsche Demokratische Republik oder nur Deutsche Republik ?" Auch die "República Democrática Alemana" geriet in eine Identitätskrise, als die Mauer fiel und die DDR jenseits des Atlantiks sang- und klanglos unterging. Der damalige Staatspräsident Fujimori, so wissen einige ältere Bewohner zu berichten, habe damals das Viertel besucht und ihnen geraten, es doch umzubenennen. Daher der Zweifel, ob es denn nun immer noch die Demokratische Republik sei, oder ob man das "demokratisch" denn doch lieber weglassen solle ...... die Schule hat für letzteres optier. Sie nennt sich einfach "Alemana", deutsch. Auch die Kleinbusse, die den Hügel hoch preschen, preisen ihre Plätze mit "Alemana" an. Die DDR ist zum Synonym für ganz Deutschland geworden, zumindest hier im Süden Limas.
Bleibt noch die "Alemana Federal", die Bundesrepublik. Die gibt es nämlich auch, einen Kilometer weiter südlich, und eine Woche jünger als die DDR. Die bundesrepublikanischen Landbesetzer hatten etwas mehr Glück mit ihrer Patin. Ein Schild über dem Kindergarten der "Republica Federal Alemana" gibt Zeugnis von der Spendebereitschaft einiger Deutscher. Ansonsten ist die BRD klein geblieben, eine Handvoll Häuser eingezwängt zwischen den Vierteln "Valle Saron" und "Das Kleeblatt", ist alles was von der Bundesrepublik geblieben ist. In einer Seitenstrasse übt eine Schulklasse typisch peruanische Tänze ein. Tänze aus dem Andenhochland, da wo die Eltern und Grosseltern der Kinder einst herkamen. Die Mädchen schlagen im Tanz mit einem Seil um sich, wie gekonnte "Cowgirls", die Jungs müssen es schaffen, ihrer Tanzpartnerin nahe zu kommen, ohne mit dem Seil eine gewischt zu bekommen. Mit grosser Begeisterung hüpfen die 5-Klässler auf der Strasse herum. "Wisst Ihr, dass heute Euer Nationalfeiertag ist ?" Grosses Staunen, dann Lachen, es muss sich um einen Scherz halten. Was es ja auch tatsächlich ist.
Die deutsche Einheit wünscht sich hier niemand, jeder hat sich in seinem Viertel eingerichtet, die DDR-Deutschen und die BRD-Deutschen. Nur den Postboten, den Zulieferern und Taxifahrern wäre geholfen, wenn sie bei der Suche nach der Adresse "Deutschland", nicht mehr im falschen Teil Deutschlands landen würden.
Tanzende Kinder in der BRD
Kindergarten in der BRD
Crisólogo Lagos, der Schuster der DDR
Pancho Cárdenas, Jungunternehmer in der DDR
domingo, 1 de noviembre de 2009
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