Eine Vorzeigemine sollte es sein, das
Kupferbergwerk Tintaya Antapaccay des Schweizer Rohstoffkonzerns X-Strata im
peruanischen Hochland. Dennoch kamen bei gewaltsamen Protesten gegen die Mine im
Mai 2012 drei Menschen ums Leben. Was lief falsch ?
Am 27. Mai 2012 war
Walter Sencia aus dem peruanischen Espinar zur falschen Zeit am falschen Ort.
Der 24-jährige hatte am Protestmarsch
gegen die Kupfermine Tintaya teilgenommen. Eine verirrte Kugel, wahrscheinlich
aus den Reihen der Polizei, traf ihn tödlich. „Dabei hat sich Walter doch gar
nicht für Politik interessiert“, schluchzt die hochschwangere Witwe, selbst
erst 20 Jahre alt, drei Monate später und zeigt ein leicht unscharfes
Papierfoto, auf dem der Verstorbene im Clownskostüm eine Kindergruppe in Bann
haelt. Walter Sencia hatte seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht als
Clown bei Kindergeburtstagen verdient.
Die wenigsten Peruaner
waren jemals in Espinar. Die gleichnamige Provinz mit ihren 72 000 Bewohnern
liegt aufeiner Hochebene auf 4000 Meter innerhalb des Departaments Cusco, weit
entfernt vom Touristentempel Macchu Picchu. Die Luft ist dünn, der Wind kalt,
die Sonne gleissend, die Erde karg und
baumlos, die Stadt selbst gelb-grau. Nur
der Himmel scheint so tiefblau, als ob er für alle Unbill der Natur entschädigen muss. In Espinar zu leben ist hart. Es könnte etwas
angenehmer werden durch die Ansiedlung einer grossen Kupfermine, hofften viele.
Seit 30 Jahren wird vor
den Toren Espinars Kupfer abgebaut. Zuerst durch den peruanischen Staat, dann
durch eine australische Firma, seit 2006 ist die Mine Tintaya Antapaccay im
Besitz des Schweizer Rohstoffkonzerns X-strata.
X-strata rühmt sich seiner
vorbildlichen Sozial- und Umweltstandards
im allgemeinen, und in Espinar ganz besonders. Von der Vorgängermine übernahm
X-strata die freiwillige Selbstverpflichtung, mittels eines Rahmenvertrags mit
der Gemeinde 3% des Gewinns fuer Entwicklungsprojekte in Espinar zur Verfuegung zu stellen. Immerhin 70
Millionen US-Dollar sind damit in den letzten 10 Jahren zusammengekommen.
“Auf unser Schulprojekt sind wir richtig stolz”,
sagt Marco Santos, bei Xstrata Copper zuständig für die Beziehungen mit der
lokalen Bevoelkerung . Die Ausstattung des Zentrum für schulische Ressourcen würde jeder Schweizer Dorfschule Ehre machen: Indianermädchen in blauen Trainingsanzügen
sprechen im Sprachlabor konzentriert die englischen Worte nach, die der Beamer
an die Wand projiziert. Im Chemielabor stehen die neuesten Apparate, um den
Kindern von Espinar die Grundzüge der Physik und Chemie beizubringen. Der Raum für Frühförderung ist der Traum jeder Heilpädagogin. In dieses Zentrum kommen alle Schulklassen
aus Espinar wochenweise, um mit gezieltem Zusatzunterricht die defizitäre
staatliche Schulbildung zu ergänzen.
Gebaut wurde das Zentrum mit Geldern aus dem Rahmenabkommen, das die Mine Tintaya Antapaccay mit der
Provinz Espinar geschlossen hat. Gebaut
und gefuehrt wird das Projekt von der „Tintaya-Stiftung“.
Genau diese ist das
Problem. Die firmeneigene Sozialstiftung ist für die Durchführung der Projekte
aus dem Rahmenabkommen zuständig. Das
Schulprojekt CREE zeugt für ihre Effizienz. Dennoch hat sich der Zorn der
protestierenden Bevölkerung Ende Mai gegen die Stiftung Tintaya gerichtet.
„Mine raus“ steht auf dem ausgebrannten Gebäude der Stftung in Espinar. Es scheint, Effizienz alleine genügt in Espinar nicht, um geliebt zu werden.
Für Oscar Mollohuanca ist
die Mine ein Segen und ein Fluch zugleich. Der kleine Mann mit der Nickelbrille gehoert einer
linken, bergbaukritischen Partei an und ist schon zum zweiten Mal von der
Bevoelkerung Espinars zu ihrem Bürgermeister gewaehlt worden. Nun residiert er in einem fünfstöckigen neuen
Stadtpalast mit verspiegelter Glasfassade, wie sie dank der neuen
Steueraufkommen aus dem Bergbau viele Andendörfer schmücken. Bei der
Aushandlung des neuen Rahmenvertrages zwischen Gemeinde und Mine ist das Gebahren der Tintaya-Stiftung bis heute ein strittiger
Punkt. „Die Mine benutzt die Stiftung, um politische Arbeit zu machen, und
soziale Kontrolle auszuüben“, klagt Mollohuanca an.
Mit gezielten Projektvergaben wuerden sie Bauern gefuegig machen und zum Beispiel dazu bringen, von Klagen wegen Umweltverschmutzung abzusehen. Er fordert, dass die mit Geldern aus dem Rahmenabkommen errichteten Projekte in die Hände der Provinzverwaltung übergehen, und dass die Stiftung ihre Arbeit einstelle. Vielen Menschen in Espinar scheint die Macht der Mine suspekt zu sein: nicht nur, dass sie das grösste Wirtschaftsunternehmen im weiten Umkreis ist; nun macht sie auch noch in Sachen Entwicklung. Was bleibt da noch fuer einen Buergermeister zu tun uebrig ?
Mit gezielten Projektvergaben wuerden sie Bauern gefuegig machen und zum Beispiel dazu bringen, von Klagen wegen Umweltverschmutzung abzusehen. Er fordert, dass die mit Geldern aus dem Rahmenabkommen errichteten Projekte in die Hände der Provinzverwaltung übergehen, und dass die Stiftung ihre Arbeit einstelle. Vielen Menschen in Espinar scheint die Macht der Mine suspekt zu sein: nicht nur, dass sie das grösste Wirtschaftsunternehmen im weiten Umkreis ist; nun macht sie auch noch in Sachen Entwicklung. Was bleibt da noch fuer einen Buergermeister zu tun uebrig ?
Die Mine ist gezwungen,
sich das Wohlverhalten der Bevoelkerung zu erkaufen, weil sie gerade das nicht
bieten kann, was man traditionellerweise von einem Wirtschaftsunternehmen
erwartet: Arbeitsplätze. Ein Besuch in der Mine Tintaya macht deutlich, warum
es eher unwahrscheinlich ist, dass die Indianermaedchen, die im Schulzentrum
der Mine Englisch bueffeln, dort einst auch Arbeit finden werden.
Überlebensgrosse Lastwagen und ebenso gigantische Schaufelbagger graben die
Erde Tag und Nacht um. In der Hüttenanlage reichen drei Ingenieure am Kontrollstand aus, um die ganze Kupferproduktion
instand zu halten. Der moderne Bergbau
funktioniert mit vielen Maschinen und wenig Menschen. Die wenigen
Arbeitskraefte findet er nicht in Espinar, sondern in den Städten Lima,
Arequipa, Cusco, wo Ingenieure
ausgebildet werden. 70% der Arbeitskraft
in der Mine soll laut Rahmenvertrag aus
Espinar stammen. Bisher sind es 35% - und auch das nur, weil für den Aufbau der neuen Mine Antapaccay temporäre Bauarbeiter
gebraucht werden.
In Espinar misstrauen die
Menschen jedoch nicht nur der Mine, sondern ebenso ihrem aus der Hauptstadt gefuehrten Staat.
Der, so ihre Verdacht, wuerde nicht etwa gemeinsame Sache mit seinen Buergern
in Espinar, sondern mit der Mine machen. Der Verdacht ist nicht immer von der
Hand zu weisen.
Ein paar Kilometer ausserhalb
der Stadt lagert die Mine Tintaya ihren
Abraum in einem Staubecken. Ein Damm verdeckt den Blick darauf, man sieht nur
einen Bewaesserungskanal, der ein
Rinnsal fuehrt.
Das sei verseuchtes Sickerwasser aus dem Abraumsee, klagen die Bauern trotz aller gegenteiliger Beteuerungen Tintayas. Die Bauern haben hier ein paar Kuehe oder Schafe, bauen Kartoffeln und Quinoa fuer den Hausgebrauch an. Ein paar Jungen binden Stroh und bringen es mit ihrem Fahrrad weg. Einen Traktor haben die wenigsten. Mitten in der menschenleeren Landschaft tauchen auf einmal zwei Polizisten auf und verwehren den Bauern den Zutritt. Im Auftrag der Mine bewachen sie deren Gelaende. Der peruanische Staat erlaubt, dass seine Polizisten in ihrer Freizeit und in offizieller Uniform mit privaten Wachdiensten ihr schmales Staatssalaer aufbessern . In der Mine Tintaya gab es sogar einen Polizeiposten innerhalb des Firmengelaendes. Fuer die Bevoelkerung in Espinar ist der Anblick der Polizisten im Dienst der Mine ein weiterer Beweis dafuer, dass ihre Staatsmacht in der Hauptstadt Lima mit den grossen Bergwerksbesitzern gemeinsame Sache macht.
Das sei verseuchtes Sickerwasser aus dem Abraumsee, klagen die Bauern trotz aller gegenteiliger Beteuerungen Tintayas. Die Bauern haben hier ein paar Kuehe oder Schafe, bauen Kartoffeln und Quinoa fuer den Hausgebrauch an. Ein paar Jungen binden Stroh und bringen es mit ihrem Fahrrad weg. Einen Traktor haben die wenigsten. Mitten in der menschenleeren Landschaft tauchen auf einmal zwei Polizisten auf und verwehren den Bauern den Zutritt. Im Auftrag der Mine bewachen sie deren Gelaende. Der peruanische Staat erlaubt, dass seine Polizisten in ihrer Freizeit und in offizieller Uniform mit privaten Wachdiensten ihr schmales Staatssalaer aufbessern . In der Mine Tintaya gab es sogar einen Polizeiposten innerhalb des Firmengelaendes. Fuer die Bevoelkerung in Espinar ist der Anblick der Polizisten im Dienst der Mine ein weiterer Beweis dafuer, dass ihre Staatsmacht in der Hauptstadt Lima mit den grossen Bergwerksbesitzern gemeinsame Sache macht.
Die Bergbauunternehmen haben in den letzten Jahren
wohl riesige Fortschritte in ihrem Umweltmanagement gemacht, aber im Management
ihrer sozialen Beziehungen stehen sie erst am Anfang. Das sagt Jaime Amezaga
von der britischen Universitaet Newcastle. Er ist Umweltexperte fuer Bergbau und hat in Bergbaukonflikten
in Europa und Lateinamerika als Berater gearbeitet Auch in Espinar ist er
taetig. Das Grundproblem, so sagt der gebuertige Spanier, seien nicht die
Gesetze oder die fehlenden Umwelttechnologie,
sondern das Misstrauen zwischen den Parteien.
Der Grat hin zu mehr Vertrauen ist
schmal. Setzt die Mine zuviel eigenmaechtige Sozialprojekte um, untergraebt sie
den an sich schon schwachen Staat und schuert Widerstand. Setzt sie auf den Staat als Entwicklungstreiber, kann sie keine eigenen und vor allem keine
schnellen Erfolge fuer die lokale Bevoelkerung vorzeigen, der versprochen wurde,
von der Mine wuerden alle profitieren. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma heisst Dialog und Respekt.
Oscar Mollohuanca leitet
eine weitere Sitzung des Runden Tisches, der einberufen wurde, nachdem der
Konflikt im Mai eskalierte. Alle sind sie da: die Bergwerks-Manager in dicken
Daunenanoraks; die Distriktsbuergermeister in Anzug und Krawatte; die Beamten
der Stadtregierung; Baeuerinnen in ihrer farbenfrohen Tracht und ihre Maenner
mit schwieligen Haenden; Beamte aus der Hauptstadt, die dreinschauen, als ob
sie gedanklich noch oder schon wieder in Lima sind. Es geht hoch her. Die
Bauern fordern die Schliessung der Tintaya-Stiftung. Die Mine will ihre Projekte
zuerst nicht aus der Hand geben. Schliesslich ein kleiner Schritt nach vorn, die Vertreter der Mine gestehen zu, ihre
Stiftung grundlegend zu reformieren.
Der jungen Witwe des
Clowns Walter Sencia und den Angehoerigen der beiden anderen Toten der Proteste
bietet Xstrata eine Entschaedigung von insgesamt 150 000 Euro an. Die Moerder sind weiterhin unbekannt.
Hildegard Willer
Nachtrag: obiger Text stammt vom Oktober 2012. Heute, ein Jahr später, ist der Konflikt immer noch nicht beigelegt. Die breit angelegte, partizipative Umweltprüfung unter Federführung des Umweltministeriums erbrachte zwar Messergebnisse, die an einigen Punkten die Grenzwerte eindeutig überschreiten. Es herrscht jedoch keine Einigung, wer der Verursacher der Verschmutzung ist. Der Bürgermeister von Espinar, Oscar Mollohuanca, ist weiterhin in Ica - mehrere Hundert Kilometer entfernt von seinem Heimatort - vor Gericht angeklagt. Die Fundación Tintaya wurde aufgelöst.