Schlaraffenland Peru
Eines der best gehütetsten Geheimnisse ist die peruanische Küche. Sie ist köstlich, vielfältig, nahrhaft und dabei, die Welt zu erorbern. Und macht auch vor schweren Jungs nicht Halt.
„Wie schmeckt Ihnen das peruanische Essen ?“ – Kaum ein Besucher Perus, dem diese Frage nicht gleich nach seiner Ankunft in Peru gestellt wird. Taxifahrer, Freunde, Hotelbesitzer oder Pfarrer: in Peru sind alle Hobby-Gourmets und platzen vor Stolz auf die Qualität ihrer Nationalküche. Deshalb sollte auch niemand den Fehler begehen, und auf die Frage mit „Pizza“ oder „Spaghetti“ antworten, sondern ein peruanisches Gericht nennen. Wer kein Spanisch kann, sollte zumindest die Namen einiger peruanischer Gerichte lernen: den marinierten rohen Fisch „ Ceviche“, die Kartoffelpastete „Causa Limeña“, oder das Hühnerfrikassee „Aji de gallina“. Besser noch ist das Ausprobieren. Essen und Küche ist in Peru nicht schnöde Nahrungsaufnahme, sondern Kultur, Volkskultur. Und das in einem Land, das trotz Wirtschaftswachstum immer noch knapp 50% Arme aufweist. Immer mehr Menschen jedoch finden in der Kochkunst einen Weg, der Armut zu entfliehen.
Volksküche im Freien
Juana Córdova bietet einen gut gefüllten Teller „Pachamanca“ an. Auf einem Pappteller liegen drei im Erdofen gegarte Fleischstücke, samt drei Sorten Kartoffeln, gekochter Saubohnen und einer süssen Maistasche. Pachamanca ist eine Spezialität der Zentralanden, der Heimat Juana Córdovas. Jeden Samstag und Sonntag steht die 50-jährige Familienfrau in weiss gestärker Schürze und Kochhaube auf der Plaza Italia in der Altstadt Limas. Sie steht in einer Reihe mit 30 Kolleginnen, die alle ihre zu Hause bereiteten Spezialgerichte verkaufen. „Festival Gastronómico“, gastronomisches Festival, heisst dieses von der Stadt Lima unterstützte Volksbuffet. Der lange Tisch biegt sich unter der Menge an Ceviche (Roher marinierter Fisch), Rocoto Relleno (Gefüllte Paprikaschote), Causa Limenha (Gefüllte Kartoffelpastete) oder Cabrito (Ziegenfleisch mit Bohnen),um nur ein paar der vertretenen Nationalspeisen zu nennen. Das Festival hat regen Zulauf und um die Mittagszeit sind alle weissen Plastiktische besetzt; viele Familien gönnen sich hier nach dem Wochenendeinkauf ein reichhaltiges und doch erschwingliches Mittagessen. Rund drei Euro kostet ein Teller Pachamanca, an dem gut zwei Personen satt werden können, und der mit Liebe zubereitet ist. „Das Rezept ist von meiner Grossmutter, und in die Zubereitung müssen Liebe und Freude am Kochen einfliessen“.
Vor zehn Jahren rief die Stadverwaltung von Lima einen Wettbewerb für Hausfrauen aus: sie sollten ihr bestes Gericht präsentieren. Die besten Köchinnen erhielten danach Kurse in Lebensmittelkunde, Hygiene und Marketing und wurden eingeladen, am gastronomischen Festival teilzunehmen. Die kulinarische Volksküche entwickelte sich zu einem Renner. Denn kaum etwas ist den Peruanern heiliger als ihr geliebtes „almuerzo“, das Mittagessen. Es darf ruhig erst um 14 Uhr beginnen, dagegen am Wochenende spät abends feuchtfröhlich enden. An Wochentagen werden beim Mittagessen Geschäfte beredet, Liebesbande angeknüpft und beendet, oder Jubiläen gefeiert. Für Juana Córdova und die anderen Köchinnen des Gastronomischen Festivals hat die Lust der Peruaner am Essen zu einem neuen Familieneinkommen geführt. Rund 30 Euro verdient eine Köchin an einem Wochenende. Damit kann man dann schon wieder die eigene Familie ein paar Tage etwas Gutes vorsetzen.
Das Geheimnis der Küche
„Mein Geheimnis ist es, die Pfefferschote besonders gut zu waschen“, erklärt Maria Mamani, die Spezailistin für Rocoto Relleno am Festival. Jede Hausfrau hat ihr eigenes Geheimrezept, das meist innerhalb der Familie von Mutter und Grossmutter überliefert wurde. Was jedoch ist das Geheimnis für die so überaus vielfältige und schmackhafte Küche Perus ? Ein Gang durch einen beliebigen Markt in Lima gibt eine Antwort. Da liegen saftige Äpfel neben Mandarinen, Bananen, Ananas und Papaya. Mindestens 8 Kartoffelsorten muss jede Gemüseverkäuferin auf Lager haben, nicht zu reden von den einheimischen Getreidearten Quinoa und Kiwicha. Am Fischstand werden frische Fische ausgenommen, Meeresfrüchte und Muscheln sind eine billige Zugabe. Die Geographie Perus mit ihren extremen Höhenunterschieden erweist sich als Glück für die Küche: die Produkte jeder Klimazone, vom Urwald bis zu den 5000 Metern hohen Anden, sind innerhalb eines Tages in Lima. Und vor der Küste der Hauptstadt selbst liegt eines der fischreichsten Meere der Welt. Diesen Reichtum kannten schon die Völker, die Peru besiedelten, bevor die Spanier Amerika vor über 500 Jahren in Besitz nahmen. Die Inka , ebenso wie die Völker Moche oder Chimú an der Küste sollen bereits Ceviche zubereitet haben. Nicht nur die Erde, sondern auch deren Erzeugnisse, galten den Indianervölkern als heilig und beseelt. Dies kann man in vielen prä-kolombinischen Keramikfiguren erkennen, die Lebensmittel als Menschen abbilden. Die heutige peruanische Küche ist jedoch nicht nur das Ergebnis der Indianervölker, sondern die Mischung aller Kulturen, die sich in Peru zusammengefunden haben. Die Spanier brachten den Zucker mit und legten den Grundstein für die berühmten limenischen Desserts. Afrikanische Sklaven bereiteten aus den Resten ihrer Herrschaften die heutigen Nationalgerichte zu. Nudelgerichte gehen auf italienische Einwanderer zurück, und ganz besonderen Einfluss haben die chinesichen Einwanderer hinterlassen. Kaum eine Strasse Perus, in der man nicht eine Chifa, ein chinesisches Restaurant findet, in dem man gut und billig essen kann.
Kochen im Knast
Genau diese kulturelle Mischung war den reichen Limeños zuerst suspekt. Peruanische Volksgerichte haben erst seit einigen Jahren Eingang in die Edelrestaurants von Lima gefunden. Inzwischen sind sie davon nicht mehr wegzudenken. Peruanische Gourmet-Köche entwickeln die Volksgerichte weiter, standardisieren und verfeinern sie ständig. Speziell die Haupstadt Lima ist als kulinarische Hauptstadt Lateinamerikas weit über Peru hinaus bekannt. Kein Wunder, dass neben den Restaurants auch die Koch-Schulen aus dem Boden schiessen. Wollten vor ein paar Jahren die Jugendlichen noch Jura oder Medizin studieren, so wollen heute alle Koch werden. Nicht einfach „Koch“, sondern „Cheff“-Koch, wie es im Spanischen heisst. In die Kochschule der städtischen „Cenfotur“ in Lima kommen jeden Abend 30 junge und nicht mehr so junge Männer und Frauen, um sich in die Geheimnisse der peruanischen Küche einführen zu lassen. Viele von ihnen hoffen, das Kochen zu ihrem Beruf machen zu können und damit gutes Geld zu verdienen. Andere haben das Kochen als Hobby entdeckt. So wie der 46-jährige Theologe und Kriminologe José Luis Pérez. Im Hauptberuf ist er Leiter der Gefängnispastoral im berüchtigsten Gefängnis Perus, dem Lurigancho-Gefängnis. Heute bereitet er in der Kochschule die peruanische Hamburger-Variante „Butifarra“ zu. „Mit Kochen kommst Du den Menschen nahe“, ist sein Fazit. Bei seinen Pastoralbesuchen im Gefängnis, hat ihm seine Koch-Erfahrung geholfen zuweilen mehr geholfen als die Bibel. Als José Luis Pérez einen Kurs für die Gefängnis-Köche – die selbst Strafgefangene sind – organisierte, waren nicht nur die Häftlinge sondern auch das Wachpersonal begeistert. „ Als ich in Koch-Monitur das Gefängnis betrat, wurde ich zum ersten Mal nicht durchsucht. Sogar die Küchenmesser konnte ich mit ins Gefängnis nehmen“, staunt José Luis darüber, welche Wertschätzung und Vertrauen einem Koch entgegengebracht wird. Wer sonst das Lurigancho besuchen möchte, muss alles, was nur entfernt als Waffe gebraucht werden könnte, am Eingang abgeben.
Das Essen ist in Peru heilig – im Gefängnis ebenso, wie im ganzen Land. In den Armenvierteln ebenso wie im Edelrestaurant. Ein Grund dafür mag sein, dass es nicht vieles gibt, was alle Peruaner – ob reich oder arm, ob braun, schwarz oder weisshäutig, ob Bauer oder Gelehrter – gemeinsam haben. Die Reichen haben ihre eigenen Schulen, Krankenhäuser und Clubs. Die Armen haben ihre. Worüber sollen sie reden, wenn sie sich doch mal treffen ? Über´s Essen natürlich. Den köstlichen Ceviche vom Wochenende , der pikante Rocoto oder die zarte Lukuma-Mazamorra – darüber kann jeder Peruaner etwas sagen. Stundenlang, und bis man wieder Hunger bekommt. Probieren Sie es aus.
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