Am 15. September 2012 starb in Lima Pilar Coll.
Zum Gedenken an diese aussergewöhnliche Frau ein Portrait von ihr, das ich vor 4 Jahren geschrieben habe. Ruhe in Frieden, Pilar.
Kraft und Zaertlichkeit:Die Menschenrechtsverteidigerin Pilar Coll
Vor mir sitzt eine Frau,
deren Kraft, Willen und
Durchhaltevermoegen mich unwillkuerlich an eine Eiserne Lady denken lassen –
jedoch keine Verfechterin des Neoliberalismus wie es Margaret Thatcher war,
sondern eine Jeanne d´Arc der Menschenrechte. Ich spreche von Pilar Coll,
Jahrgang 1929, die mir in ihrer kleinen Wohnung in Lima aus ihrem Leben und ihrem angefuellten Alltag
erzaehlt. Ihr Alter nennt die lebhafte
Frau nur ungern, und Lippenstift und Schmuck lassen nicht vermuten, dass ich es
mit einer katholischen Laienmissionarin zu tun habe.
„Heute war ich wieder im
Frauengefaengnis“, erzaehlt Pilar. Seit 30 Jahren besucht die studierte
Juristin zweimal die Woche politisch Gefangene . In diesen Jahren ist das
Vertrauen und die Freundschaft zwischen den Gefangenen und Pilar gewachsen. „ Heute
zum Beispiel, war mir nicht gut, und sofort haben sie mir eine „Panelada“ , einen heissen Tee mit
Rohzucker, zubereitet“. Pilars Besuche gelten den politischen Gefangenen im
Hochsicherheitstrakt - viele von ihnen sind oder waren Mitglied der
maoistischen Terrorvereinigung „Leuchtender Pfad“. Obwohl Pilar deren Ideologie
nicht teilt und ihre Greueltaten verurteilt, so sieht sie die Gefangenen doch
in erster Linie als Menschen, die ihre Hilfe brauchen und die Rechte haben.
„Früher waren die Bedingungen noch unhaltbar. 3 Frauen waren auf 6 Quadratmeter
24 Stunden lang eingesperrt“. Es waren weder Zeitungen, noch sonstige
Kommunikationsmittel erlaubt. „Als erstes musste ich die politischen
Neuigkeiten erzählen, praktisch die Zeitung ersetzen“. Und Briefe schmuggeln
zwischen den gefangenen Frauen und ihren Männern im Männergefägnis Castro
Castro. „ Da ich nach einer Brustamputation eine Prothese trug, konnte ich dort
die Briefe der Frauen verstecken. Die Prothese wurde nicht durchsucht“, erzählt
Pilar von vergangenen Zeiten. Wie nebenbei erfahre ich dabei auch, dass sie
nicht nur eine Krebserkrankung überstanden hat, sondern ihre Kindheit vom Krieg
geprägt war. Ihr Vater, ein Grundbesitzer aus Aragon, wurde von der
Nationalfront getötet, die Mutter war vorher schon gestorben, zwei ihrer
Geschwister starben an Tuberkulose. Erst
mit 20 Jahren konnte Pilar die Sekundarschule besuchen und danach Jura
studieren. Nach Peru kam sie im Jahr 1967 als Mitglied einer Vereinigung von
katholischen Laienmissionarinnen. Dort geriet sie schnell in die sozial und
politisch engagierten Kreise der katholischen Kirche um Gustavo Gutiérrez.
1987 wurde sie zur ersten
Generalsekretärin der peruanischen Menschenrechtskoordination ernannt. Es war die Zeit des Bürgerkrieges zwischen
dem leuchtenden Pfad und der peruanischen Armee. Die indianische
Landbevölkerung geriet zwischen die Fronten und wurde Opfer beider Parteien. Kirchliche
Menschenrechtsvikariate und Ordensleute spielten dabei eine entscheidende Rolle
, die Menschenrechtsverletzungen publik zu machen und die Opfer zu verteidigen.
„ Damals war es innerhalb der Kirche, bei vielen Bischöfen, noch anrüchig, von
Menschenrechten zu sprechen“, erinnert sich Pilar Coll. Und für Militär und
Polizei galten sie als Verbündete der Terroristen. Es war ein brisanter Posten,
den Pilar Coll damals übernahm, Polizei, Militär, Politik und Medien in der
Haupstadt Lima verleugneten damals die Menschenrechtsverletzungen und
bezichtigten Kritiker schnell der Sympathie mit dem Terrorismus.
14 Jahre später, im Jahr
2001, arbeitete eine von einer demokratisch gewählten peruanischen Regierung
eingesetzte Wahrheitskommission die jüngste Gewaltgeschichte auf. Pilar Coll,
inzwischen offiziell pensioniert, ist aktiv dabei: sie hält unzählige Vorträge
in Pfarreien, um für die Arbeit der Kommission zu werben und hilft bei der
Systematisierung der Fälle.
Vor einem Jahr wurde sie
von der peruanischen Regierung in die Kommission berufen, welche die
Entschädigungszahlungen für die Opfer des Bürgerkrieges organisieren soll. „Bis
jetzt hatte wir schon 49 Sitzungen; da auch Militärs in der Kommission sitzen,
gibt es grosse Auseinandersetzungen darüber, wer als Opfer gelten soll“. Ob sie
dafür wenigstens Geld bekommt ? „Nein“, lacht Pilar Coll. „ Alles
Freiwilligenarbeit“. Ob es nicht etwas zuviel sei als Rentnerin ? „Von der Rentnerin
trifft auf mich nur das Einkommen zu“, meint sie mit einem Augenzwinkern.
Von den vielfältigen
Engagements, ist und bleiben ihr die Gefängnisbesuche am wichtigsten. Nichts hält
sie davon ab, jede Woche nach Chorrillos ins Frauengefängnis zu fahren. Dabei
hat sie ebenso viel erhalten, wie gegeben. „Ich habe im Gefängnis das Menschsein
in all seinen Dimensionen kennengelernt, und ich durfte Menschen sehr nahe
begleiten“. Nicht nur juristische Beratung hat sie erteilt; sondern Kurse über
Werteerziehung, Bibellektüre oder Literatur gegeben. Besonders stolz ist sie
darauf, dass die Gefangenen – viele von ihnen ideologische Hardliner – ihr zum
70. Geburtstag ein Buch schrieben mit der Widmung „Danke Pilar, dass Du uns das
Recht auf Zärtlichkeit gelehrt hast“.
Pilar hatte in ihrem
Leben nicht nur mit wirtschaftlichen oder politischen Schwierigkeiten zu
kämpfen, sondern immer wieder auch mit
ihrem eigenen Körper. Vor einem Jahr fesselte eine Rückenkrankheit sie ans
Bett, und erst letzten Oktober stürzte sie übel. „Gott hat mir die Kraft gegeben,
mich von all dem zu erholen“, sagt Pilar. „Meine Erfahrungen als Kind im
spanischen Bürgerkrieg haben mir sehr dabei geholfen, Widrigkeiten durchzustehen“. Auch heute
abend, nach ihrem erfüllten Tag, ist ihr Engagement noch nicht zu Ende. „Ich
gebe einer jungen Freundin noch Kommunionunterricht“, erlärt sie. „An dem Tag,
an dem ich nichts mehr tun kann, werde ich einfach sein“, sagt die Eiserne Lady
und lacht dabei, so als ob dieser Tag noch in weiter Ferne liege.
(erschienen in Publik-Forum, 22.02.2008)
(erschienen in Publik-Forum, 22.02.2008)
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