Die Peruaner duerfen ihre Buergermeister abwaehlen, aber nicht mitentscheiden, wenn vor ihrer Haustuer eine Tagebaumine entsteht
In Suedamerika kann es gar nicht zuviel Demokratie geben, denkt so mancher – Pustekuchen. Was momentan in Lima ablaeuft, ist eine Verballhornung demokratischen Handelns. Viele Limeños wollen ihre Oberbuergermeisterin Susana Villarán abwaehlen. Handhabe dazu gibt ihnen ein Gesetz, das noch der autoritaere Alberto Fujimori in den 90-er Jahren auf den Weg gebracht hat, und das unter dem Eindruck der spaeteren Aufdeckung der Korruption genau jenes Fujimori ausgefeilt wurde: gewaehlte Amtstraeger koennen noch vor Ablauf ihrer Amtsperiode abgewaehlt werden, wenn ein Viertel oder maximal 400 000 der Wahlberechtigten dies mit ihrer Unterschrift fordern. Bis an fielen meist erwiesenermassen korrupte oder von den Wahlverlierern der Korruption bezichtigte Dorfbuergermeister diesem Verdikt der Basis zum Opfer. Nun ist die Basisdemokratie in der Hauptstadt angekommen: 400 000 Buerger, also 5% der Hauptstadtbewohner,wollten ein Referendum ueber den Verbleib von Villarán im Amt. Am 17. Maerz muss sie sich der Abwahl stellen.
Dass Susana Villarán
korrupt sei, werfen ihr nicht mal ihre aergsten Gegner vor. Doch
in Peru gibt es schlimmere Vergehen fuer einen Buergermeister. Die
Wahlverlierer rund um Villaráns Amtsvorgaenger Luis Castañeda haben es
geschafft, Villarán als unfaehige, untaetige „pituca“ („reicher
Abkoemmling der kreolischen Aristokratie“) darzustellen, frei nach dem
Effizienzkriterium der peruanischen Politik: „roba, pero si hace“ –
solange er was tut, darf er auch in die eigene Tasche wirtschaften.
Susana Villarán, so Volkes Stimme, nuetze ihre Ehrlichkeit gar nichts,
weil sie unfaehig sei und keine „obras“ – sprich Strassen , Gebaeude,
Plaetze und alles was man mit viel Pomp einweihen kann – vorzuweisen
habe.
Nichts ist falscher als dieses Bild der 62-jaehrigen Villarán, die
aus den Reihen der befreiungstheologisch inspirierten linken Christen
stammt und sich ihr Leben lang fuer Menschenrechte und soziale
Gleichheit engagiert hat. Auf dem OB-Sessel kam sie jedoch eher
zufaellig zu sitzen– als der favorisierte Kandidat wegen eines
Formfehlers disqualifiziert wurde, rueckte die linke Villarán nach und
gewann im Oktober 2010 hauchduenn die Wahl gegen die Mitfavoritin
Lourdes Flores. Dass sie nur eine Mini-Partei hinter sich hat und es
versaeumt hat, Allianzen zu schmieden, ist einer der Gruende dafuer,
dass sie nun um ihr Amt bangen muss. Schwerer wiegt jedoch, dass sich
Villarán traute, einige heisse Eisen anzufassen, die keiner ihrer
Vorgaenger angehen wollte: die Ordnung des alptraumhaften Verkehrs, und
die Formalisierung des Grossmarktes. Bis anhin war beide durch
halb-mafioese Strukturen bestimmt, der Verkehr in Lima mit seinen
unzaehligen „wilden“ Taxis, Kleinbussen und „Combis“ genannten fahrbaren
Sardinenbuechsen duerfte der chaotischste in ganz Suedamerika sein.
Villarán verfuegte, dass Bus- und Taxi-Chauffeure nur noch mit Lizenz
fahren duerfen. Sie liess den Grossmarkt mitten in der Stadt raeumen und
in das seit langem bereitstehende neue Gebaeude umsiedeln – die Bilder
des gewaltsamen Widerstandes gegen die Polizei gingen um die ganze Welt
und verhalfen Villarán zu einer schlechten Presse.Eine juengste Untersuchung der peruanischen Zeitschrift „Poder“ verglich die Ergebnisse der letzten sechs Buergermeister Limas: Villarán schnitt dabei ueberdurchschnittlich gut ab, wenn man ihre Bilanz nach nur zwei Jahren im Amt anschaut. Ob sich mit solchen Tatsachen die Waehler umstimmen lassen ? Die Propaganda der Villarán-Gegner scheint einen tiefen Nerv im Wahlvolk getroffen zu haben, der rationalen Argumenten nicht zugaenglich ist. Dabei ist das Wahlvorgehen selbst ein Unding: da Wahlpflicht herrscht, muessen alle Bewohner Limas – sofern sie kein Bussgeld zahlen wollen - nicht nur ueber den Verbleib von Villaran, sondern ueber den aller ihrer Gemeinderaete abstimmen, deren Namen sie meist noch nie gehoert haben. Falls Villarán und ihre Truppe abgewaehlt wuerde, rueckt der erste Ersatzmann ihrer Liste ins Amt nach – ein Mitglied der Kommunistischen Partei Perus, der bisher nie in Erscheinung getreten war.
Langsam mehren sich auch in den Vorstaedten die Stimmen derer, die Villaráns Amtsfuehrung nicht fuer gluecklich halten, die das absurde Theater ihrer vorzeitigen Abwahl aber durchschauen und Villaráns Gegnern keine Glaubwuerdigkeit zugestehen. Es koennte also, im besten Fall, wirklich am 17. Maerz knapp fuer Villarán ausgehen. Die letzten Umfragen ergaben eine Zunahme der Stimmen gegen die Abwahl (NO a la revocatoria), ihre Gegner (SI a la revocatoria) haben aber noch die Mehrheit.
Waehrend auf der politischen Buehne der Hauptstadt das Schmierentheater der „Revocatoria“ gegeben wird, kommt das Gesetz zur vorherigen Befragung der indigenen Bevoelkerung nicht recht vom Fleck. Bis heute werden Peruaner – ob Indigena oder nicht – naemlich nicht danach gefragt, ob sie vor ihrer Haustuer eine Tagebaumine, eine Erdoelbohrung, oder eine Strasse haben wollen, die die Landschaft und womoeglich ihr Wasser fuer sehr sehr lange Zeit verschandeln wuerden.
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