domingo, 8 de enero de 2012

Goldrausch in Santa Rosa

Marcelino Correa von der Bauerngemeinschaft Santa Rosa de Suyo

Als Arcesio Gonza an jenem Samstagabend  im August vor einem Jahr den Gottesdienst verliess, wusste er nicht, dass er  eben sein letztes Gebet gesprochen hatte. Fünf Häuserzüge waren es von seiner evangelischen Gemeinde zu seinem Haus im Dorf Santa Rosa de Suyo. Beim vierten Block trat ein vermummter Mann aus dem Schatten, stach mit dem Messer mehrmals auf Arcesio ein. Er fiel zu Boden, sah noch, wie der Angreifer sich auf seine Frau Benancia stürzte, die laut um Hilfe schrie. Der Sohn hörte die Hilfeschreie  im nahen Haus, konnte den Meuchelmörder in die Flucht schlagen. Auf der Fahrt ins nächste Krankenhaus an der  Grenze zu  Ecuador starb Arcesio, seine Frau und nunmehr Witwe überlebte. Der Mörder wurde bis heute, fast eineinhalb Jahre später, nicht gefasst.

Arcesio Gonza  aus dem nordperuanischen Dorf Santa Rosa de Suyo starb, weil er sich weigerte, reich zu werden.

Die Erde, auf der er und seine Vorfahren seit Jahrhunderten leben, enthält Gold. Das  ist nichts Neues. Neu ist, dass der Goldpreis so hoch ist, dass es mindestens das 10-fache einbringt, die Erde nach Gold umzugraben, statt weiterhin Ziegen und magere Kühe darauf weiden zu lassen. Der 54-jährige Bauer Arcesio war Gemeinderat und hatte mitentschieden, dass  auf dem Gemeindegebiet jedoch  nicht nach Gold gegraben werden dürfe. Einige Bauern hielten sich nicht an die Abmachung, gruben auf ihrem Land dennoch nach Gold und errichteten Goldwaschanlagen, in denen sie mit hochgiftigem Quecksilber die Goldkörner vom Rest der Steine trennen.  Der Gemeinderat liess die Goldgruben wieder zuschütten, die Goldgräber öffneten sie wieder, die gegenseitigen Beschuldigungen und Drohungen nahmen überhand – bis an jenem Abend des 21. August 2010 Arcesio Gonza umgebracht wurde.

Über ein Jahr später erzählte mir Marcelino Correa in einem Kaffee nahe beim Busbahnhof der nordperuanischen Stadt Piura wie das Unheil mit dem Mord an Arcesio Gonza in seinem Dorf Santa Rosa seinen Ausgang nahm. Marcelino ist 25 Jahre alt, sein Unterarm ist mit Stempeln aller Art übersät. Es ist ein Zeichen, dass er gerade im Gefängnis  zwei seiner Gemeinderatskollegen besucht hat, die dort  wegen Mordes angeklagt sind.Der Mord an Arcesio  Gonza hat eine Welle von Gewalt und Gegengewalt ausgelöst . Im Dorf Santa Rosa de Suyo findet heute ein Kleinkrieg statt zwischen Bauern, die Gold abbauen  und Bauern, die dagegen sind.
Marcelino gehört, ebenso wie seine zwei verhafteten Freunde, zur Fraktion der Bauern. Alle fünf Minuten klingelt sein Handy, Marcelino beschwichtigt die Zuhörer, dass es ihm gut geht und er gleich losfahren wird. „Meine Familie hat Angst, dass mir was passiert“,  erklärt er. „Jemand hat ausgesagt, er habe mich an einem Tatort gesehen, damit werde ich verdächtig als nächstes Opfer“.

Marcelino Correa ist ein junger Bauer , alles andere als reich. Trocken ist es in Santa Rosa, da wachsen keine Maracuja oder Mango, die man exportieren könnte, wie es 100 Kilometer weiter talabwärts der Fall ist. In Santa Rosa de Suyo gibt es Ziegen und ein paar magere Kühe, die sich im Gestrüpp ihre Nahrung suchen. Sonst nichts. Warum in aller Welt , so frage ich, handelt Ihr gegen jegliche ökonomische Vernunft und grabt Ihr nicht auch lieber nach Gold ? Bei dem hohen Goldpreis wäre das ein Bombengeschäft, und zu verlieren habt Ihr ja nichts.
Marcelino wird nachdenklich. „Gold ist schnelles Geld und schafft Ungleichheiten und Zwist in der Gemeinschaft“. Sie hätten Angst, dass dadurch ihre Gemeinschaftswerte verloren gingen und dass die zügellose Gier Einzug hielte.  Auch die Bedenken gegen die Umweltverschmutzung durch den Goldabbau spielten eine Rolle. „Wir haben wenig Holz, und die Bergleute brauchen das wenige Holz als Stützstreben in ihren Stollen“.  Aber haben sie eine Alternative zum Goldabbau  ? Marcelino träumt vom organischen Kaffeeanbau, aber bisher steht noch keine einzige Kaffeestaude auf seinem Land.
Marcelinos Handy klingelt zum dritten Mal in 30 Minuten. Seine Freundin ist am Apparat, der junge Mann beruhigt sie. „Ich fahre jetzt gleich mit dem Bus los nach Santa Rosa, in zwei Stunden bin ich dort“.

Marcelino ist damals gut in seinem Dorf angekommen. Er ist auch heute, an Weihnachten 2011, noch am Leben. Die Zahl der wegen des Goldes ermordeten Menschen in seinem Bezirk – sowohl Begleute wie Bauern - ist in den letzten beiden Monaten jedoch auf 14 angestiegen.

Ich weiss nicht, wer die Morde ausgeführt hat. Aber ich weiss, warum mich die Geschichte der Bauern von Santa Rosa de Suyo so berührt hat: in einem Jahr, in dem die Rede vom Wirtschaftswachstum  alles bestimmt, in dem ich einerseits in einem Land – Peru -  lebe, das sich im kollektiven Goldrausch befindet , mit einer Hauptstadt, in der an jeder Strassenecke  ein neues Einkaufszentrum entsteht, um das Geld aus dem Goldabbau auch gleich wieder ausgeben zu können.   Und andererseits in einem Jahr der Horrornachrichten aus Europa, weil eben dieses Wirtschaftswachstum ausbleibt, und alle wie verrückt Gold kaufen, weil sie glauben, damit ihre Ersparnisse vor einem  drohenden Wirtschaftskollaps  zu retten.   In einer Zeit, in der Gier hoffähig geworden ist, und in der jeder für blöd erklärt wird, weil er nicht seinen kurzfristigen materiellen Vorteil sucht: in einer solchen Zeit auf Menschen wie Marcelino zu treffen, die – entgegen aller ökonomischen Vernunft  -  sagen: „Wir verzichten auf Gold, denn das bringt nur Zwist und Umweltzerstörung“ – das ist fast wie Weihnachten.

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