Marcelino Correa von der Bauerngemeinschaft Santa Rosa de Suyo
Als Arcesio Gonza an jenem Samstagabend im August vor einem Jahr den Gottesdienst verliess,
wusste er nicht, dass er eben sein
letztes Gebet gesprochen hatte. Fünf Häuserzüge waren es von seiner
evangelischen Gemeinde zu seinem Haus im Dorf Santa Rosa de Suyo. Beim vierten
Block trat ein vermummter Mann aus dem Schatten, stach mit dem Messer mehrmals
auf Arcesio ein. Er fiel zu Boden, sah noch, wie der Angreifer sich auf seine
Frau Benancia stürzte, die laut um Hilfe schrie. Der Sohn hörte die
Hilfeschreie im nahen Haus, konnte den
Meuchelmörder in die Flucht schlagen. Auf der Fahrt ins nächste Krankenhaus an
der Grenze zu Ecuador starb Arcesio, seine Frau und nunmehr
Witwe überlebte. Der Mörder wurde bis heute, fast eineinhalb Jahre später,
nicht gefasst.
Arcesio Gonza aus dem
nordperuanischen Dorf Santa Rosa de Suyo starb, weil er sich weigerte, reich zu
werden.
Die Erde, auf der er und seine Vorfahren seit Jahrhunderten leben,
enthält Gold. Das ist nichts Neues. Neu
ist, dass der Goldpreis so hoch ist, dass es mindestens das 10-fache einbringt,
die Erde nach Gold umzugraben, statt weiterhin Ziegen und magere Kühe darauf
weiden zu lassen. Der 54-jährige Bauer Arcesio war Gemeinderat und hatte
mitentschieden, dass auf dem
Gemeindegebiet jedoch nicht nach Gold
gegraben werden dürfe. Einige Bauern hielten sich nicht an die Abmachung,
gruben auf ihrem Land dennoch nach Gold und errichteten Goldwaschanlagen, in
denen sie mit hochgiftigem Quecksilber die Goldkörner vom Rest der Steine
trennen. Der Gemeinderat liess die
Goldgruben wieder zuschütten, die Goldgräber öffneten sie wieder, die
gegenseitigen Beschuldigungen und Drohungen nahmen überhand – bis an jenem
Abend des 21. August 2010 Arcesio Gonza umgebracht wurde.
Über ein Jahr später erzählte mir Marcelino Correa in einem
Kaffee nahe beim Busbahnhof der nordperuanischen Stadt Piura wie das Unheil mit
dem Mord an Arcesio Gonza in seinem Dorf Santa Rosa seinen Ausgang nahm.
Marcelino ist 25 Jahre alt, sein Unterarm ist mit Stempeln aller Art übersät.
Es ist ein Zeichen, dass er gerade im Gefängnis zwei seiner Gemeinderatskollegen besucht hat,
die dort wegen Mordes angeklagt sind.Der
Mord an Arcesio Gonza hat eine Welle von
Gewalt und Gegengewalt ausgelöst . Im Dorf Santa Rosa de Suyo findet heute ein
Kleinkrieg statt zwischen Bauern, die Gold abbauen und Bauern, die dagegen sind.
Marcelino gehört, ebenso wie seine zwei verhafteten Freunde,
zur Fraktion der Bauern. Alle fünf Minuten klingelt sein Handy, Marcelino
beschwichtigt die Zuhörer, dass es ihm gut geht und er gleich losfahren wird.
„Meine Familie hat Angst, dass mir was passiert“, erklärt er. „Jemand hat ausgesagt, er habe
mich an einem Tatort gesehen, damit werde ich verdächtig als nächstes Opfer“.
Marcelino Correa ist ein junger Bauer , alles andere als
reich. Trocken ist es in Santa Rosa, da wachsen keine Maracuja oder Mango, die
man exportieren könnte, wie es 100 Kilometer weiter talabwärts der Fall ist. In
Santa Rosa de Suyo gibt es Ziegen und ein paar magere Kühe, die sich im
Gestrüpp ihre Nahrung suchen. Sonst nichts. Warum in aller Welt , so frage ich,
handelt Ihr gegen jegliche ökonomische Vernunft und grabt Ihr nicht auch lieber
nach Gold ? Bei dem hohen Goldpreis wäre das ein Bombengeschäft, und zu
verlieren habt Ihr ja nichts.
Marcelino wird nachdenklich. „Gold ist schnelles Geld und
schafft Ungleichheiten und Zwist in der Gemeinschaft“. Sie hätten Angst, dass
dadurch ihre Gemeinschaftswerte verloren gingen und dass die zügellose Gier
Einzug hielte. Auch die Bedenken gegen
die Umweltverschmutzung durch den Goldabbau spielten eine Rolle. „Wir haben
wenig Holz, und die Bergleute brauchen das wenige Holz als Stützstreben in
ihren Stollen“. Aber haben sie eine
Alternative zum Goldabbau ? Marcelino
träumt vom organischen Kaffeeanbau, aber bisher steht noch keine einzige
Kaffeestaude auf seinem Land.
Marcelinos Handy klingelt zum dritten Mal in 30 Minuten.
Seine Freundin ist am Apparat, der junge Mann beruhigt sie. „Ich fahre jetzt
gleich mit dem Bus los nach Santa Rosa, in zwei Stunden bin ich dort“.
Marcelino ist damals gut in seinem Dorf angekommen. Er ist
auch heute, an Weihnachten 2011, noch am Leben. Die Zahl der wegen des Goldes
ermordeten Menschen in seinem Bezirk – sowohl Begleute wie Bauern - ist in den
letzten beiden Monaten jedoch auf 14 angestiegen.
Ich weiss nicht, wer die Morde ausgeführt hat. Aber ich
weiss, warum mich die Geschichte der Bauern von Santa Rosa de Suyo so berührt
hat: in einem Jahr, in dem die Rede vom Wirtschaftswachstum alles bestimmt, in dem ich einerseits in einem
Land – Peru - lebe, das sich im kollektiven
Goldrausch befindet , mit einer Hauptstadt, in der an jeder Strassenecke ein neues Einkaufszentrum entsteht, um das
Geld aus dem Goldabbau auch gleich wieder ausgeben zu können. Und andererseits in einem Jahr der
Horrornachrichten aus Europa, weil eben dieses Wirtschaftswachstum ausbleibt,
und alle wie verrückt Gold kaufen, weil sie glauben, damit ihre Ersparnisse vor
einem drohenden Wirtschaftskollaps zu retten. In
einer Zeit, in der Gier hoffähig geworden ist, und in der jeder für blöd
erklärt wird, weil er nicht seinen kurzfristigen materiellen Vorteil sucht: in
einer solchen Zeit auf Menschen wie Marcelino zu treffen, die – entgegen aller ökonomischen Vernunft - sagen: „Wir verzichten auf Gold, denn das
bringt nur Zwist und Umweltzerstörung“ – das ist fast wie Weihnachten.
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